© Fermilab / Fred UllrichTeilchenbeschleuniger Tevatron: Neue Hinweise auf bisher unbekannte Naturgesetze
Physiker haben bei einem Teilchenbeschleuniger-Experiment einen Effekt beobachtet, der auf bisher unbekannte Naturgesetze hinweist. Noch sind die Ergebnisse nicht bestätigt - aber die Wahrscheinlichkeit eines statistischen Zufalls halten die Forscher für äußerst gering. Chicago - Der Tevatron-Teilchenbeschleuniger am berühmten Fermilab bei Chicago ist immer wieder für Überraschungen gut. Zuletzt hatten Forscher beim dortigen CDF-Experiment
Hinweise auf eine neue Naturkraft gefunden. Die Kollegen der DZero Collaboration, die ebenfalls am Tevatron stationiert ist,
konnten die Entdeckung allerdings nicht bestätigen. Jetzt gehen ausgerechnet die DZero-Wissenschaftler mit einer aufsehenerregenden Ankündigung an die Öffentlichkeit: Sie glauben, bei Partikelkollisionen im Tevatron Verteilung von Elementarteilchen beobachtet zu haben, die nicht mit gängigen Vorstellungen der Physik übereinstimmt.
Bei Kollisionen von Protonen und Antiprotonen waren etwa ein Prozent mehr Myonen - eine Art superschwerer Elektronen - entstanden als Antimyonen. Dieser Effekt sei etwa 50-mal größer als nach dem Standardmodell erwartet, schreiben die Forscher in ihrem Artikel,
der im Fachmagazin Physical Review D erscheinen soll.
Die Anomalie beim DZero-Experiment war bereits im vergangenen Jahr beobachtet worden . Inzwischen sind sich die Forscher ihrer Sache aber deutlich sicherer: Sie haben rund 50 Prozent mehr Daten analysiert und damit die Unsicherheit des Ergebnisses verringert. Die Chance, dass es sich bei dem Effekt um einen statistischen Zufall handele, liegt nach ihren Angaben bei etwa 0,005 Prozent. Allerdings spricht man in der Wissenschaft erst bei 0,00003 Prozent und unabhängiger Bestätigung durch andere Experimente von einer echten Entdeckung - und genau diese Bestätigung steht noch aus. Deswegen sind die aktuellen Schlussfolgerungen des DZero-Teams noch mit Vorsicht zu genießen.
"Sollte die nun vorliegende Abweichung unabhängig bestätigt werden, wäre die Tür zu neuen Naturgesetzen aufgestoßen", sagt Ulrich Nierste vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er hat die theoretisch zu erwartenden Zerfallsraten für das Experiment ausgerechnet.
Die neuen Ergebnisse werfen möglicherweise auch ein Licht auf die Frage, warum im Universum nach dem Urknall mehr Materie als Antimaterie übrig geblieben ist - und damit die Entstehung aller Sterne, Galaxien und Planeten ermöglicht hat. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik existiert für jedes Elementarteilchen ein entsprechender Gegenpart aus Antimaterie. Diese Antiteilchen besitzen exakt die gleichen Eigenschaften, aber umgekehrte Vorzeichen, beispielsweise eine negative Ladung statt einer positiven - so will es die Regel der sogenannten CP-Symmetrie (C steht für Ladung, P für Parität).
Materie und Antimaterie seit dem Urknall ungleich verteilt Treffen ein Teilchen und ein Antiteilchen aufeinander, löschen sie sich gegenseitig aus. Dies geschah der Theorie zufolge auch im frühen Universum, unmittelbar nach dem Urknall. Warum damals aber nach dieser Auslöschung Materie übrig blieb, ist bis heute ungeklärt. Unter anderem deshalb suchen Wissenschaftler an Teilchenbeschleunigern weltweit nach Hinweisen darauf, wie die Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie gebrochen worden sein könnte.
Am Tevatron hatten die Physiker im Rahmen des DZero-Experiments Protonen und Antiprotonen mit einer Energie von bis zu 1,96 Teraelektronen-Volt kollidieren lassen. Mit einem fünf Tonnen schweren und vier Etagen hohen Detektor hatten sie Art und Menge der durch die Kollision freigesetzten Elementarteilchen aufgezeichnet.
Dabei müssten eigentlich Teilchen und Antiteilchen in jeweils gleicher Menge produziert werden. Beim Zerfall eines äußerst kurzlebigen Zwischenprodukts, des sogenannten neutralen B-Mesons, zeigten sich nun jedoch Differenzen. Die Auswertungen ergaben, dass mehr Myonen als Antimyonen entstanden waren.
Dies könnte eine anormal große Abweichung von der im Standardmodell postulierten CP-Symmetrie darstellen, glauben die Forscher - falls sie die Beobachtungen richtig interpretiert haben. Wissenschaftler am Large Hadron Collider (LHC), dem weltgrößten Teilchenbeschleuniger am Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf, arbeiten nun daran, die Beobachtung des DZero-Teams zu überprüfen. Und am Fermilab hofft man, dass es mit dieser Entdeckung besser läuft als mit der vor einigen Wochen.
In der kommenden Woche treffen sich Teilchenphysiker aus aller Welt auf der Europhysics Conference on High Energy Physics (EPS-HEP) im französischen Grenoble. Die "Fermilab"-Ergebnisse dürften dort mit Hingabe diskutiert werden.
chs/dapd
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