Das Motiv kennt wahrscheinlich jeder - zumindest aus Filmen, Romanen und Erzählungen: In akuter Lebensgefahr oder kurz vor dem Tod laufen die wichtigsten Momente des Lebens wie ein Film vor dem inneren Auge der Betroffenen ab. Aus Sicht der Wissenschaft war diese Lebensrückschau, als Teilaspekt von Nahtoderfahrungen bislang nur schwer zu fassen. Eine aktuelle Studie israelischer Neurologen hat sich dem „Lebensfilm“ nun genähert.
Lebensfilm
© grewi.deSymbolbild: Lebensfilm
Jerusalem (Israel) - Wie das Team um Judith Katz von der Hadassah University aktuell im Fachjournal „Consciousness and Cognition“ (DOI: 10.1016/j.concog.2016.10.011) berichtet, haben sie zunächst die Aussagen von sieben Personen ausgewertet, die bereits eine solche Lebensrückschau (engl.: Life Review Experience = LRE) erlebt haben wollen.

Hierbei stellten die Wissenschaftler fest, dass alle Berichte gemeinsame Elemente beinhalteten, von denen einige auch den allgemeinen Klischeevorstellungen von LREs, wie sie in Filmen und Bücher kolportiert werden, widersprechen: So beschrieben die Zeugen übereinstimmend, dass der Ablauf der sich „abspielenden“ Ereignisse nur selten chronologisch korrekt geordnet wiedergegeben wurde. Statt dessen seien einige der wichtigsten Lebensereignisse mehr oder weniger zufällig an ihnen vorbeigezogen, in anderen Fällen sogar nahezu zeitgleich.

Ebenfalls übereinstimmender Teil der LRE waren tief emotionale Erfahrungen, die die Zeugen auch aus der Perspektive ihrer Angehörigen und/oder Freunde „erlebt“ hatten: „Ich konnte mich in einzelne Personen hineinversetzen und den Schmerz spüren, den sie in ihrem Leben erfahren hatten. (...) Es war mir erlaubt, Teil dieser Menschen zu werden und zu fühlen, was sie fühlten“, so die Schilderung eines Befragten.

Auch die Konsequenzen der erlebten Lebensrückschau waren für alle Befragten gleich und stellten eine starke Zäsur in der Wahrnehmung für sie wichtiger Personen und Lebensereignisse dar.

Für die Forscher weisen die gemeinsamen aber von den Populärvorstellungen abweichende Aspekte daraufhin, dass es sich im ein tatsächlich reales verbreitetes Phänomen handelt.

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Basierend auf der Auswertung der Befragungen ordneten die Neurologen die beschriebenen Erfahrungen bestimmten und entsprechend verantwortlichen Hirnregionen zu - also etwa jenen Hirnarealen, in denen autobiografischer Erinnerungen gespeichert werden. Dabei zeigte sich, dass alle derart identifizierten Regionen (Präfrontaler Cortex, Temporallappen und der parietale Assoziationscortex) zugleich auch besonders anfällig für Hypoxie (also die Mangelversorgung mit Sauerstoff) und Blutverlust sind, wie sie mit Nahtoderfahrungen auslösenden Traumata einhergehen können.

In einem letzten Schritt erstellten die Wissenschaftler dann einen auf den gemeinsamen LRE-Aspekten basierenden Fragebogen, den sie einer Gruppe freiwilliger Teilnehmer aushändigte, die selbst noch nie eine Lebensrückschau erlebt hatten. Die Antworten belegen, dass viele LRE-Elemente einzeln betrachtet zugleich Erlebnisse und Erfahrungen sind, wie sie die meisten Menschen in dem ein oder anderen Kontext auch ohne LRE machen - Erlebnisse wie etwa Déjà-vu oder das Bereuen bestimmter Lebensereignisse und - Handlungen: „Die Ergebnisse legen nahe, dass das LRE-Phänomen auf einer Veränderungen eines neurokognitiven Mechanismus beruht, der auch bei Menschen ohne LRE vorhanden ist“, schreiben Katz und Kollegen.

Für die Neurowissenschaftler ist die Lebensrückschau demnach also kein besonderer oder gar mystischer Vorgang oder konkrete Reaktion unseres Gehirns auf den nahenden oder drohenden Tod, sondern lediglich eine extrem konzentrierte Version alltäglicher mentaler Prozesse.

+ + + GreWi-Kommentar

Wie schon bei sonstigen Aspekten von Nahtoderfahrungen, werden auch die LRE-Erlebnisse aus neurologischer Sicht mehr oder weniger als neurologische Fehlfunktion bezeichnet und damit dem Vorgang jegliche übersinnliche bzw. übergeordnete Natur und Funktion - oder gar über neurologische und damit biochemische Prozesse hinausreichende Bedeutung abgesprochen. Gut möglich, dass dem tatsächlich so ist. Allerdings erscheint mir auch hier die Frage interessant, „warum“ Menschen in diesen Situationen diese Dinge erleben und ob es nicht auch einen Auslöser der beschriebenen „extrem konzentrierten Versionen alltäglicher mentaler Prozesse“ gibt, der sich unserem Verständnis entzieht. Warum berichten Menschen mit Nahtoderlebnissen kulturübergreifend (...GreWi brichtete) übereinstimmend vom Treffen mit bereits verstorbenen Freunden und Verwandten, von einem Gefühl des inneren Friedens und das sogar (wie auch im Falle der hier geschilderten LRE-Studie) jenseits der von der Populärkultur verbreiteten Stereotypen?