Children
Zweisprachig aufwachsende Kinder sind eher in der Lage, sprachliche Missverständnisse richtig zu stellen als einsprachig aufwachsende Kinder. Sie profitieren dabei von ihren Erfahrungen mit schwierigen Kommunikationssituationen. Das zeigen Psychologen in einer Studie mit 111 Kindern im Alter von zwei bis drei Jahren. Die Ergebnisse sind aktuell in der Fachzeitschrift „Journal of Experimental Child Psychology“ veröffentlicht worden.

„Kinder, die zweisprachig aufwachsen, sind hinsichtlich ihrer kommunikativen Fähigkeiten gegenüber einsprachigen Kindern im Vorteil. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass zweisprachige Kinder im Alltag häufiger mit kommunikativen Missverständnissen konfrontiert sind, die einsprachige Kinder in dieser Form nicht erfahren. Dadurch können sie ihre kommunikativen Fähigkeiten vermutlich stärker üben“, erklärt Stephanie Wermelinger, Entwicklungspsychologin von der Universität Zürich.

Spielerischer Versuch mit 111 Kleinkindern

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Anja Gampe und ihrem Kollegen Moritz Daum untersuchte Wermelinger diese Annahme in einem spielerischen Versuch mit 111 Kindern aus der Gegend um Zürich im Alter von zwei bis drei Jahren. Die Kinder wuchsen entweder einsprachig (mit Schweizerdeutsch als Muttersprache), mit zwei deutschen Dialekten (Hochdeutsch und Schweizerdeutsch) oder zweisprachig auf (Schweizerdeutsch und eine nichtdeutsche Sprache). Die Kinder wurden gebeten, einem grauen Stoffelefanten („Otto“) vier rote Schuhe anzuziehen. Die Versuchsleiterin tat, als suche sie den vierten Schuh, obwohl sich dieser für die Kinder gut sichtbar in ihrer Hand befand. Wenn die Kinder sie darauf aufmerksam machten, gab die Versuchsleiterin vor, die Kinder falsch verstanden zu haben und zeigte auf ein farbenfrohes Bild hinter sich. In dieser Situation hatten die Kinder die Gelegenheit, das Missverständnis richtig zu stellen, zum Beispiel indem sie die Versuchsleiterin erneut auf den Schuh in ihrer Hand aufmerksam machten. Besonderes Augenmerk legte die Forschergruppe darauf, wie die Kinder reagierten, wenn sie falsch verstanden wurden.

Zweisprachige Kinder räumen häufiger mit Missverständnissen auf

Es zeigte sich, dass zweisprachige Kinder häufiger versuchten, dieses Missverständnis richtig zu stellen als ihre Altersgenossen, die einsprachig oder mit zwei Dialekten aufwuchsen. Das Forscherteam erklärt diesen Befund damit, dass zweisprachige Kinder mehr Erfahrung mit schwierigen Kommunikationssituationen haben. Da sie pro Sprache über weniger Vokabeln verfügen, benutzen sie häufiger unpassende Wörter, verwenden falsche Satzkonstruktionen oder wechseln während der Konversation in eine andere Sprache. „Durch diese alltäglichen Erfahrungen sind zweisprachige Kinder geübter darin, sprachliche Missverständnisse zu entdecken und dann auch zu korrigieren“ erklärt Stephanie Wermelinger.

Zweisprachige Kinder nicht grundsätzlich kommunikativer

Im ersten Teil der Aufgabe zeigten sich keine Unterschiede: Als die Versuchsleiterin vorgab, den vierten Schuh nicht zu finden, machte eine Mehrheit der Kinder sie auf den Verbleib des Schuhs aufmerksam - unabhängig von ihrem sprachlichen Hintergrund. „Daraus schließen wir, dass die zweisprachigen Kinder nicht grundsätzlich kommunikativer waren. Vielmehr scheinen sie ihr Kommunikationsverhalten besser an besondere Situationen anpassen zu können“, sagt Stephanie Wermelinger.

Die Studie ist den Autoren zufolge ein weiterer wichtiger Schritt zu einem besseren Verständnis der kognitiven und kommunikativen Prozesse, die der sprachlichen Entwicklung zugrunde liegen. „Unsere Forschung zeigt, dass Zweisprachigkeit nicht nur bedeutet, mehr Wörter zu lernen und das Gleiche auf unterschiedliche Art und Weise sagen zu können“, erklärt Moritz Daum, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich. „Sie weisen vielmehr nach, dass Zweisprachigkeit auch einen Einfluss darauf hat, wie Kinder komplexe Situationen verstehen und mit ihnen umgehen. Das wiederum zeigt: Sprachliche und soziale Kompetenzen hängen sehr eng miteinander zusammen.“

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) (idw)