Kristallkugel, Zukunft
© GemeinfreiSymbolbild: Blick in die Kristallkugel
Berlin (Deutschland) - Während das Geschäft von Telefon-, TV und Online-Wahrsagern boomt, zeigt eine aktuelle Studie, dass die meisten Menschen lieber nicht wissen wollen, was ihnen die Zukunft bringt - selbst, wenn diese Aussichten positiv sein könnten. Nur 1 Prozent der Befragten würde konsequent gerne wissen, was die Zukunft bereithält.


Wie Forscher um Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin gemeinsam mit Kollegen der Universität Granada aktuell im Fachjournal Psychological Review (DOI:10.1037/rev0000055) berichten, zeige die Untersuchung, dass eine Mehrheit einen Blick in die Zukunft eher ablehnen und auf Wissen über ihre persönliche Zukunft verzichten würden. Die Forscher sehen darin „das Bestreben, mögliches Leid und Bedauern zu umgehen, welches das Wissen über die Zukunft mit sich bringen könnte. Gleichzeitig möchten sie sich aber auch die freudige Spannung von schönen Erlebnissen erhalten.“

Die Schlussfolgerung basiert auf zwei nationalen, repräsentative Erhebungen mit mehr als 2.000 Erwachsenen in Deutschland und Spanien.

Die Teilnehmer der Studie wurden zu einer Reihe von möglichen Ereignissen - positiven wie negativen - befragt. Etwa, ob sie wissen wollten, welche Mannschaft ein Fußballspiel gewinnt, das sie später noch sehen wollten, was sie zu Weinachten geschenkt bekommen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder ihre Ehe in einer Scheidung endet.

Die Ergebnisse zeigen, „dass 86 bis 90 Prozent der Menschen bevorstehende negative Ereignisse nicht wissen wollen. Zudem bevorzugen 40 bis 77 Prozent auch über bevorstehende positive Ereignisse im Ungewissen zu bleiben.“ Die Wissenschaftler nennen das „willentliche Ignoranz“ (engl. deliberate ignorance). „Das heißt, sich bewusst dafür zu entscheiden, die Antwort auf eine Frage, die einen persönlich betrifft, nicht wissen zu wollen. Lediglich 1 Prozent aller Befragten würde konsequent gerne wissen, was die Zukunft bereithält.“ Das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes war das Einzige, das die Mehrzahl der Befragten vorab wissen wollte, nur 37 Prozent möchten sich lieber überraschen lassen.

Hinzu stellten die Forscher fest, „dass Menschen, die ihre Zukunft nicht kennen möchten, risikoscheuer sind und häufiger Lebens- und Rechtsschutzversicherungen kaufen als diejenigen, die gerne einen Blick in die Zukunft werfen würden.“

Für die Wissenschaftler legt das die Schlussfolgerung nahe, „dass Menschen, die Wissen über die Zukunft willentlich ignorieren, erwarten, unangenehme Nachrichten zu erhalten“, so Gigerenzer. „Auch der Zeitpunkt, an dem ein Ereignis in der Zukunft eintreten könnte, spielt eine Rolle: Je näher das mögliche Eintreten in der Zukunft liegt, desto weniger wollen Menschen etwas darüber wissen. So wollten zum Beispiel ältere im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen seltener wissen, wann und woran ihr Partner sterben wird.“

Obwohl die in Deutschland und Spanien lebenden Menschen sich in Alter, Bildung und anderen wichtigen Aspekten unterschieden, sei das Muster der willentlichen Ignoranz in beiden Ländern gleichermaßen verbreitet.

„Wissen zu wollen, scheint der Normalzustand der Menschheit zu sein und bedarf keiner Rechtfertigung“, so Gigerenzer abschließend. „Menschen sind nicht nur dazu eingeladen, von ihnen wird auch oft erwartet, an Krebsfrüherkennungsmaßnahmen oder regulären Gesundheitschecks teilzunehmen, ihr ungeborenes Baby einer Reihe von pränatalen Gentest zu unterziehen oder Self-Tracking-Geräte zur Messung der eigenen Gesundheit zu nutzen. Die willentliche Ignoranz von Menschen scheint vor diesem Hintergrund nicht einleuchtend und mag Stirnrunzeln verursachen. Aber wie wir in unserer Studie zeigen konnten, existiert sie nicht nur, sondern ist auch eine weiterverbreitete Haltung.“