Holocaust
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Die Alliierten sollen schon 2,5 Jahre früher vom Holocaust gewusst haben, als bislang angenommen. Dies berichtet die britische Zeitung „The Independent“ unter Berufung auf das demnächst erscheinende Werk des Wissenschaftlers Dan Plesch, „Human Rights After Hitler“ (zu Deutsch: „Menschenrechte nach Hitler“).

Wie aus den bislang geheimen UN-Dokumenten über den Holocaust hervorgeht, die in der kommenden Woche erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, war der US-amerikanischen, britischen und sowjetischen Regierung bereits im Dezember 1942 bekannt, dass bis dahin mindestens zwei Millionen Juden umgebracht wurden und weiteren fünf Millionen dasselbe Schicksal drohen würde. Dennoch hätten die Alliierten kaum etwas dagegen unternommen.

Laut den UN-Archivunterlagen soll Viscount Cranborne, ein Minister im Kriegskabinett von Winston Churchill, im März 1943 gesagt haben, dass die Massenmorde an Juden nicht als besonderer Fall angesehen werden sollten und dass das britische Reich schon genügend Migranten als sicherer Hafen diene.

„Die Großmächte kommentierten (die Massenmorde an Juden - Anm. d. Red.) zweieinhalb Jahre früher als allgemein angenommen wird“, sagte Plesch gegenüber dem Blatt.

Es sei bislang vermutet worden, dass jene erst bei der Entdeckung der Konzentrationslager vom Holocaust erfahren hätten, doch aufgrund dieses Kommentars sei klar, dass sie schon im Dezember 1942 davon gewusst hätten.


Laut Plesch unternahmen die Alliierten trotz der Vielzahl an Beweisen und der Anklage Hunderter Nazis bei einem Strafverfahren, das später von den Nürnberger Prozessen überschattet wurde, kaum etwas, um den Menschen in Gefahr zu helfen. So seien beispielsweise die Bemühungen des damaligen US-Gesandten bei der UN-Kommission für Kriegsverbrechen (UN War Crimes Commission, UNWCC), Herbert Pell, „aufgrund Antisemiten im US-Außenministerium“ zurückgedrängt worden.

Pell zufolge fürchteten die Beamten im Außenamt, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland nach dem Krieg Schaden davontragen könnten, wenn es zu solchen Strafverfolgungen käme. Erst nachdem Pell mit dem Skandal an die Öffentlichkeit gegangen sei, habe das US-Außenministerium dem späteren Strafverfahren in Nürnberg zugestimmt.

Wie berichtet wurde, musste Plesch, der auch als Professor am Centre for International Studies and Diplomacy an der SOAS-Universität in London arbeitet, für den Zugang zu den bislang klassifizierten UN-Dokumenten über den Holocaust die Befugnis der britischen Regierung sowie die Zustimmung des UN-Generalsekretärs erhalten. Und selbst dann habe er keine Notizen oder Kopien davon machen dürfen.

Das neue Material liefert laut dem Forscher Nägel, mit denen man „die Särge der Holocaustleugnungen“ für immer schließen könne.
Auf der Webseite von Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Israel, heißt es, dass Informationen über die Massenmorde an Juden schon damals relativ schnell eine große Reichweite erreicht hätten. Dennoch bleibe unklar, ob sich die Alliierten und neutralen Mächte des Ausmaßes der Berichte bewusst gewesen sein.

„Der totale Schock der hochrangigen alliierten Kommandeure, die die Lager zu Kriegsende befreit hatten, deuten darauf hin, dass sie es nicht vollständig begriffen hatten.“