Für die Griechen waren sie nur ungehobelte Trunkenbolde und grausame Krieger, die auf ihren schnellen Pferden aus der Steppe einfielen. Doch die Skythen waren alles andere als primitive "Barbaren": Ganz im Gegenteil: Sie schufen feinste Goldkunst, die noch heute für Erstaunen sorgt, lebten in komplexen Gesellschaften und ihre Kultur prägte 500 Jahre lang das gesamte Gebiet der eurasischen Steppe - von der Schwarzmeerküste bis in die Mongolei.

Goldene Tierfiguren, hier zwei kämpfende Pferde, sind typisch für die Kunst der Skythen.
© Derzsi Elekes Andor / CC-by-sa 3.0Goldene Tierfiguren, hier zwei kämpfende Pferde, sind typisch für die Kunst der Skythen.
Wer aber waren diese Reiternomaden, die überall in Zentralasien ihre auffälligen Grabhügel und sagenhafte Goldschätze hinterließen? Weil die Skythen keine schriftlichen Überlieferungen hinterlassen haben, sind viele Aspekte ihrer Kultur noch immer kaum bekannt. Unklar ist auch, welche griechischen Beschreibungen dieser "gefährlichen Nachbarn im Osten" einen wahren Kern haben und wo die antiken Berichte kreativ ausgeschmückt oder sogar frei erfunden sind. Gerade in den letzten zehn Jahren haben Ausgrabungen immer mehr Details über die Welt der Skythen ans Licht gebracht - und für einige neue Erkenntnisse, aber auch Überraschungen gesorgt.

Zufallsfund am Straßenrand - Die Skythen-Prinzessin von Urdhzar

Blick in das freigelegte Grab der Saka-Prinzessin (Skythen-Prinzessin von Urdhzar)
© Ра-меси-су Мери-Амон from www.yk.kzBlick in das freigelegte Grab der Saka-Prinzessin
Es war ein echter Zufallsfund: Anfang 2013 sollten Arbeiter eine Straße in der Urdzhar-Region Kasachstans reparieren und rekonstruieren. Routinemäßig wurde deshalb der Untergrund im unmittelbaren Umfeld der Straße und der Baustellen auf mögliche archäologische Relikte hin überprüft. Und tatsächlich: Nur wenige Meter von der Straße entfernt stießen Archäologen auf die Reste eines Grabhügels mit einer knapp zwei Meter tief darin begrabenen steinernen Truhe.

Königstochter aus dem Siebenstromland

Als sie sie öffneten, fanden sie die gut konservierte Mumie eines jungen Mädchens. Sie trug einen Kopfputz, der dicht mit verschiedensten goldenen Tierfiguren und Pfeilspitzen verziert war. Neben der Toten lagen Keramikgefäße und die Knochen mehrerer geopferte Schafe. Wie die Archäologen um Timur Smagulov berichten, sprechen die zeremonielle Kleidung und die Grabbeigaben dafür, dass es sich um eine ranghohe Angehörige des Skythenstammes der Saken handelte. "Es ist sogar möglich, dass die begrabene Frau die Tochter eines Königs der Saken war", sagt Smagulov.

Zeit und Ort des Begräbnisses würden passen: Die Tote stammt aus dem 3. oder 4. Jahrhundert vor Christus und das Grab liegt in der Region Zentralasiens, in der zu dieser Zeit die nomadischen Saken lebten. Sie bevölkerten damals das sogenannte Siebenstromland - ein fruchtbares, von Flüssen durchzogenes Gebiet, durch das auch viele Handelswege führten, darunter auch ein Abzweig der Seidenstraße.

Die Kultur der Steppenkrieger

Verbreitungsgebiet der Skythen
© Dbachmann / CC-by-sa 3.0Verbreitungsgebiet der Skythen
Wie man heute weiß, gehörten die Saken zu den Reiternomaden der Skythenkultur, die 500 Jahre lang - vom 8. bis 3. Jahrhundert vor Christus - die Geschichte der eurasischen Steppe und ihrer Nachbarregionen prägte. Ihr Einflussgebiet reichte vom Süden Sibiriens entlang des Jenissei bis an die Schwarzmeerküste und an die Tore Mitteleuropas. Dass die Skythen mehr waren als ein vermeintlich primitives Reiter- und Kriegervolk, haben Archäologen in den letzten Jahren und Jahrzehnten wieder und wieder entdeckt.

Bis heute haben viele Zeugnisse der längst vergangenen Skythenkultur einzigartig gut erhalten überdauert. Viele von ihnen überstanden die Jahrtausende buchstäblich tiefgefroren - in den Eisgräbern der Kurgane. Diese in vielen Regionen des eurasischen Steppengürtels stehenden Grabhügel bergen oft nicht nur gut konservierte Tote, die reichen Grabbeigaben erlauben auch einen tiefen Einblick in die erstaunlich fortgeschrittene Kultur dieser Reitervölker.

Das Tal der Könige - Die Entdeckung des Fürstengrabs von Tuwa

Das Dorf Arschan liegt mitten im Nirgendwo: Auf einer entlegenen Hochebene der sibirischen Steppe, ganz am Rand der russischen Republik Tuwa. Nur eine Straße führt aus dem Osten, aus Richtung der Kreisstadt Turan, in die 30 Kilometer lange und rund zehn Kilometer breite, ringsum von Bergen umgebene Senke, in der Arschan liegt. Dennoch nennen die Bewohner dieser Gegend dieses Tal "Dolina Zarej" - das Tal der Zaren.

Grabhügel auf der Hochebene von Arschan
© ZDFGrabhügel auf der Hochebene von Arschan
Warum, zeigt sich, wenn man den leichten Hügel am Taleingang überquert hat und auf die Senke hinunterblickt: Im ganzen Tal verteilt stehen unzählige Grabhügel aus der frühen Skythenzeit. "Ich habe wenige Nekropolen gesehen, die eine solche Ballung an Großkurganen aufweisen, das sind sicher Hunderte, die sich in zwei bis drei Ketten durch das Tal hindurchziehen", berichtet der Archäologe Parzinger. Die ganze Ebene sei ein einziger Friedhof. Am Ende des Tales, ganz im Westen, steht ein wahrer Riese unter den Kurganen: er ist 30 Meter hoch und seine Basis hat einen Durchmesser von 200 Metern.

Leichte Beute für Grabräuber

Für die Archäologen ein gefundenes Fressen, könnte man meinen. Doch das Ganze hat einen Haken: Eben weil diese Kurgane so auffällig sind, sind sie im Laufe der Jahrhunderte auch immer wieder Grabräubern aufgefallen. Ähnlich wie im ägyptischen Gegenpart zu diesem sibirischen Tal der Könige sind die meisten Gräber hier längst ausgeplündert und dabei meist so stark zerstört, dass selbst die Erforschung ihrer inneren Struktur für die Forscher schwierig ist.

Kleidung und Waffen waren reich mit Gold geschmückt - hier ein goldener Köcher (Fürstengrab von Tuwa)
© DAIKleidung und Waffen waren reich mit Gold geschmückt - hier ein goldener Köcher
Umso größer die Überraschung, die Parzinger und seine russischen Kollegen im Jahr 2001 erleben sollten. Sie hatten sich für diese Grabungssaison einen Kurgan ausgesucht, der augenscheinlich bereits geplündert war: In der Mitte des Hügels reichte ein aufgegrabener Trichter in die Tiefe. "Zudem hatten hier hatten die Bewohner der Umgebung seit den 1970er Jahren Steine für ihren Hausbau entnommen", erklärt Parzinger. Da es ihnen aber ohnehin mehr um die Architektur des Kurgans geht, ist das kein Hindernis. Sie wählen einen Sektor, der seitlich am Hügel liegt und beginnen zu graben.

Schon durch die Ritzen schimmerte das Gold

In rund vier Metern Tiefe stoßen die Archäologen auf eine Abdeckung aus massiven Holzbalken - eigentlich typisch für die Grabkammer eines solchen Kurgans. "Wir haben dann die Balken weiter gereinigt und dann sah man schon durch die Ritzen Gold schimmern", beschreibt Parzinger den Moment der Entdeckung. Um mehr zu sehen, schieben die Forscher eine an einem Stock befestigte Videokamera durch eine Stelle, an der die Balkendecke eingebrochen ist - und trauen ihren Augen kaum. "Wir waren wirklich sprachlos." Im Grab liegen zwei mit reichem Goldschmuck bedeckte Tote, offenbar ein Herrscherpaar der Skythen - und ein wahrer Goldschatz: Mehrere tausend Goldobjekte, darunter prunkvoll verzierte Waffen, Pferdegeschirre, Schmuckstücke und Gefäße sowie die Skelette von mit ihnen begrabener Pferde.

Typisch für die Kunstsferigkeit der Skythen: ein mit Tierfiguren verzierter Halsschmuck. Dieser stammt allerdigns nicht aus Arschan.
© gemeinfreiTypisch für die Kunstsferigkeit der Skythen: ein mit Tierfiguren verzierter Halsschmuck. Dieser stammt allerdigns nicht aus Arschan.
Allein der goldene Halsreif des Fürsten wiegt zwei Kilogramm und ist aus massivem Gold gefertigt. "Das ist ein ganz faszinierende Stück", sagt Parzinger. Denn wie sich zeigt, sind die vier Ringe des Reifs nicht einfach nur gemustert, sondern bestehen aus winzigen, ineinander verschränkten Tierfiguren - Pferden, Hirschen, Kamelen und Raubtieren. Und obwohl diese kunstvoll ziselierten Figuren gerade einmal zwei Zentimeter lang sind, sind selbst Krallen und Hufe der Tiere deutlich zu erkennen. "Das ist ein echtes Meisterwerk der Metallkunst", so der Archäologe. Und er zeige sehr gut, wie weit fortgeschritten die Skythen in der Metallbearbeitung, aber auch in ihrer Kunst waren. "Das hätte man in dieser Region zu dieser Zeit vorher gar nicht für möglich gehalten."

Gold an Kleidung, Waffen und sogar den Pferden

Und auch die restliche Kleidung und Ausrüstung der Toten ist reich geschmückt: Das Obergewand des Fürsten ist mit 5.000 goldenen Pantherfiguren besetzt, andere Kleidungsstücke mit Goldperlen bestickt. Neben ihm liegt ein goldener Köcher, gefüllt mit Pfeilen, der goldene Griff einer Reitpeitsche ist ebenfalls erhalten. Selbst die Mähnen der geopferten Pferde sind mit Kupfer und Gold verziert. Arm waren die Reiternomaden der Steppen demnach offenbar nicht.

Woher aber hatten sie ihr Gold? Hinweise darauf liefern alte Schächte aus der Skythenzeit, die Archäologen im Altaigebirge und in Kasachstan gefunden haben. Offenbar verfügten sie durchaus schon über Möglichkeiten, Gold und Kupfer abzubauen - oder aber es von benachbarten Volksstämmen abbauen zu lassen.

Wer waren die Skythen? - Europäer in der Steppe Zentralasiens

Dunkelhaarig, eher klein und drahtig und eindeutig mongolischen Typs - so stellen sich die meisten Menschen die Reiternomaden der Steppe vor. Typ Dschingis Khan eben. Im Falle der Skythen und auch der der Nomaden, die bereits hunderte Jahre vor ihnen lebten, ist das allerdings ein Trugschluss.

Gelockte, braune Haare - nicht sehr asiatisch diese Selbstdarstellung auf einem skythischen Teppich
© historischGelockte, braune Haare - nicht sehr asiatisch diese Selbstdarstellung auf einem skythischen Teppich
Denn die Skythen sahen nicht viel anders aus als wir, wie unter anderem Funde auf dem 2.500 Meter hoch gelegenen Ukok-Plateau im Altaigebirge zeigen. Auch hier, im Grenzgebiet zwischen Russland, der Mongolei, Kasachstan und China, finden sich die typischen Grabhügel der Skythen. Allerdings mit einem wichtigen Unterschied zu denen im Tal der Könige von Arschan: Während dort die Relikte der Toten meist stark zerfallen sind und maximal der Knochen erhalten bleiben, sind die Toten in den Kurganen des Altaigebirges bestens konserviert - sie überstanden die Jahrtausende im wahrsten Sinne des Wortes tiefgefroren.

Tiefgefroren über Jahrtausende

Denn in dieser Gebirgsregion taut der Boden auch im Sommer nie ganz auf. Nur an der Oberfläche bildet sich etwas Schlamm und Schmelzwasser. Weil die Grabkammern der Kurgane in den Boden eingesenkt waren, sickerte das Schmelzwasser von oben in diese Gruben ein und gefror dann aber in ihnen schnell wieder. Dadurch bildete sich eine Art Eislinse, die den oft auf einem Balkenpodest ruhenden Toten und die meisten seiner Grabbeigaben bis heute dauerhaft einschloss. Dieser "Kühlkammer" ist es zu verdanken, dass von den Skythen auch einzigartig gut konservierte Eismumien erhalten geblieben sind - aber auch andere organische Materialien wie Kleidung und Felle, Lederobjekte und sogar Nahrungsreste.

Die im Eiskurgan konservierte Mumie der Prinzessin von Ukok. Deutlich sind ihre Tätowierungen zu erkennen - eine bei hochrangigen Männern und Frauen der Skythen übliche Sitte.
© Kobsev / gemeinfreiDie im Eiskurgan konservierte Mumie der Prinzessin von Ukok. Deutlich sind ihre Tätowierungen zu erkennen - eine bei hochrangigen Männern und Frauen der Skythen übliche Sitte.
In den Eiskurganen des Altai haben Archäologen mittlerweile mehrere Mumien von Skythenkriegern, aber auch von Frauen gefunden. Sie beispielsweise bereits im Jahr 1993 die "Altaische Prinzessin" - eine in eine Tunika aus Seide gekleidete, und mit sechs Pferden als Grabbeigaben bestattete Fürstin oder Priesterin. Sie gehörte der skythischen Pazyryk-Kultur an -und sie war keine Mongolin.

Rekonstruktionen ihrer Gesichtszüge zeigen deutlich, dass ihren Augen die typische Falte fehlte. Wenig später wurden ganz in der Nähe weitere Skythenmumien, die das noch deutlicher bestätigten, darunter ein Krieger mit rotblonden, zum Zopf gebundenen Haaren und ein Skythenfürst mit mittelbraunem Haar.

Genetisch eindeutig europäisch

Rekonstruktion der Skythen-Prinzessin von Ukok: Ihre Züge waren europäisch
© Kobsev / gemeinfreiRekonstruktion der Skythen-Prinzessin von Ukok: Ihre Züge waren europäisch
DNA-Analysen von Skythen aus verschiedenen Regionen der eurasischen Steppe zeichnen inzwischen ein genaueres Bild: Demnach waren die Skythen im westlichen Teil der Steppen bis nach Kasachstan hinein genetisch gesehen Europäer. Ihr Erbgut stimmt in den meisten Merkmalen mit dem heutiger Europäer überein. Die Eismumien vom weiter östlich gelegenen Ukok-Plateau - obwohl auch zu den Skythen gehörend - sind eher eine Mischung: Ihr mitochondriales Erbgut zeigt etwa zur Hälfte typisch europäische und zur anderen Hälfte typische asiatische Merkmale.

"Das gibt uns wertvolle Hinweise darüber, wie sich die Populationen in den Zentralasiatischen Steppen entwickelten", erklärt Assumpció Malgosa von der Universität Autònoma de Barcelona, der 2010 die DNA-Analysen der Ukok-Mumien durchführte. Demnach breiteten sich die genetisch europäischen Skythenvölker offenbar im Laufe ihrer Geschichte vom sibirischen Tuwa sowohl nach Süden und Westen als auch nach Osten bis an beide Seiten des Altai hin aus. Auf der Ostseite des Gebirges mischten sich diese Reiternomaden dann vor mehr als 2.000 Jahren dann offenbar mit den dort zuvor ansässigen Asiaten.

Das Rätsel der fehlenden Schrift - Der Goldene Mann und sein Silberbecher

Der Goldene Mann von Issyk - seine Kleidung ist mit goldenen Plättchen und Pfeilspitzen besetzt. (Skyten)
© Derzsi Elekes Andor / CC-by-sa 3.0Der Goldene Mann von Issyk - seine Kleidung ist mit goldenen Plättchen und Pfeilspitzen besetzt.
Ein Skythe wurde gut 2.500 Jahre nach seinem Tod zu einem Wahrzeichen eines ganzen Landes: Der Goldene Mann von Issyk. Sein Ebenbild krönt heute das Unabhängigkeits-Denkmal in der kasachischen Hauptstadt Astana. Entdeckt wurden die Überreste dieses Skythenfürsten schon im Jahr 1969 in einem Kurgan rund 70 Kilometer südlich der kasachischen Großstadt Almaty.

Viel Gold - und ein rätselhafter Trinkbecher

Auch in seinem Grab fanden die Archäologen damals mehrere tausend Goldobjekte. Jacke, Stiefel und der 70 Zentimeter hohe Spitzhut des jungen Mannes waren mit tausenden von pfeilförmigen Goldplättchen besetzt. Gürtel und Hut waren zudem mit für die Skythen typischen kunstvoll ziselierten goldenen Tierfiguren geschmückt. Neben dem reichen Goldschmuck, Waffen und diversen Keramik-Grabbeigaben ist es aber vor allem ein Gegenstand, der aus dem Rahmen fällt und diese Fundstelle von den meisten anderen Skythen-Funden unterscheidet:

Neben den Überresten des Toten entdeckten die Archäologen eine flache Trinkschale aus Silber. Das Besondere an ihr: Sie trägt eine deutlich erkennbare Inschrift aus Runen - doch die Skythen nutzten nach bisherigem Wissen eigentlich gar keine Schrift. Die mehrere Jahrhunderte lang die eurasische Steppe dominierende Kultur scheint keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen zu haben, trotz all ihrer Kunstfertigkeit als Goldschmiede und Waffenbauer und trotz ihrer Fähigkeit, aufwändige Grabanlagen zu errichten.

Schrift als Organisationshilfe

Kunstfertige Metallarbeiten - aber keine Schrift? (Skyten)
© Yelkrokoyade / CC-by-sa 3.0Kunstfertige Metallarbeiten - aber keine Schrift?
"Das ist wirklich verwunderlich. Denn in den großen frühesten Zivilisationen, in denen sich Schrift entwickelt hat, geschah dies immer unter ähnlichen Umständen - wenn wir große Bevölkerungskonzentrationen in einer Siedlung oder Stadt haben", erklärt Hermann Parzinger. "Denn diese Massen an Menschen müssen verwaltet werden - und das führt zwangsläufig zur Entwicklung von Schrift."

Die frühesten Aufzeichnungen solcher Kulturen sind daher meist wenig kreativ oder erhebend, sondern eher prosaischer Natur: Verzeichnisse von Handelsgütern, Abgaben oder ähnliche Buchhaltungs-Dokumente. Seltsamerweise aber haben die Skythen diesen ersten entscheidenden Schritt hin zu einer Schriftkultur offenbar nicht vollzogen, obwohl auch sie umfangreiche Projekte und Unternehmungen durchführten, bei denen viele Arbeiter und viel Material organisiert und kontrolliert werden mussten.

Feste Siedlung - und trotzdem keine Schrift

"Das ist etwas Ungewöhnliches, denn wir haben auch bei den Skythen am Ende durchaus große, weitläufige Siedlungsanlagen, etwa den Ringwall von Belsk", sagt Parzinger. Diese bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte Anlage in der ukrainischen Waldsteppe umfasst fast schon eine richtige Stadt: In dem rund fünf Kilometer langen Areal innerhalb der schützenden Wallanlage finden sich zahlreiche Wohngebäude, ein Tempel, eine Schmiede sowie zahlreiche Werkstätten zur Metallbearbeitung und für andere Gewerbe.

Reste von Pflügen und Abbildungen von Kulturpflanzen zeugen zudem davon, dass die Bewohner dieser Skythensiedlung aus dem 3. Jahrhundert vor Christus auch bereits Ackerbau betrieben. Entgegen landläufiger Meinung gab es demnach selbst unter den Reiternomaden einzelne Gruppen und Stämme, die zeitweilig oder auch für länger an einem Ort bleiben und sesshaft wurden.

Herkunft ungeklärt

Abschrift der Runen auf dem Silberbecher aus Issyk (Skyten)
© historischAbschrift der Runen auf dem Silberbecher aus Issyk
Aber selbst dort finden sich keine Zeugnisse von Schrift, wie der Eurasien-Experte Parzinger erklärt. Umso erstaunlicher ist daher der Fund des beschrifteten Silberbechers im Grab des Goldenen Mannes von Issyk. "Das Bemerkenswerte ist, dass es sich hier in Issyk tatsächlich um eine Art Runenschrift handelt", sagt Parzinger. Die 26 Runen ähneln denen, die später von Turkstämmen weiter im Süden verwendet wurden, ihre Bedeutung und Herkunft sind aber unklar - auch weil die Inschrift zu kurz ist, um ihre Sprachzugehörigkeit eindeutig zu bestimmen.

Bisher gehen Parzinger und seine Kollegen daher trotz dieses Fundes davon aus, dass die Skythen keine Schrift nutzten. Die Silberschale war möglicherweise ein importiertes Stück, das wegen seiner Seltenheit mit dem Skythenfürsten in Issyk begraben worden war.

Auf der Suche nach den Amazonen - Waren die Skythenfrauen der Ursprung der sagenhaften Kriegerinnen?

Sie galten als furchtlose Kämpferinnen und geradezu als Sinnbild der kriegerischen Frau: die Amazonen. Sie sollen, so berichten es griechische Sagen und Geschichtsschreiber, als berittene Bogenschützinnen selbst von erfahrenen Kriegern gefürchtet worden sein. In ihrer Gesellschaft, so heißt es, hatten Männer nichts zu sagen, sie dienten nur der Fortpflanzung. Doch was ist dran am Amazonen-Mythos?

Ein Volk von Kriegerinnen

Griechische Darstellung einer Amazone - hoch zu Ross und in skythischer Tracht
© Carlomorino / CC-by-sa 3.0Griechische Darstellung einer Amazone - hoch zu Ross und in skythischer Tracht
Einen Hinweis gibt eine Schilderung des griechischen Arztes Hippokrates. Denn er beschreibt nicht nur die seltsamen Sitten der Amazonen, er verrät auch, wo sie gelebt haben sollen: nördlich des Schwarzen Meeres: "Die Frauen dieses Volkes reiten, schießen mit dem Bogen, schleudernden Wurfspeer vom Pferd herab und kämpfen, solange sie Jungfrauen sind, gegen die Feinde." Angeblich, so der Gelehrte weiter, fehle ihnen die rechte Brust. Sie werde schon im Kindesalter von der Mutter durch Verbrennen am Wachsen gehindert. "Kraft und Fülle gehen dadurch ganz in die rechte Schulter und den rechten Arm", so Hippokrates. Das wiederum soll den Amazonen die Kraft für das Bogenschießen verliehen haben.

Und auch der griechische Herodot Geschichtsschreiber Herodot liefert Informationen dazu: Es berichtet von den Sauromaten, einem Volk, das zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer lebte und aus den Amazonen hervorgegangen sein soll. Aber was ist dran an diesen Berichten und Angaben? "Die Amazonensage ist vermutlich die Überzeichnung eines historischen Kerns", erklärt dazu der Eurasien-Experte Hermann Parzinger. "Es gab sicher keinen Volksstamm, der nur aus Frauen bestand oder nur aus Kriegerinnen."

Bewaffnete Frauen als Normalfall?

Herodot verortete die Amazonen neben den Sauromaten, zwischen Schwarzem und kaspischem Meer - hier eingetragen auf einer Karte aus dem 18. Jahrhundert.
© historischHerodot verortete die Amazonen neben den Sauromaten, zwischen Schwarzem und kaspischem Meer - hier eingetragen auf einer Karte aus dem 18. Jahrhundert.
Aber was es durchaus gab, waren Frauen, die gemeinsam mit Männern kämpften und auch als Kriegerinnen mit ihren Waffen begraben wurden. Denn bei den Skythen war das durchaus keine Ausnahmen, wie der Archäologe berichtet. Solche Gräber von Kriegerinnen haben die Archäologen inzwischen nicht nur im Siedlungsgebiet der Sauromaten am Schwarzen Meer gefunden, sondern fast überall im Einflussgebiet der Reiternomaden - bis nach Sibirien hinauf. "Immer wieder finden wir hier Frauengräber mit Waffenausstattung, das ist also gar nichts Ungewöhnliches", so Parzinger.

Eine Vermutung dazu, warum gerade bei den Skythen so viele Frauen Kriegerinnen wurden, haben die Archäologen auch: Die Reiternomaden waren mobil, sie mussten mit ihren Herden umherziehen, um diesen fruchtbare Weidegründe zu bieten. Dadurch aber konnten sie ihren Besitz nicht durch befestigte Städte schützen. Stattdessen mussten sie ständig auf der Hut vor Angreifern sein - und entsprechend gut geschulte und ausgerüstete Krieger haben. Denn ihre Herden - und auch das von ihnen gewonnene und bearbeitete Gold und andere Metaller waren die Grundlage ihres Wohlstands.
"Dieser Zwang zur Verteidigung hat zu einer gewissen Militarisierung der Gesellschaft geführt", sagt Parzinger.

Statussymbol oder Schutz?

Griechische Darstellung einer Amazone - in typisch skythischer Tracht.
© Bibi Saint-Pol / gemeinfreiGriechische Darstellung einer Amazone - in typisch skythischer Tracht.
Für die mit Waffen bestatteten Skythen-Frauen könnte es in diesem Zusammenhang zwei Erklärungen geben: Zum einen könnten Waffen in einer eher militaristischen Gesellschaft einfach ein Symbol für einen hohen gesellschaftlichen Rang gewesen sein - wer etwas galt, trug im Leben wie im Tode Waffen. Dann allerdings müssen die "Amazonen" nicht unbedingt als Kriegerinnen gekämpft haben.

Aber es gibt noch eine zweite Möglichkeit, wie Parzinger erklärt. Denn noch heute ist es bei den Nomaden Zentralasiens üblich, dass vor allem die Männer mit den Herden im Sommer weit umher ziehen. Die Frauen mit ihren Kindern bleiben dagegen während dieser Zeit oft eher stationär: Sie bleiben vor Ort, kümmern sich dort um die verbleibenden kleineren Herdenteile und müssen dann diese ebenfalls verteidigen. "Es ist daher durchaus denkbar, dass die Frauen dann auch Aufgaben der Männer übernahmen - darunter eben auch das Kämpfen", so der Archäologe.

Klar scheint allerdings, dass es die männermordenden, brustamputierten Kriegerinnen der griechischen Legenden wohl so nicht gegeben hat. Aber im Gegensatz zu nahezu rechtlosen Stellung vieler griechischer Frauen der Antike standen die Skythenfrauen offenbar sowohl in punkto Status als auch in punkto Kampfausrüstung ihren männlichen Gegenparts kaum nach.