Ein heftiges Erdbeben hat Washington erschüttert, zu spüren war es noch in New York und bis nach Kanada. Tausende Menschen flüchteten ins Freie. In der US-Hauptstadt wurden Kapitol, Weißes Haus und Pentagon geräumt - derartige Beben sind in der Region äußerst selten. Die Ereignisse im Minutenprotokoll.
Erdbeben USA
© AFP

Washington - Ein Erdbeben hat an diesem Dienstag weite Teile der amerikanischen Ostküste erschüttert. Die Erdstöße waren in der Hauptstadt Washington und in New York spürbar. In der Innenstadt Washingtons wurden viele Gebäude evakuiert, Tausende Menschen versammelten sich auf den Straßen. Auch das Kapitol, das Weiße Haus und das Pentagon wurden geräumt - größere Schäden blieben nach ersten Berichten aus.

Nach Angaben des U.S. Geological Survey hatte das Beben eine Stärke von 5,8 auf der Richterskala. Die Erschütterung ereignete sich um kurz vor 14 Uhr Ortszeit und dauerte nach Augenzeugenberichten kaum eine Minute. Das Epizentrum lag demnach bei Mineral zwischen Charlottesville und Richmond im Bundesstaat Virginia, 0,8 Kilometer unter der Erdoberfläche. Mineral ist rund 150 Kilometer von Washington entfernt. Insgesamt hätten 12 Millionen Menschen das Beben spüren können.

Zwei Reaktoren des Atomkraftwerks North Anna in Virginia schalteten sich automatisch ab. Vier Dieselgeneratoren übernahmen nach Angaben der Atomaufsichtsbehörde die Notstromversorgung - offenbar eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Vor allem in Washington kam das öffentliche Leben stellenweise zum Erliegen. Viele Telefone und Handys fielen aus, weil die Netze mit der Flut der Anrufe nicht zurechtkamen. Während die Mitarbeiter des Pentagons ihre Büros nach einiger Zeit wieder betreten durften, sollte das Kapitol für mehrere Stunden gesperrt bleiben, weil zunächst nach Schäden gesucht werden sollte. Ein Sprecher der Feuerwehr in der US-Hauptstadt berichtete von mehreren Verletzten, ernsthaftere Fälle seien bisher nicht bekannt.

Die Ereignisse im Minutenprotokoll:

+++ "Rauf und runter, man konnte es sehen" +++

[21.59 Uhr] In einem Gebäude der Investmentbank BB&T an der Pennsylvania Avenue in Washington stürzte offenbar eine Wand ein. "Eine große Staubwolke kam von dem BB&T-Gebäude", sagte ein Augenzeuge der "Washington Post". "Die Leute, die rauskamen, sagten, dass die Hinterwand eingestürzt sei. Der Augenzeuge selbst war demnach gerade in einer Pizzeria, als es bebte. "Der Boden bewegte sich buchstäblich rauf und runter, man konnte es sehen." Die Washingtoner U-Bahn, die Metro, fuhr zunächst nur mit einer Geschwindigkeit von 24 Stundenkilometern.

+++ Mail aus Reston: "Die Wände knarzten" +++

[21.57 Uhr] Unser Leser Steffen Krause schreibt uns: "Ich lebe seit etwas über fünf Jahren mit meiner Frau in Alexandria, Virginia, einem 'Vorort' von Washington, und arbeite in Reston, Virginia, nahe dem Dulles International Airport. Heute um etwa 14 Uhr Ortszeit, ich war an meinem Schreibtisch, spürte ich ein leichtes Rütteln, dachte mir jedoch nichts dabei. Erst war ich der Meinung, dass unten im Ladedock des Bürogebäudes ein Lastwagen etwas härter als gewöhnlich gegen die Stoßdämpfer der Laderampe gefahren ist - das passiert ab und an. Doch dann wurde es plötzlich sehr stark, die Wände knarzten, die Deckenabhängung ruckelt heftig und meine Computerbildschirme tanzten leicht über meinen Schreibtisch. Meine Kollegen und ich schauten uns etwas ratlos über den Korridor an, wir wussten nicht so recht, was wir davon halten sollten. War es vielleicht ein neuer Anschlag von Terroristen, oder ist im nahegelegenen Flughafen Dulles ein Flugzeug explodiert?

Wir erhielten keine Anweisung, das Gebäude zu evakuieren, was weitere Rätsel aufwarf. Es dauerte etwa eine Minute, bis sich das Rütteln wieder beruhigte, und etwa eine weitere Minute, bis es vollständig verschwunden war. Dann die Nachricht des U. S. Geological Survey, es handelte sich um ein Erdbeben nahe der Hauptstadt von Virginia, Richmond. Meine Frau Jennifer, die in Washington als Beamtin beschäftigt ist, schickte mir gleich eine E-Mail, dass sie das Gebäude verlassen muss, ihre Büroleitung hat bei ihr aus Sicherheitsgründen beschlossen, die Angestellten heim zu schicken. Nun will ich hoffen, dass die Metro nicht zusammenbricht, und sie es heil nach Hause schafft."

+++ Blackberrys klingeln mit Verspätung +++

[21.44 Uhr] Mitarbeiter des US-Kongresses erhielten den Evakuierungsbefehl per Blackberry - eineinhalb Stunden nach dem eigentlichen Beben wurden sie aufgefordert, das Kapitol zu verlassen. Bis dahin waren sie längst alle von alleine auf die Straße geeilt. Zurzeit herrschen Kongressferien, die meisten Abgeordneten und Senatoren sind in ihren Heimatbezirken.

Das Kapitol würde noch auf Stunden hinaus geschlossen sein, um Schäden festzustellen, hieß es. "Wir überprüfen die strukturelle Beständigkeit der Gebäude", sagte Kimberly Schneider von der Kapitolspolizei. Es gebe bisher keine Berichte über Verletzungen oder schwerere Schäden. Auch die Washingtoner Union Station, ein 104 Jahre altes Bauwerk, wurde evakuiert.

+++ Schäden an der National Cathedral +++

[21.39 Uhr] An der mächtigen National Cathedral in Washington gab es Schäden an der Fassade. Mindestens drei der vier Steinspitzen des Hauptturms seien heruntergestürzt - und der Turm selbst scheine sich zu neigen, erklärte Kathedralensprecher Richard Weinberg. Steinmetze seien dabei, das Ausmaß der Schäden zu prüfen. Die 1907 begonnene und 1990 fertiggestellte, gotische Kathedrale ist eines der größten Gebäude Washingtons. Hier finden oft Beerdigungen von Politikern statt. Sie befindet sich im gleichen Viertel wie die Residenz von US-Vizepräsident Joe Biden und viele Botschaften.

+++ "Eine normale Prozedur" +++

[21.34 Uhr] Der Geophysiker Nafi Toksöz vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) warnte vor Panik. "Dies sind normale, zu erwartende Erschütterungen", sagte er auf MSNBC. Auch die Abschaltung der Atomreaktoren sei "eine normale Prozedur". Es werde "mit Sicherheit" Nachbeben geben, allerdings mit einer Stärke von höchstens 3,5 auf der Richterskala - "nichts, was sich mit dem Hauptbeben vergleichen lässt".

+++ Letztes vergleichbar starkes Beben vor 114 Jahren +++

[21.28 Uhr] In Virginia gibt es fast alle ein bis zwei Jahre kleinere Erdbeben, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Sie verursachen aber keine oder nur geringe Schäden. Gelegentlich richtet aber auch ein schwereres Erdbeben größere Schäden an. Das letzte Erdbeben mit großen Folgeschäden ereignete sich nach Angaben der US-Erdbebenwarte USGS im Jahr 1875. Es hatte eine Stärke von 4,8. Ein so heftiges Beben wie jetzt am Dienstag mit der Stärke 5,9 gab es zuletzt im Jahr 1897.

Erdbeben im Osten der USA sind zwar seltener als im Westen des Landes, sie sind aber oft über eine größere Region zu spüren.

+++ Ostküste erwartete Hurrikan, nicht Beben +++

[21.20 Uhr] Viele an der US-Ostküste waren zwar auf ein aktuelles Naturereignis vorbereitet - aber auf ein ganz anderes. Der mächtige Hurrikan "Irene" prescht gerade auf den Süden der USA zu und dürfte im Laufe der Woche bis nach North Carolina und weiter nördlich dringen. "Wir sind definitiv auf einen Notfall vorbereitet", sagte Laura Southard, die Sprecherin des Katastrophenamts von Virginia, dem "Wall Street Journal". "Aber wir hatten kein Erdbeben erwartet. Wir erwarten einen Hurrikan."

+++ Warnung vor Nachbeben +++

[21.09 Uhr] Erdbebenexperten warnten die Amerikaner vor Nachbeben. "Die Leute sollten sich darauf einrichten, vor allem in den nächsten zwei Stunden", sagte Lucy Jones, Seismologin des Geologischen Dienstes der USA, auf CNN. "Es war eines der stärksten Erdbeben, die wir bislang dort gehabt haben." Alte Gebäude in der Nähe des Epizentrums könnten beschädigt worden sein.

Die US-Atombehörde NRC vermeldete "unübliche Ereignisse" in sieben der Atomreaktoren an der US-Ostküste - die niedrigste Art von Störfall. Die North Anna Power Station in Virginia, die zwei Reaktoren hat, hatte demnach einen Stromausfall, stieg auf Diesel-Generatoren um und wurde vom Netz genommen. "Soviel wir wissen, ist alles sicher", sagt NRC-Sprecher David McIntyre dem "Wall Street Journal".

Der Flugverkehr am John-F.-Kennedy-Flughafen und in Newark wurde unterdessen wieder aufgenommen.

+++ "Ich dachte, es sei eine Terrorwarnung" +++

[21.05 Uhr] Der Krankenpfleger Rick Awe aus New York, der für ein paar Tage zu Besuch in Washington ist, war gerade am Washington Monument unterwegs, dem Obelisken unweit des Weißen Hauses. "Plötzlich kamen von überall her Polizeiwagen", sagte er. "Alle Leute stürzten aus den Gebäuden auf die Straße. Ich dachte, es sei eine Terrorwarnung, dass jemand ein Flugzeug auf das Weiße Haus stürzen wollte." Ob er das Beben gespürt hätte? "Ich habe absolut nichts gespürt", antwortete er fast enttäuscht. "Aber so bin ich nun mal sowieso."

+++ Notruf in New York überlastet +++

[21.03 Uhr] Jonathan Stock meldet sich aus New York, wo es offenbar kaum Schäden gibt: "Die New York City Hall ist evakuiert, der John-F.-Kennedy-Flughafen geschlossen. Ein Hubschrauber kreist über dem East River auf der Suche nach Schäden an der Brooklyn Bridge. Die Notrufnummer 9-1-1 ist überlastet, die Polizei bittet alle Einwohner, die Nummer nur im Notfall zu benutzen.

Am Times Square und vielen weiteren Straßen ist die Normalität zurückgekehrt. Panik ist nicht zu spüren. Einige Mitarbeiter der 'New York Times' haben das Gebäude verlassen und warten darauf, wieder hereinzukommen. Es ist mit 52 Stockwerken eines der höchsten Gebäude New Yorks."

+++ Washington steht still +++

[21.01 Uhr] Alle Mahnmäler und Monumente entlang der National Mall in Washington wurden ebenfalls evakuiert. Darunter auch das neue Martin Luther King Jr. Memorial, das am Montag erst für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war. Tausende strömten zuvor schon über den Platz am Tidal Basin mit der Statue des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers. Das Memorial soll am Sonntag offiziell von Präsident Obama eingeweiht werden.

+++ Tausende Pentagon-Mitarbeiter auf Parkplatz +++

[20.47 Uhr] Im Pentagon gab es einen Wasserrohrbruch, der einigen Schaden verursachte. Abertausende Mitarbeiter und Militärs sammelten sich auf den Parkplätzen rund um das enorme Gebäude westlich von Washington. Kurz vor dem Beben hatte das Ministerium noch mehrere Medienkorrespondenten bewirtet, die Überlebende und Augenzeugen des Terroranschlags vom 11. September 2001 hier interviewten. Das Rumpeln und Ruckeln erinnerte einige an den Schrecken von damals.

+++ Katastrophenschutz meldet sich +++

[20.42 Uhr] Die US-Katastrophenschutzbehörde Fema verbreitete - mit einer Stunde Verspätung - ein Merkblatt: "Was tun bei einem Erdbeben." Unter den Ratschlägen: "Bleiben Sie so sicher, wie es geht. Denken Sie daran, dass einige Erdbeben in Wahrheit nur Vorbeben sind und ein größeres Erdbeben folgen könnte. Reduzieren Sie Ihre Bewegung auf ein paar wenige Schritte zum nächsten sicheren Ort hin." Für den Fall, dass man sich im Inneren aufhält, riet die Fema: "Gehen Sie zu Boden, verkriechen Sie sich unter einem stabilen Tisch oder einem anderen Möbelstück, und bleiben Sie da, bis das Rütteln aufhört."

+++ Als würde ein Riese versuchen, das Gebäude umzukippen +++

[20.39 Uhr] Jonathan Stock berichtet aus New York: Im 6. Stock des Chelsea Savoy Hotels in der 23. Straße vibriert der Tisch, das Gebäude schwankt, es fühlt sich an, als sei man besoffen oder als versuche ein Riese, das Gebäude langsam umzukippen. Ein paar Sekunden später dasselbe Gefühl. Terroranschlag? Erdbeben? Aus dem Fenster sehe ich auf der 7. Avenue die Autos vorbeifahren, Fußgänger spazieren in der Sonne auf dem Bürgersteig. Der Anschluss in die Lobby ist besetzt. Später erreiche ich den Pförtner. "Das Gebäude hat gewackelt? Haben wir nicht mitbekommen." Habe ich mir das Schwanken nur eingebildet? Oder sind im Erdgeschoss die Erschütterungen nicht zu spüren gewesen. Dann die SMS von Marc Pitzke aus Washington: "Erdbeben! Wir werden evakuiert"

+++ Flugverkehr in New York gestoppt +++

[20.38 Uhr] Der Tower des New Yorker Kennedy-Flughafens wurde evakuiert und der Flugverkehr angehalten. Auch die Luftwaffenbasis Andrews bei Washington, über die alle Flüge des Präsidenten laufen, wurde evakuiert. US-Präsident Barack Obama befindet sich zurzeit im Urlaub auf der Insel Martha's Vineyard in Massachusetts, 800 Kilometer nordöstlich des Epizentrums. Nach Angaben des Geologischen Dienstes der USA war dies das schwerste Beben in Virginia seit dem 5. Mai 1897.

+++ Amtrak stellt Verkehr ein +++

[20.35 Uhr] Die Eisenbahngesellschaft Amtrak stellte vorübergehend ihren gesamten Zugverkehr auf der Nordosttrasse zwischen Washington und New York ein, um die Schienen, Weichen und Tunnel auf Schäden zu überprüfen. Der Schnellzug "Acela" von New York nach Washington - ein beliebter Pendlerzug für Politiker und Wall-Street-Banker - stoppte außerhalb von Baltimore. Die Verzögerungen dürften sich mindestens auf Stunden belaufen. "Das macht Amtrak an der Westküste fast jede Woche mit", hieß es in der Amtrak-Zentrale.

+++ MSNBC sendet aus dem Vorgarten +++

[20.33 Uhr] Das Sendegebäude des Nachrichtensenders MSNBC in Washington wurde ebenfalls evakuiert. Anchorfrau und Chefkorrespondentin Andrea Mitchell, die gerade im Studio im dritten Stock saß, baute sich mit ihrem Team im Vorgarten auf und stieg wieder live ein. "Es muss schon einiges passieren", sagte sie, "um mich aus dem Äther zu vertreiben."

"So ein Quatsch", amüsierte sich der Banker John Urquijo, der bei der staatlichen Hypothekenbank Fannie Mae in Washington arbeitet, über die Aufregung. Urquijo stammt aus Los Angeles. "Alle diese Kids bei Fannie flippen aus. Für einen Typen aus Kalifornien war das nur ein Mini-Erdbeben."

+++ Washington +++

[20.20 Uhr] Es begann mit einem leisen Rumpeln, wie eine U-Bahn, die unter dem Gebäude durchfährt, oder ein Schwerlaster. Doch dann wurde es lauter und fester, und die Wände begannen zu wackeln, in unregelmäßigem Rhythmus. Der erste Eindruck war: eine Explosion. Doch das Rütteln dauerte an, scheinbar eine halbe Minute lang - und hörte schließlich so schnell wieder auf, wie es begonnen hatte.

In Washington wurden alle Regierungsgebäude evakuiert, darunter das Weiße Haus und der Kongress. Am Thomas Circle nördlich des Weißen Hauses strömten Hunderte Beamte und Angestellte auf die Straße und sammelten sich auf dem Grünstreifen. Die Häuser hier sind relativ niedrig, sechs, sieben Stockwerke höchstens. Einige der Leute schauten besorgt zur Kirchturmspitze der National City Christian Church hoch, einem mächtigen Bau von 1930. Ein Kleinbus des Heimatschutzministeriums fuhr auf den Gehweg, der Fahrer blieb aber drinnen sitzen und ließ die Scheiben hochgekurbelt.

Mit Material von Reuters und AP