Lithographie von Michael Parkes, Schlafparalyse
© Michael Parkes, TheWorldOfMichaelParkes.comSymbolbild: Lithographie von Michael Parkes.
Leiden (Niederlande) - Schon im antiken Mesopotamien werden Albträume verursachende nachtaktive Dämonen beschrieben, die an Schlafenden sexuelle und/oder aggressive Handlungen vollziehen und einem den sprichwörtlichen Atem rauben. Im Mittelalter als aufgrund der von lateinischen Bezeichnung für "oben liegen" (incubare) als "Incubus" beschrieben, werden solche Erlebnisse bis heute immer wieder berichtet. Das Ergebnis einer Metastudie zeigt nun, dass das Incubus-Phänomen aus klinischer Sicht weitaus größere Relevanz birgt als die reine sog. Schlafparalyse, als die entsprechende Erfahrungen bislang gerne abgetan wurden.

Tatsächlich sei das wortwörtlich furchterregende Phänomen sehr viel weiter verbreitet als bislang vermutet, berichten Professor Dr. Jan Dirk Blom von der Universiteit Leiden und Kollegen aktuell im Fachjournal Frontiers in Psychiatry (DOI: 10.3389/fpsyt.2017.00253). Zudem tragen sich die Erlebnisse zwar tatsächlich meist während der Phasen der sogenannten Schlafparalyse zu - also in einem auch als Schlafstarre bezeichneten Zustand, während dessen die Skelettmuskulatur geradezu gelähmt ist, wodurch verhindert wird, dass wir geträumte Bewegungen tatsächlich ausführen - doch gehe das Phänomen weit über diese reine Schlaflähmung hinaus.

Während normalerweise der so paralysiert Schlafende schläft, kommt es immer wieder vor, dass Menschen in diesem Zustand teilweise erwachen, ohne dass sich die Starre löst und die Betroffenen jedoch weiterhin träumen. Ein Zustand also zwischen Wachen und Traum, jedoch in der Schlafstarre gefangen.

"Liegt man in diesem Zustand der Paralyse im Bett, so wird das durch potentielle Gefahren gesteuerte Aufmerksamkeitssystem im Hirn aktiviert und trägt seinen Teil mit dazu bei, dass die Betroffenen halluzinieren und den Zustand, der oft auch mit empfundener Atemnot einhergeht, mit einem aufhockenden Wesen assoziieren", so Blom und führt weiter aus: "Was die betroffene Person in diesem Zustand 'sieht' ist vermutlich eine Kombination ihrer tatsächlichen Umgebung und einem Albtraum, die in die reale Welt projiziert wird, wodurch sich das Erlebnis tatsächlich extrem real anfühlen kann."

In ihrer Metastudie haben die Wissenschaftler um Blom 13 frühre Studien zum Incubus-Phänomen aus verschiedenen Ländern (USA, Kanada, Japan, China, Italien und Mexiko) und damit rund 1.800 Menschen mit entsprechenden Erfahrungen untersucht und miteinander verglichen.

Das Ergebnis zeigt, dass eine von 10 Personen bzw. fast 11 Prozent aller Menschen entweder bereits ein Incubus-Erlebnis hatten oder noch haben werden. Allerdings scheint es Personengruppen mit einem erhöhten Risiko dafür zu geben. Zu diesen Gruppen gehören demnach neben Personen mit psychiatrischen Störungen vermehrt auch Flüchtlinge, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines traumatischen Incubus-Erlebnisses bei bis zu 41 Prozent liege. Die Ursache hierfür sehen die Wissenschaftler in den tatsächlichen traumatischen Erlebnisse dieser Menschen.

Auch die Schlafposition könne zum Incubus-Phänomen beitragen, wenn beispielsweise die Schlafposition auf dem Rücken liegend, die Erfahrungen ebenso begünstigen wie Alkoholkonsum und unregelmäßige Schlafmuster.

Während Schilderungen entsprechender nächtlicher Erlebnisse, von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten gerne schlichtweg als "böse Träume" abgetan werden, könne das Incubus-Phänomen aber auch zu zusätzlichen Problemen wie u.a. Ängste, darauf beruhende Schlafstörungen und sogar wahnhafte Störungen wie Schizophrenie führen, gibt Blom zu bedenken. Zugleich deute die Datenlage aber auch daraufhin, dass entsprechende Erlebnisse auch auf bereits vorhandene Traumata, vom Stress bis hin zum sexuellen Missbrauch, hindeuten können - aber nicht zwangsläufig müssen.
Hintergrund

Während der Begriff "Alptraum" mittlerweile allgemein für schlechte oder böse Träumer aller Art verwendet wird, bezeichnete er ursprünglich jedoch ausschließlich das Incubus-Phänomen und leitet sich schon namentlich von der Bezeichnung "Alp" für Elb bzw. Elfen ab.
Der Albtraum, Ölgemälde von Henry Fuseli (1781)
© GemeinfreiDer Albtraum, Ölgemälde von Henry Fuseli (1781)
Schon das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens von 1927 berichtet dazu folgendes:
"Der Alptraum hebt sich aus der Masse der gewöhnlichen Träume durch eine gewisse Typik seines Inhalts und seiner Formen heraus: der von Alptraum befallenen Schläfer glaubt meistens, das ein Wesen tierischer oder menschlicher Gestalt sich auf seiner Brust niederlasse und ihn bis zur Erstickungsgefahr drücke; er fühlt sich dabei im Zustande hochgradiger Angst und außerstande, sich zu rühren oder einen Laut von sich zu geben, bis endlich eine energische Bewegung, ein Aufschrei oder dergleichen ihn zum Erwachen befreit. Nicht selten sind mit dem Ausdruck erotische Träume verbunden. Hervorgehoben wird von den meisten Beobachtern eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit und Einprägsamkeit der Alptraumvisionen (...)"
Nicht nur in der Beschreibung nimmt das zitierte Handwörterbuch schon damals die aktuelle Metastudie vorweg und warnt, ein häufig wiederholter Alptraum könne zu "schwere Gesundheitsstörungen, Geisteskrankheit, epileptische und hysterische Zuständen" führen.

Auch bestätigt die Beobachtung der Metastudie das, was u.a. schon der Volksglaube als eines von vielen übernatürlichen und natürlichen Hilfsmitteln gegen den Alptraum benennt, wenn vom Schlaf auf dem Rück abgeraten wird: "(man lege sich) auf den Bauch oder zum mindesten nicht auf den Rücken." Tatsächlich erinnere ich mich selbst (A. Müller, GreWi-Hrsg.) an den Rat einer damals steinalten Bäuerin, auf deren Familienhof ich als Kind mit meiner eigenen Familie nahe Tirol die Ferien verbracht hatte. Angesichts ungewöhnlich häufig wiederkehrender schlechter Träume meiner Schwester vor Ort fragte diese "Mütterlein" ob "das Kind denn auf den Rücken schlafe?" Als wir dies bejahten, riet sie davon ab und erklärte, das sei dann ja auch kein Wunder..."
Vor diesem Hintergrund sehen die Autoren der Metastudie auch eine mögliche Verbindung zwischen dem Incubus-Phänomen und dem Syndrom des plötzlichen, nächtlichen Todes von Erwachsenen, in dem erwachsene Menschen völlig unerwartet während des Schlafs versterben.
"Unsere Studie zeigt, dass viele Menschen mit Incubus-Erfahrungen oft von Angstzuständen berichten, deren Intensität die normaler Ängste deutlich übersteigt und sie sich sogar davor fürchten, während bzw. durch ein Incubus-Vorfall zu sterben" erläutert Blom weiter. "Ob dies auch schon tatsächlich vorgekommen ist, können wir zwar nicht sagen, aber für die Betroffenen können die Erlebnisse derart real und traumatisch sein, dass eine solche Angst durchaus nachvollziehbar wäre."
In ihrer Metaanalyse zeigen die Forscher auch, dass die Form des Incubus und die Art und Weise, wie die "Opfer" auf die vermeintlich dämonische Erscheinung reagieren, sehr unterschiedlich ausfallen kann und beobachten hier einen Zusammenhang mit dem soziokulturellen Hintergrund der Betroffenen. Dies zeige sich schon in den unterschiedlichen Bezeichnungen für das Phänomen in unterschiedlichen Sprachen und Ländern: Während der Dämon beispielsweise im Griechischen als "Ephitaltes", also als "der, der auf einen springt" bezeichnet wurde, kennen Japaner entsprechende Erlebnisse als "Kanashibari" und damit als einen "wie von Metall gebundenen" Zustand. In der Karibik sprechen die Menschen vom sogenannten "Kokma" und meinen damit den Geist eines verstorbenen Säuglings, während das Phänomen in Mexiko als "me subió el muerto", also als einen "toten Körper, der auf mich geklettert ist", bezeichnen. (Anm. GreWi: Ob die weitere Behauptung der Autoren zutrifft, wonach auch das moderne Phänomen der "Entführungen durch Außerirdische", also sog. "Alien Abductions" damit gleichzusetzen sei, wage ich aufgrund der doch deutlich unterschiedlichen Merkmale und Erfahrungsberichte sog. Abductees, also der sog. "Entführten", an dieser Stelle in Frage zu stellen...?)

"Patienten mit einem muslimischen Hintergrund interpretieren die Erlebnisse oft als Beleg dafür, dass sie von einem Dschinn, also einem dämonischen Wesen, das aus rauchlosem Feuer erschaffen wurde, über Verstand verfügt und neben den Menschen und den Engeln die Welt bevölkert, heimgesucht wurden und werden. In anderen Fällen werden die nächtlichen Dämonen aber auch als weniger bösartig und sogar unterhaltsam beschrieben. In einem sicherlich ungewöhnlichen Fall beschrieb beispielsweise ein 15-jähriges Mädchen, dass sie vier Mini-Pinguine gesehen habe, die an einem ebenso kleinen Tisch sitzend auf ihren Brustkorb gemeinsam aßen."