Wie die Eroberung Englands durch die Normannen 1066 gelang, berichtet der berühmte Teppich von Bayeux. In diesem Sinn schaffte Napoleon I. ihn in den Louvre. Jetzt zieht das gute Stück erneut um.

Komet Halley Teppich Bayeux
© Wikipedia/MyrabellaVorzeichen des nahenden Übels: Komet Halley auf dem Teppich von Bayeux
Bis zum Nachmittag hielt der angelsächsische Schildwald stand. König Harold II. Godwinson hatte seine Krieger auf einer leichten Anhöhe in dichten Reihen positioniert, die sich gegen die wiederholten Kavallerieattacken der Normannen behaupten konnten. Als gar das falsche Gerücht die Runde machte, ihr Führer Herzog Wilhelm von der Normandie sei gefallen, begann sich das Heer der Invasoren aufzulösen. Viele sächsische Krieger setzten ihnen nach und öffneten damit ihre Schlachtreihe. Die Lücken nutzten die Normannen zum entscheidenden Schlag. Am Abend war Harald tot. Wenige Wochen später wurde Wilhelm in Westminster zum neuen König von England gekrönt.

Das Treffen von Hastings am 14. Oktober 1066 gehört zu den großen Entscheidungsschlachten der Geschichte. Die angelsächsische Herrschaft über die britische Hauptinsel wurde von Eroberern abgelöst, die sich auf Dauer niederließen und die Grundlagen der englischen Gesellschaft legten. "Keiner sonst hat je die Insel eingenommen", sagt der Historiker Alain Dolbecq aus Falaise, dem Geburtsort Wilhelms in der Normandie: "Julius Caesar nicht, Karl der Große nicht, Napoleon nicht und Adolf Hitler nicht." Für die Engländer gibt es bis heute "die Zeit vor Hastings und die Zeit nach Hastings".

Die wichtigste Quelle zu den Ereignissen, die sich um Hastings zutrugen, ist 68,38 Meter lang und zwischen 48 und 53 Zentimeter hoch: der berühmte Wandteppich von Bayeux (Departement Calvados) in der Normandie. In 58 gestickten Szenen berichtet er detailliert die Geschichte der Schlacht. Anfang Dezember kehrt der Teppich nun für fünf Wochen aus dem Centre Guillaume le Conquerant in jene Kirche zurück, für die er gewebt wurde, die Kathedrale von Bayeux - allerdings nur als multimediales Spektakel.

So eroberten die Normannen 1066 England

Der Teppich, seit 2007 auf der Unesco-Liste des Weltdokumentenerbes geführt, ist ein in dieser Größe und Qualität einmaliges Kunstwerk - und zugleich ein Zeugnis mittelalterlicher Propaganda. So verwendeten seine Schöpfer gleich mehrere Meter Stoff für die Darstellung der Eide, mit denen der kinderlose englische König Eduard der Bekenner gemeinsam mit seinem Stiefsohn Harold Godwinson die Berufung Wilhelms zum Nachfolger beschworen haben soll.

Dass damit ausgerechnet der Normanne aus Frankreich und nicht Eduards Großneffe Edgar Ætheling oder Harold als Erbe legitimiert worden sein solle, haben Historiker von jeher bezweifelt. Hinzu trat im Übrigen noch ein vierter Anwärter auf den englischen Thron, der norwegische König Harald III., wegen seines brutalen Umgangs mit Gefangenen auch "der Harte" genannt. Sie entschieden den Streit auf ihre Weise. Edgar, 1066 um die 15 Jahre alt, war den englischen Großen wohl zu jung. Harold Godwinson konnte den Norweger wenige Wochen vor Hastings an der Stamford Bridge bei York besiegen. Godwinsons Tod bei Hastings machte indes Wilhelm zum Sieger.

Aus dessen Perspektive erzählt der Teppich seine Geschichte. Seit seiner Restaurierung 1982/83 ist sicher, dass er aus neun Leinenbahnen bestand, deren letzte, die Wilhelms Krönung zeigt, verloren gegangen ist. Da der Teppich nur wenige Jahre nach der Schlacht, wahrscheinlich vor 1082 entstand, geht die Forschung von verschiedenen Werkstätten in Südengland aus, die die Bilder von 623 Menschen, 202 Pferden, 41 Schiffen, 23 Gebäuden und 560 weiteren Tieren schufen. Für verschiedene Werkstätten und Autoren sprechen die unterschiedlichen Schreibweisen von Namen, die auf den Teppich eingewebt sind.

Was der Teppich von Bayeux erzählt

Allerdings hat die Textilspezialistin Alexandra Makin von der Universität Manchester unlängst einen Gegenentwurf vorgestellt: Die einheitliche Stichführung auf dem Tuch widerspräche der späten Zusammenführung seiner Einzelteile. Ein einziges großes Team von Ordensfrauen hätte das Werk vielmehr vollendet und dabei fast ein Zentner Wolle verarbeitet.

Als mögliche Auftraggeber kommen drei Personen in Betracht: Bischof Odo von Bayeux, der Halbbruder Wilhelms und Teilnehmer des Feldzugs; ebenso der französische Graf Eustachius von Boulogne. Dieser legte sich später militärisch erfolglos mit Odo an - und beauftragte den Teppich möglicherweise als Versöhnungsgeschenk.

Und drittens die Schwester des besiegten Königs Harold und Witwe König Eduards des Bekenners, Edith von Wessex. Der normannische Sieger Wilhelm enteignete zwar den Großteil des angelsächsischen Adels, verschonte jedoch ausgerechnet Edith. Möglich, dass die Hochgebildete im Gegenzug durch die gestickte Geschichtsinterpretation propagandawirksam Wilhelms Herrschaftsanspruch anerkannte.

Bayeux Pferde Wikinger / horses Vikings Knights
© Unbekannt
Die Bilder auf dem Teppich von Bayeux berichten von der Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm 1066: Die Normannen beladen ihre Schiffe ...
© picture-alliance / akg-images //akg-images / Erich LessingDie Bilder auf dem Teppich von Bayeux berichten von der Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm 1066: Die Normannen beladen ihre Schiffe ...
Teppich von Bayeux:… die normannische Flotte setzt von der Normandie nach England über ...
© picture-alliance / AKG/AKG Berlin… die normannische Flotte setzt von der Normandie nach England über ...
Wilhelm landete am 18. September (jul. Kalender) 1066 in Südengland, dargestellt auf dem Teppich von Bayeux, der einige Jahre nach der Schlacht entstand.
© pa/akg-images/akg/akg-images… die Landung gelingt. Wilhelm landete am 18. September (jul. Kalender) 1066 in Südengland. Der angelsächsische König Harald steht mit seinem Heer noch im Norden ...
Teppich von Bayeux: … das Erscheinen des Kometen Halley deuten Astrologen als Zeichen für den Untergang Haralds ...
© picture-alliance / akg-images //akg-images / Erich Lessing… das Erscheinen des Kometen Halley deuten Astrologen als Zeichen für den Untergang Haralds ...
Teppich von Bayeux: … während die Normannen auf ihre Reiterei vertrauen ...
© picture-alliance / akg-images/akg-images… während die Normannen auf ihre Reiterei vertrauen ...
Teppich von Bayeux: … kämpfen die Angelsachsen bei Hastings überwiegend zu Fuß ...
© picture-alliance / akg-images //akg-images / Erich Lessing… kämpfen die Angelsachsen bei Hastings überwiegend zu Fuß ...
Teppich von Bayeux: … bei einem Kavallerie-Angriff am Abend wird Harald schließlich tödlich verwundet ...
© picture-alliance / akg-images //akg-images / Erich Lessing… bei einem Kavallerie-Angriff am Abend wird Harald schließlich tödlich verwundet ...
Teppich von Bayeux: … zu dem Festgelage ist auch Bischof Odon eingeladen ...
© picture-alliance / akg-images //akg-images / Erich Lessing… zu dem Festgelage ist auch Bischof Odon eingeladen ...
Wilhelm ließ sich zu Weihnachten 1066 zum König von England krönen.
© picture-alliance / akg-images //akg-images / Erich Lessing… der Sieger ist Wilhelm. Zu Weihnachten 1066 wird er zum König von England gekrönt.
Tapisserie de Bayeux
© InconnuTapisserie de Bayeux
Die Eroberung Englands kann gelingen

Im späten Mittelalter wurde der Teppich alljährlich in der Kathedrale von Bayeux zur Schau gestellt. Während des Bildersturms der Französischen Revolution verhinderte nur das Eingreifen eines mutigen Bürgers, dass das Kunstwerk 1792 als Wagenplane für einen Militärtransport endete. Auch 1794 kamen Kunstverständige einem Kleinschneiden für Deko-Zwecke zuvor.

1803 ließ Napoleon den Teppich als Propagandawaffe für seine geplante Eroberung Englands in den Pariser Louvre bringen. Noch einmal sollte er aller Welt vor Augen führen, dass eine Invasion der britischen Inseln würde gelingen können. Zwar kehrte das gute Stück kurz darauf nach Bayeux zurück, nahm jedoch in der Folge durch falsche Lagerung Schaden. Erst in den 1840er-Jahren begann man ernsthaft mit der Untersuchung und Sicherung des Tuchs.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Wandteppich von der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS erneut ideologisch missbraucht - diesmal um eine angebliche kämpferische und rassische Überlegenheit nordisch-arischer Völker zu belegen. Über verschiedene Magazin kam er schließlich erneut in den Louvre, wo er alliierten Truppen 1944 in die Hände fiel. Seit 1945 befindet sich der Teppich wieder in Bayeux, wo er seit 1982 im dortigen Centre Guillaume le Conquerant ausgestellt wird. Was jetzt in der 150 Meter entfernten Kathedrale gezeigt wird, ist eine Kopie, die auf eine Leinwand projiziert wird.