macron on throne
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Über Jahrhunderte hoffte die "Linke", Volksbewegungen könnten Veränderungen zum Besseren bewirken. Heute scheinen viele Linke derartige Bewegungen zu fürchten, mit der Überzeugung, dass "Populismus" zwangsläufig zu "Faschismus" führen muss. Doch das muss es nicht, meint Diana Johnstone.


Jedes Automobil in Frankreich muss mit einer gelben Weste ausgestattet sein. Das ist so, damit der Fahrer sie im Fall eines Unfalls oder einer Panne auf einer Autobahn anziehen kann, um besser sichtbar zu sein und um vermeiden zu können, überfahren zu werden.

Also nahm die Idee, eine gelbe Weste zu tragen, um gegen unbeliebte Maßnahmen der Regierung zu demonstrieren, rasch an Fahrt auf. Die Kostümierung war zur Hand und musste nicht von Soros für irgendeine mehr oder weniger fabrizierte "Farbrevolution" bereitgestellt werden. Die Symbolik passte: im Fall einer sozio-ökonomischen Notlage zu zeigen, dass man nicht überfahren (bzw. übergangen) werden will.

Wie jeder weiß, war der Auslöser der Protestbewegung ein weiterer Anstieg von Benzinsteuern. Doch es war unmittelbar klar, dass weit mehr im Spiel war. Die Benzinsteuer war der Gipfel einer Serie von Maßnahmen, welche die Reichen auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung begünstigen. Aus dem Grund erlangte diese Bewegung beinahe sofortige Beliebtheit und Unterstützung.

Die Stimmen des Volkes

Die Gelbwesten hielten ihre ersten Demonstrationen am Samstag dem 17. November auf dem Champs-Elysées in Paris ab. Diese waren vollkommen anders als die gewöhnlichen Gewerkschaftsdemonstrationen, die gut organisiert den Boulevard vom Place de la République zum Place de la Bastille hinab (oder andersherum) entlang marschieren, wobei sie Banner tragen und zum Schluss den Reden von Wortführern lauschen. Die Gelbwesten (Gilets Jaunes) kamen einfach zusammen, ohne Organisation und ohne Führer, die ihnen sagten, wo es hingehen sollte oder welche eine Ansprache vor der Menge hielten.

Kurz gesagt, war die Botschaft: Wir kommen nicht über die Runden. Die Lebenshaltungskosten steigen weiter an, während unsere Einkommen sinken. Wir können das nicht mehr mitmachen. Die Regierung muss innehalten, nachdenken und den Kurs ändern.

Doch bisher bestand die Reaktion der Regierung darin, die Polizei zu entsenden, um Schwälle an Tränengas in die Menge zu sprühen, vermutlich um die Menschen von der nahen Residenz des Präsidenten, dem Elysee-Palast, fernzuhalten. Präsident Macron war irgendwo anders, wobei er sich scheinbar selbst als über und jenseits alledem stehend ansah.

Doch jene die zuhörten, konnten eine Menge über den heutigen Zustand Frankreichs lernen. Besonders in den Kleinstädten und ländlichen Gegenden, aus denen viele der Protestierenden kamen. Die Dinge stehen weitaus schlechter, als wie Beamte und die Medien in Paris es vorgegeben haben.

Da waren junge Frauen, die sieben Tage die Woche arbeiten und verzweifelt sind, ob sie genug Geld haben, um ihre Kinder zu ernähren und zu kleiden.

Menschen waren wütend, doch bereit, die ökonomischen Probleme sehr klar darzulegen.

Colette, 83 Jahre alt, besitzt kein Auto, doch erklärte jedem, der zuhörte, dass der steile Anstieg von Benzinpreisen auch den Menschen schade, die nicht fahren - indem er sich auf Lebensmittelpreise und andere Notwendigkeiten auswirkt. Sie hatte die Berechnungen vorgenommen und schätzte, dass es eine pensionierte Person 80 Euro pro Monat kosten würde.

"Macron kandidierte nicht für das Versprechen, Renten einzufrieren", erinnerte sich eine Gelbweste, aber das ist es, was er getan hat, neben steigenden Solidaritätssteuern für Rentner.

Eine bezeichnende und wiederkehrende Beschwerde betraf den Bereich Gesundheitsfürsorge. Frankreich hatte lange Zeit das beste Programm für öffentliche Gesundheit weltweit gehabt, doch dieses wird stetig unterminiert, um das Hauptbedürfnis des Kapitals zu erfüllen: Profit. In den letzten Jahren hatte es eine wachsende Regierungskampagne gegeben, um Menschen zu ermutigen und sie schließlich zu verpflichten, eine "mutelle" zu unterschreiben. Dabei handelt es sich um eine private Gesundheitsversicherung, die scheinbar "die Lücken" füllen soll, die nicht von Frankreichs flächendeckender Gesundheitsversorgung gedeckelt werden können. Die "Lücken" können die 15% darstellen, wo keine Kostendeckung für gewöhnliche Krankheiten besteht (schwere Krankheiten werden zu 100% gedeckt) oder wo es sich um Medikamente handelt, die von der Liste "versichert" gestrichen sind oder um Zahnbehandlungen, unter anderem. Die zu füllenden "Lücken" weiten sich immer mehr aus, neben den Kosten, die mutelle zu unterschreiben. In Wahrheit ist dieses Programm, das der Bevölkerung als modernisierende Verbesserung verkauft wird, ein gradueller Schritt Richtung Privatisierung der Gesundheitsfürsorge. Es handelt sich um eine hinterhältige Methode, den gesamten Bereich der öffentlichen Gesundheit internationaler Finanzkapital-Investition zu öffnen. Dieser Schachzug hat die gewöhnlichen Leute nicht getäuscht und befindet sich auf der Liste der Beschwerden der Gilets Jaunes ganz oben.

Die Verschlechterung der Versorgung in den öffentlichen Krankenhäusern ist eine weitere Beschwerde. Es gibt immer weniger Krankenhäuser in ländlichen Gegenden und man muss in Notaufnahmen so lange "warten, bis man stirbt". Jene, die es sich leisten können, wenden sich an private Krankenhäuser. Doch die meisten können das nicht. Pflegepersonal ist überarbeitet und unterbezahlt. Wenn man hört, was Pflegekräfte durchmachen müssen, ruft es einem in Erinnerung, dass dies in der Tat ein edler Beruf ist.

Bei alledem kommt mir eine junge Frau ins Gedächtnis, die wir im vergangenen Sommer bei einem öffentlichen Picknick in Südwest-Frankreich trafen. Sie kümmert sich um ältere Leute, die in ländlichen Gegenden allein leben, fährt von einem zum anderen, füttert sich, badet sie, widmet ihnen einen Augenblick fröhlicher Gesellschaft und Verständnisses. Sie liebt ihre Berufung, liebt es, alten Leuten zu helfen, obgleich sie kaum davon zu leben vermag. Sie wird unter denen sein, die mehr dafür zahlen müssen, von einem Patienten zum nächsten zu gelangen.

Menschen zahlen bereitwillig Steuern, wenn sie etwas dafür erhalten. Doch nicht, wenn ihnen die Dinge, die sie gewöhnt sind, fortgenommen werden. Die Steuerhinterzieher sind die Superreichen und die großen Konzerne mit ihren Reihen an Anwälten und Zufluchtsorten, oder Eindringlinge wie Amazon und Google, doch gewöhnliche Franzosen sind relativ diszipliniert in der Entrichtung ihrer Steuern gewesen, um dafür exzellente öffentliche Dienstleistungen zu erhalten: optimale Gesundheitsversorgung, erstklassigen öffentlichen Verkehr, schnellen und effizienten Postdienst, freie Hochschulbildung. Doch all das wird von der Herrschaft des Finanzkapitals angegriffen, der hier als "Neoliberalismus" bezeichnet wird. In ländlichen Gegenden werden immer mehr Poststellen, Schulen und Krankenhäuser dicht gemacht, unprofitable Zugverbindungen werden nicht fortgesetzt, da nach Direktiven der Europäischen Union "freier Wettbewerb" eingeführt wird - Maßnahmen, die Menschen dazu verpflichten, ihr Auto mehr als je zu benutzen. Insbesondere wenn riesige Einkaufszentren traditionelle Läden in Kleinstädten trockenlegen.

yellow vests gilets jaune
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Inkohärente Energiepolitik

Und die von der Regierung verkündete Steuer - zusätzliche 6,6 Cents pro Liter für Diesel und zusätzliche 2,9 Cents pro Liter für Benzin - ist nur der erste Schritt in einer Reihe geplanter Erhöhungen über die nächsten Jahre. Die Maßnahmen sollen Menschen dazu bewegen, weniger zu fahren - oder noch besser, ihr altes Fahrzeug zu verschrotten und schöne neue Elektro-Autos zu kaufen.

Bei immer mehr "Staatslenkung" handelt es sich um Manöver in Social Engineering (bzw. sozialer Manipulation - AdÜ) von Technokraten, die wissen, was das Beste ist. Dieses bestimmte Manöver läuft direkt im Gegensatz zu einer früheren Maßnahme sozialer Steuerung, die wirtschaftliche Anreize nutzte, um Menschen dazu zu bringen, ihre Autos mit Diesel zu betreiben. Nun hat die Regierung anders entschieden. Mehr als die Hälfte von Privatfahrzeugen fahren noch mit Diesel, obgleich der Prozentsatz gesunken ist. Nun wird ihren Besitzern gesagt, sie sollen stattdessen auf ein Elektro-Auto umsteigen. Doch Menschen, die auf der Kante leben, können sich den Umstieg einfach nicht leisten.

Zudem ist die Energiepolitik inkohärent. Theoretisch beinhaltet die "grüne" Wirtschaft, dass die vielen Atomkraftwerke in Frankreich geschlossen werden. Woher würde der Strom für den Antrieb der Elektro-Autos aber dann kommen? Und Atomkraft ist "sauber", nicht CO2. Was ist also los? Die Leute wundern sich.

Die vielversprechendsten Quellen für alternative Energie in Frankreich sind die kräftigen Gezeiten entlang der Nordküsten. Doch im vergangenen Juli wurde das Projekt für Gezeiten-Energie an der Küste der Normandie plötzlich fallengelassen, weil es nicht profitabel war - nicht genug Kunden. Das ist symptomatisch für das, was mit der derzeitigen Regierung falsch läuft. Neue Industrie-Großprojekte sind zuerst fast nie profitabel, weshalb sie Unterstützung durch die Regierung und Subventionen benötigen, um am Laufen gehalten zu werden, mit einem Blick auf die Zukunft. Solche Projekte wurden unter de Gaulle unterstützt, erhoben Frankreich auf den Status einer industriellen Großmacht und beschafften der Bevölkerung als Ganzes Wohlstand ohnegleichen. Doch die Regierung von Macron investiert weder in die Zukunft noch tut sie etwas, um die verbleibende Industrie zu erhalten. Das französische Schlüssel-Energieunternehmen Alstom wurde an General Electric verkauft, unter seiner Aufsicht.

Es ist in der Tat völlig idiotisch, die französische Benzinsteuer als "Ökosteuer" zu bezeichnen, da die Erträge einer echten Ökosteuer in die Entwicklung sauberer Energie investiert werden würden - wie Gezeiten-Kraftwerke. Die Gewinne werden stattdessen für einen Ausgleich des Budgets vorgesehen, das heißt, um Staatsschulden zu bedienen. Die Macron'sche Benzinsteuer ist nur eine weitere Austeritäts-Maßnahme - neben dem Beschneiden öffentlicher Dienste und dem "Verkauf der Familienjuwelen", das bedeutet, den Verkauf potentieller Geldbringer wie Alstom, Hafenanlagen und die Pariser Flughäfen.

Die Regierung verfehlt den Punkt

Anfängliche Regierunsreaktionen zeigten, dass sie nicht zuhörten. Sie griffen auf ihren Vorrat an Klischees zurück, um etwas abzuwerten, das zu verstehen sie sich gar keine Mühe machen wollten.

Präsident Macrons erste Reaktion war, in den Protestierenden Schuldgefühle zu erwecken, indem er das stärkste Argument der Globalisten für die Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen beschwor: globale Erwärmung. Er ließ durchblicken, dass jegliche kleinen Beschwerden von Leuten nichts im Vergleich zur Zukunft des Planeten sei.

Das machte keinen Eindruck auf Menschen, die ja alles über Klimawandel gehört haben und denen so wie jedem anderen die Umwelt am Herzen liegt, aber sich genötigt fühlen, Folgendes darauf zurückzugeben: "Ich sorge mich mehr über das Ende des Monats als um das Ende der Welt."

Nach dem zweiten Gelbwesten-Samstag, dem 25. November, der von noch mehr Demonstranten und noch mehr Tränengas begleitet war, erklärte Gérard Darmanin, der für das Budget verantwortliche Minister, dass das, was auf dem Champs-Elysée demonstriert habe, "la peste brune" bzw. die braune Pest gewesen sei, womit er Faschisten meinte. (Für jene, die Freude daran haben, die Franzosen als Rassisten zu verurteilen, sei angemerkt, dass Darmanins Wurzeln in der algerischen Arbeiterklasse liegen). Diese Bemerkung verursachte einen Aufschrei der Empörung, der offenbarte, wie groß die öffentliche Sympathie für die Bewegung ist - mehr als 70% Zustimmung nach jüngsten Umfragen, selbst nach unkontrolliertem Vandalismus. Macrons Innenminister Christophe Castaner war genötigt zu erklären, dass die Kommunikation durch die Regierung schlecht gehandhabt worden sei. Natürlich ist das eine vertraute technokratische Entschuldigung: wir haben immer Recht, doch es ist alles eine Sache unserer "Kommunikation", nicht die der tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort.

Vielleicht habe ich etwas vergessen, doch in den vielen Interviews, denen ich gelauscht habe, hörte ich nicht ein Wort, das in die Kategorien "rechtsaußen", geschweige denn "Faschismus" fallen würde - oder das überhaupt irgendeinen speziellen Bezug im Hinblick auf politische Parteien nahelegte. Diese Menschen sind vollauf mit konkreten, praktischen Problemen beschäftigt. Nicht ein Hauch von Ideologie - bemerkenswert für Paris!


Kommentar: Aber das sagt uns einiges über die herrschenden Ideologen, welche die Massen als "rechtsaußen" hinstellen.


Einige Menschen, die der französischen Geschichte unkundig sind sowie eifrig darauf bedacht, ihren linken Purismus zur Schau zu stellen, haben behauptet, dass die Gelbwesten gefährlich nationalistisch seien, weil sie gelegentlich französische Flaggen schwenken und die La Marseilaise (die französische Nationalhymne - AdÜ) singen. Das bedeutet einfach, dass sie Franzosen sind. Geschichtlich gesehen ist die französische Linke patriotisch, vor allem als es darum ging, gegen die Aristokraten und die Reichen oder während der Nazi-Besatzung aufzubegehren. (Die Ausnahme war die Studenten-Erhebung im Mai 1968, die keinen Aufstand der Armen darstellte, jedoch eine Auflehnung in Zeiten des Wohlstands zugunsten größerer persönlicher Freiheit: "Es ist verboten zu verbieten". Die Mai-68er - Generation hat sich als die am stärksten anti-französisch eingestellte Generation der Geschichte herausgestellt, aus Gründen, die hier nicht erörtert werden können. In gewissem Maß markieren die Gelbwesten eine Rückkehr des Volkes nach einem halben Jahrhundert von Verachtung durch die liberale Intelligenzschicht.) Es ist eine Art zu sagen: Wir sind das Volk, wir tun die Arbeit und ihr müsst unserem Kummer Gehör schenken. Um schlecht zu sein, muss "Nationalismus" aggressiv gegen anderen Nationen gerichtet sein. Diese Bewegung greift niemanden an, sie bleibt strikt zu Hause.

Die Schwäche von Macron

Die Gelbwesten haben der ganzen Welt klargemacht, dass Emmanuel Macron ein künstliches Produkt war, das der Wählerschaft durch eine außergewöhnliche Medienkampagne verkauft wurde.

Macron war das Kaninchen, das auf magische Weise aus einem Zylinder gezaubert wurde - der gesponsert wurde von dem, was als die französische Oligarchie bezeichnet werden muss. Nachdem er dem etablierten Königsmacher Jacques Attali ins Auge gefallen war, wurde dem jungen Macron eine Arbeit bei der Rothschild-Bank zugedacht, woraus er schnell ein kleines Vermögen schaffen konnte, das seine Klassen-Ergebenheit gegenüber seinen Sponsoren sicherte. Reizüberflutung durch die Medien und deren Schreckenskampagne gegen die "faschistische" Marine LePen (die zudem ihre große Debatte vermasselte) hoben Macron ins Amt. Er hatte seine Frau getroffen, als sie seine Theaterklasse unterrichtete und nun kann er Präsident spielen.

Die Mission, die ihm von seinen Sponsoren zugedacht wurde, war klar. Er muss energischer die "Reformen" (Austeritäts-Maßnahmen) durchbringen, die bereits von Vorgänger-Regierungen vorgenommen worden sind, welche oft dabei getrödelt haben, den Niedergang des Sozialstaates zu beschleunigen.

Und darüber hinaus sollte Macron "Europa retten". Europa zu retten bedeutet, die Europäische Union aus dem Sumpf zu ziehen, in dem sie sich befindet.

Aus diesem Grund sind Kostensenkungen und Etatausgleich seine Obsession. Weil er von der Oligarchie, die seine Kandidatur gesponsert hat, dazu ausersehen war, das zu tun. Er war von der Finanzoligarchie vor allem dafür vorgesehen, die Europäische Union vor dem drohenden Zerfall durch den Euro zu retten. Die von der EU geschlossenen Abkommen und insbesondere die Gemeinschaftswährung, der Euro, haben ein Ungleichgewicht zwischen Mitgliedstaaten geschaffen, das unhaltbar ist. Die Ironie besteht darin, dass vorherige französische Regierungen, angefangen bei Mitterrand, größtenteils verantwortlich für diesen Zustand sind. In einem verzweifelten und technisch betrachtet schlecht durchdachten Bemühen, das neuvereinte Deutschland davon abzuhalten, die vorherrschende Macht in Europa zu werden, haben die Franzosen darauf bestanden, Deutschland durch eine gemeinsame Währung an Frankreich zu binden. Die Deutschen haben dem Euro zögerlich zugestimmt - doch nur mit deutschen Bedingungen. Das Ergebnis ist, dass Deutschland zum unwilligen Gläubiger für die ebenso unwilligen EU-Mitgliedstaaten Italien, Spanien, Portugal und natürlich das zugrunde gerichtete Griechenland geworden ist. Die finanzielle Kluft zwischen Deutschland und seinen südlichen Nachbarn verbreitert sich weiterhin, was Groll auf allen Seiten erzeugt.

Deutschland will keine Wirtschaftskraft mit Staaten teilen, die es als verantwortungslose Verschwender erachtet. Daher besteht Macrons Mission darin, Deutschland zu zeigen, dass Frankreich trotz seiner erlahmenden Wirtschaft "verantwortungsvoll" ist, indem es die Bevölkerung ausquetscht, um Zinsen für Schulden zu zahlen. Macrons Vorstellung ist, dass die Politiker in Berlin und die Bänker in Frankfurt so beeindruckt sein werden, dass sie sich umdrehen und sagen: 'Gut gemacht, Emmanuel. Wir sind bereit, unseren Reichtum in einen gemeinsamen Topf zu schmeißen, zugunsten aller 27 Mitgliedstaaten.' Und daher wird sich Macron von nichts aufhalten lassen, um den Etatausgleich zu bewerkstelligen, damit er die Deutschen dazu bringen kann, ihn zu lieben.

Bislang wirkt Macrons Magie nicht auf die Deutschen und sie treibt sein eigenes Volk auf die Straßen.

Oder ist es überhaupt sein Volk? Kümmert sich Macron wirklich um seine Ottonormal-Landsleute, die lediglich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen. Dem Konsens nach tut er das nicht.

Macron verliert die Unterstützung sowohl von den Leuten auf den Straßen als auch den Oligarchen, die ihn gesponsert haben. Er kriegt seine Arbeit nicht hin.

Macrons zaubertrick-artiger politischer Aufstieg lässt ihm wenig Legitimität, seitdem der Schein der Titelseiten von Hochglanzzeitschriften nachlässt. Mithilfe seiner Freunde hat Macron seine eigene Partei, La République en Marche, gegründet, was nicht viel anderes bedeutet als die Implikation von Aktion. Er bevölkerte seine Partei mit Individuen von der "Bürgergesellschaft", oftmals mittelständige Unternehmer ohne politische Erfahrung sowie einige Überläufer entweder aus der sozialistischen oder der republikanischen Partei, um die wichtigsten Regierungsposten zu besetzen.

Der einzige gutbekannte Rekrut aus der "Bürgergesellschaft" war der beliebte Umweltaktivist Nicolas Hulot, dem der Posten des Umweltministers gegeben wurde, der aber jedoch im vergangenen August in einer öffentlichen Bekanntgabe im Radio plötzlich zurücktrat, wobei er Frustration als Grund nannte.

Macrons stärkster Unterstützer aus der Polit-Klasse war Gérard Collomb, der sozialistische Bürgermeister von Lyon, dem der Spitzenkabinetts-Posten des Innenministers zutel wurde, mit der Verantwortung über die nationale Politik. Doch kurz nach Hulots Weggang sagte Collomb, er würde ebenfalls gehen, um nach Lyon zurückzukehren. Macron ersuchte ihn zu bleiben, doch am 3. Oktober zog Collomb seinen Rücktritt durch, mit einer erstaunlichen Aussage bezüglich "immenser Probleme", die auf seinen Nachfolger zukommen. In den "Problemvierteln" der Vororte von Großstädten, so sagte er, sei die Situation "ziemlich verkommen: es ist das Gesetz des Dschungels, was herrscht, Drogenhändler und radikale Islamisten haben den Platz der Republik eingenommen." Solche Vororte müssen "zurückerobert" werden.

Nach solch einer Jobbeschreibung war Macron ratlos, wie er einen neuen Innenminister einstellen sollte. Er griff um sich und kam mit einem Kumpan an, den er zum Anführer seiner Partei ausersehen hatte: den Ex-Sozialisten Christophe Castagner. Mit einem Abschluss in Kriminologie ist Castagners Haupterfahrungswert, der ihn zur Leitung der Nationalpolizei qualifiziert, seine enge Verbindung mit einem Marseiller Mafiosi in seinen Jugendjahren in den 1970ern - wahrscheinlich dank seiner Vorliebe für Pokerspiele und das Trinken von Whisky in illegalen Schuppen.

Am Samstag dem 17. November waren die Demonstrierenden friedlich, doch verübelten sie die schweren Tränengas-Angriffe. Am Samstag dem 25. November ging es wesentlich rauer zu und am Samstag dem 1. Dezember brach die Hölle los. Ohne Anführer und ohne service d'ordre (Militante, die zum Schutz der Demonstranten vor Angriffen, Provokationen und Infiltrationen abgestellt sind) war es unvermeidbar, dass casseurs (Schmetterer) die Bühne betreten und damit anfangen würden, Dinge zu zerschlagen, Läden zu plündern und Abfallbehälter, Autos und selbst Gebäude anzuzünden. Nicht nur in Paris, sondern in ganz Frankreich: von Marseilles bis Brest, von Toulouse bis Strasbourg. In der abgelegenen Stadt Puy en Velay, die für ihre auf einem Felsen stehende Kapelle sowie ihre traditionelle Klöppelei bekannt ist, wurde die Präfektur (nationale Regierungsbehörde) in Brand gesetzt. Die Ankünfte für Touristen werden gestrichen, Nobel-Restaurants sind leer und Warenhäuser haben Angst um ihre Weihnachtsschaufenster. Die wirtschaftlichen Schäden sind gewaltig.

Und dennoch bleibt die Unterstützung für die Gelbwesten hoch, vermutlich weil die Menschen die bekümmerten Bürger von den Vandalen unterscheiden können, die gern Zerstörung um ihrer selbst willen anrichten.

Am Montag gab es plötzlich neue Unruhen in den Problem-Vororten, vor denen Collomb gewarnt hatte, als er sich nach Lyon zurückzog. Das war eine neue Front für die Nationalpolizei, deren Repräsentanten verlauten ließen, dass all das ihnen zuviel werden würde, um es bewältigen zu können. Einen Ausnahmezustand zu verhängen wird nicht unbedingt irgend etwas lösen.

Macron ist eine Blase, die geplatzt ist. Die Legitimität seiner Autorität steht sehr in Frage. Dennoch war er 2017 für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt worden und seine Partei hat eine große Mehrheit im Parlament, was seine Entmachtung fast unmöglich macht.

Also, was kommt als Nächstes? Obwohl sie durch Macrons Wahlsieg 2017 in den Hintergrund geraten sind, versuchen Politiker aller Art, die Bewegung neu zu stärken - jedoch diskret, weil die Gelbwesten ihr Misstrauen gegenüber allen Politikern zum Ausdruck gebracht haben. Das ist keine Bewegung, die nach der Macht zu greifen sucht. Sie versucht lediglich, Abhilfe für ihre Sorgen zu schaffen. Die Regierung hätte von Anfang an zuhören sowie Diskussionen und Kompromisse akzeptieren sollen. Das wird zunehmend schwieriger, je mehr Zeit vergeht, aber nichts ist unmöglich.

Für etwa zwei- oder dreihundert Jahre hofften Menschen, die man als "links" bezeichnen könnte, dass Volksbewegungen zu Veränderungen zum Besseren führen würden. Heutzutage fürchten viele Linke solche Volksbewegungen, weil sie überzeugt sind, dass "Populismus" zwangsläufig zu "Faschismus" führen müsse. Diese Haltung ist einer von vielen Faktoren, der nahelegt, dass kommende Veränderungen nicht von der Linken, so wie sie heute existiert, angeführt werden. Jene die Angst vor Veränderung haben, werden nicht da sein, um sie geschehen zu lassen. Doch Veränderung ist unvermeidlich und sie braucht nicht zum Schlechteren zu sein.
Über die Autorin

Diana Johnstone ist die Autorin von Fools' Crusade: Yugoslavia, NATO, and Western Delusions. Ihr neues Buch heißt: Queen of Chaos: the Misadventures of Hillary Clinton. Die Memoiren von Diana Johnstones Vater Paul H. Johnstone, From MAD to Madness, wurden von Clarity Press veröffentlicht, von ihr kommentiert. Sie kann kontaktiert werden über: diana.johnstone@wanadoo.fr