Vor kurzem wurde eine alternative Erklärung zur sogenannten "Planet Neun"-Hypothese veröffentlicht. Professor Jihad Touma von der American University of Beirut und Antranik Sefilian von der University of Cambridge haben auf ArXiv.org und im Fachjournal "Astronomical Journal" eine Theorie präsentiert, mit deren Hilfe man keinen weiteren großen Planeten in den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems benötigt, um die abweichenden Umlaufbahnen einiger Objekte in den äußersten Bereichen des Sonnensystems zu erklären.
Mike Brown
© caltech.eduProf. Mike Brown
Dabei haben die beiden Astronomen eine hypothetische Scheibe aus vielen kleinen Objekten beschrieben, die in der Gesamtmasse die gleichen Auswirkungen auf die Umlaufbahnen der Objekte in den äußersten Bereichen des Sonnensystems ausüben soll, wie es bisher die Planet Neun-Theorie vollbracht hat.
Darin schlagen sie eine Scheibe aus kleinen eisigen Körpern mit einer Gesamtmasse von bis zu zehn Mal so viel wie jener der Erde, vor. "In Kombination mit einem vereinfachten Modell des Sonnensystems können die Gravitationskräfte einer solchen hypothetischen Scheibe die ungewöhnliche Orbitalarchitektur einiger Objekte am äußeren Ende des Sonnensystems erklären."

~ Grenzwissenschaft Aktuell
Andreas Müller von Grenzwissenschaft Aktuell hat in Bezug auf diese neue Theorie jetzt Professor Mike Brown, den bekanntesten Vertreter und Erstbeschreiber von "Planet Neun", befragt.
Gemeinsam mit Konstantin Batygin hat Mike Brown als einer der ersten die möglichen Eigenschaften des hypothetischen "neunten Planeten" konkret beschrieben und in tatsächlichen Modelle des Sonnensystems mit den beobachteten Merkmalen der abweichenden transneptunischen Objekte simuliert. Für Brown und Batygin steht fest, dass bislang alle Daten für die Existenz von "P9" sprechen, den sie seither auch intensiv suchen (...GreWi berichtete).

~ Grenzwissenschaft Aktuell
Zunächst bleibt festzuhalten, dass die neue Theorie zwar der erste gut durchdachte Versuch ist, eine alternative Erklärung zu finden, diese Erklärung in Sachen Plausibilität jedoch zu wünschen übrig lässt:
GreWi: Professor Brown, wie bewerten Sie die neue Theorie - schließlich sehen zumindest deren Autoren darin ja eine handfeste Alternative zu ihrem Modell eines noch unentdeckten massereichen Planeten, Planet Nine?

Mike Brown: "Ganz ehrlich, mir gefällt das Paper. Es ist wichtig, dass wir nach alternativen Vorschlägen suchen und es ist das erste Mal, dass jemand etwas anderes als Planet Nine vorschlägt, das dann auch jene Phänomene, die wir beobachten, erklären könnte."

GreWi: Aber es gab doch schon zuvor Alternativvorschläge?

Mike Brown: "Ja, auch andere haben schon Vorschläge gemacht, die dann aber nicht die Beobachtungsdaten erklären konnten. Diese Studie tut das nun und das ist ermutigend."

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Im nächsten Abschnitt erklärt Brown mit deutlichen Worten, warum die Theorie in Sachen Plausibilität eher unwahrscheinlich ist:
GreWi: An der Theorie von Touma und Sefilian könnte also ihrer Meinung nach etwas dran sein?

Mike Brown: "Nun, obwohl ich denke, dass diese Erklärung grundsätzlich funktioniert, halte ich sie jedoch zugleich für absolut unglaubwürdig. Die beiden Autoren legen nahe, dass statt eines einzigen Planeten von etwa der 10fache Erdmasse, man diese Masse auch in kleine Objekte aufteilen könnte, die dann in einem gewaltigen Trümmerring irgendwie auf einer länglich gestreckten Umlaufbahn, die dann seit vier Milliarden Jahren stabil die Sonne umkreisen platzieren müsste, den gleichen Effekt wie ein Planet (P9) zu erzeugen. Dieses Modell ist also sehr viel komplizierter als von einem einzelnen Objekt, eben einem Planeten auszugehen. Erst wenn die naheliegende, einfache Erklärung (in Form eines Planeten) angesichts der Beobachtungsdaten scheitern sollte, müssen wir komplexere Szenarien in Betracht ziehen. An diesem Punkt sind wir aber noch nicht angelangt."

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Brown deutet somit zu Recht auf die geringe Wahrscheinlichkeit hin, dass solch eine Scheibe für Milliarden von Jahren in irgendeiner Weise auch nur annähernd stabil die Sonne umkreisen könnte. Er stellt ebenfalls klar, dass man in der Wissenschaft erst nach den einfachsten Erklärungsmöglichkeiten für ein Phänomen suchen sollte (in diesem Fall die Planeten-Theorie), bevor man komplexere und unwahrscheinlichere Erklärungen in Betracht zieht.

Brown erklärt ebenfalls, dass eine solche Scheibe viel einfacher am Himmel zu entdecken sein müsste als Planet Neun. Was wiederum die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz verringert, da in den letzten Jahren intensiv nach Planet Neun in der Gegend gesucht wird, wo die Scheibe sich wahrscheinlich auch aufhalten könnte:
GreWi: Aber ebenso wie besagter Ring bzw. Trümmerscheibe, so wurde auch der von Ihnen beschriebene Planet noch nicht gefunden.

Mike Brown: "Das stimmt. Wir sind aber auf der Suche. Interessanterweise wäre aber ein derartig massereicher Ring sehr viel einfacher zu finden als ein einzelner Planet, da er ja aus vielen Objekte bestehen würde. Bislang gibt es aber keinerlei Hinweise dafür, dass es diesen Ring gibt."

~ Grenzwissenschaft Aktuell
Brown stellt fest, dass die Theorie an sich zwar nicht falsch und löblich ist, jedoch die Wahrscheinlichkeit ihrer Existenz in Wirklichkeit äußerst gering ist, im Vergleich mit dem Planeten-Modell:
GreWi: Ist die Theorie einer massereichen Scheibe also doch falsch?

Mike Brown: "Ich möchte nochmals unterstreichen, dass - obwohl ich die Wahrscheinlichkeit für sehr gering halte, dass eine solche Scheibe die richtige Erklärung für die Beobachtungen darstellt - ich die Studie selbst wirklich mag. Es ist das erste Mal in drei Jahren, dass jemand einen wirklich potentiell alternativen Mechanismus beschreibt.

Der Umstand, dass die Existenz dieses beschriebenen Mechanismus in unserem Sonnensystem sehr unwahrscheinlich ist, zeigt meiner Meinung nach, wie schwer es ist, wirklich gute und im besten Sinne einfache Alternativen zu Planet Nine zu finden."

GreWi: Professor Brown, besten Dank für Ihre Antworten und weiterhin viel Glück und Erfolg bei Ihrer Suche nach Planet Nine.

~ Grenzwissenschaft Aktuell