Forscherteam mit österreichischer Beteiligung rekonstruiert die komplexe Besiedlungsgeschichte Nordamerikas

Die Weiten Nordamerikas haben immer wieder Wellen von Einwanderern angezogen. Alle haben sie ihre Spuren hinterlassen.  Inuit DNA, Artisbewohner
© Kerttu Majander, Design by Michelle O'ReillyDie Weiten Nordamerikas haben immer wieder Wellen von Einwanderern angezogen. Alle haben sie ihre Spuren hinterlassen.
Der nordamerikanische Kontinent wurde in mehreren Wellen von Einwanderung und Ausbreitung besiedelt. Und die vorletzte Welle fand gar nicht so lange vor der bis heute prägenden europäischen Einwanderung statt: Vor etwa 800 Jahren erst breiteten sich die Vorfahren der heutigen Inuit - die sogenannten "Neo-Eskimos" - von ihren Ursprungsgebieten an der Beringstraße nach Süden und Osten aus.

Die vor ihnen in der Arktis lebenden "Paläo-Eskimos" wurden von ihnen verdrängt, die von diesen aufgebaute Dorset-Kultur ist verschwunden. Ihr Erbgut jedoch ist noch vorhanden, berichtet nun ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung im Fachjournal "Nature" - und teilweise finden sich die Spuren dieses Erbguts erstaunlich weit südlich.

Die Studie

Die Forscher um Stephan Schiffels vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena sequenzierten das Erbgut aus Knochenüberresten von 48 prähistorischen Menschen und verglichen es mit dem von 93 heute in Sibirien, Alaska, den Aleuten und Kanada lebenden Menschen. Daraus konnten sie die Besiedlungsgeschichte in Alaska, Nordkanada und auf der sibirischen Tschuktschen-Halbinsel rekonstruieren.

"Unsere Studie ist einzigartig, nicht nur, weil sie die Anzahl der alten Genome aus dieser Region deutlich erhöht, sondern auch, weil sie die erste ist, die alle diese Bevölkerungsgruppen in einem einzigen Modell umfassend beschreibt", sagt Schiffels.

Komplexes Szenario

Die ersten Menschen gelangten vor etwa 14.500 Jahren von Asien aus über die Landbrücke Beringia nach Nordamerika. Lange Zeit später, vor etwa 5.000 Jahren, folgten ihnen die "Paläo-Eskimos". In ihrer neuen Heimat vermischten sie sich zunächst mit den früheren Besiedlern Amerikas. Völker wie die Aleuten auf der gleichnamigen Inselkette und die Athabasken in den Wäldern Alaskas und Nordkanadas stammen laut den Forschern direkt von dieser Mischgruppe ab.

Es kam aber auch zu einer Rückwanderung, wie der ebenfalls an der Studie beteiligte Ron Pinhasi vom Department für Anthropologie der Universität Wien berichtet. Laut der Untersuchung dürften die Vorfahren der heutigen Inuit und Yupik (mit den Inuit verwandte Volksgruppen, die von der Tschuktschen-Halbinsel bis nach Alaska verstreut sind) die Beringstraße mindestens dreimal überquert haben. Die Beringstraße war damals vielbereist, bilanzieren die Forscher.

Weit verstreutes genetische Erbe

Während ihres wahrscheinlich mehr als 1.000 Jahre andauernden Aufenthalts in Tschukotka vermischten sich die Vorfahren von Yupik und Inuit auch mit lokalen sibirischen Gruppen, die mit den heutigen Tschuktschen und den Bewohnern Kamtschatkas verwandt sind. Mit verändertem Erbgut und einer neuen Kultur - der Thule-Kultur - kehrten sie schließlich als "Neo-Eskimos" ein vorerst letztes Mal nach Nordamerika zurück und verdrängten ihre Verwandten der Dorset-Kultur.

Deren genetische Spuren sind aber aufgrund der vielen Vermischungen erhalten geblieben, wie die Studie zeigt. Und nicht nur im Hohen Norden: Die "Paläo-Eskimos" hinterließen laut den Forschern einen "wesentlichen Anteil ihres Erbguts in allen von damals bis heute lebenden Populationen des arktischen Amerikas und der nordostsibirischen Halbinsel Tschukotka". Und dazu gehört nicht nur die indigene Bevölkerung Kanadas und Alaskas, sondern auch weit davon entfernt lebende Völker in südwestlichen US-Bundesstaaten - darunter so bekannte wie die Apachen und die Navajo.
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