Bei der gestrigen Anhörung des Wikileaks-Gründers Julian Assange vor Gericht soll er nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen sein, berichtet Craig Murray, Freund und enger Vertrauter von Assange und früherer britischer Botschafter in Usbekistan.
Julian Assange
Der Zustand des zu Unrecht verhafteten Whistleblowers soll laut Murray so schlimm gewesen sein, dass er den Ausgang des Auslieferungsverfahrens nicht mehr erleben könnte.
Craig Murray hat es sich nicht nehmen lassen, die Verhandlung vor Ort im Gerichtssaal in Westminster zu verfolgen. In einem Eintrag vom Dienstag fasst er seine Eindrücke auf seinem Blog zusammen.

Tief erschüttert ist der Freund und enge Vertraute des Whistleblowers von dessen aktuellen körperlichen und geistigen Verfassung. Assange habe seit seiner Verhaftung mehr als 15 Kilogramm an Gewicht verloren, sein Haar habe sich gelichtet und er sei deutlich gealtert. Zudem habe er merklich gehinkt.

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Noch schockierender war laut Murray jedoch sein mentaler Zustand:
"Doch seine physische Erscheinung war nicht so schockierend wie der Abbau seiner mentalen Fähigkeiten", so Murray. "Als er aufgefordert wurde, seinen Namen und sein Geburtsdatum zu nennen, hatte er mehrere Sekunden lang deutlich damit zu kämpfen, sich an beides zu erinnern."

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Murray zeigte sich vor dem gestrigen Tag skeptisch hinsichtlich Behauptungen über Foltermethoden, die angeblich an Assange durchgeführt werden. Der gestrige Tag änderte seine Meinung diesbezüglich jedoch grundlegend.
Bis zu diesem Gerichtstermin sei er selbst skeptisch gewesen, wenn behauptet wurde, die Behandlung von Assange im Gefängnis komme Folter gleich - wie zuletzt von Nils Melzer geäußert, UN-Sonderberichterstatter zu Folter. Seine Meinung habe er nun grundlegend geändert, gibt Murray zu. Der Whistleblower habe die gleichen Symptome gezeigt, wie er sie bei Opfern extremer Folter in Usbekistan und bei Überlebenden aus Sierra Leone beobachtet habe. Assange sei desorientiert und verwirrt gewesen und habe Mühe gehabt "seinen freien Willen durch den Nebel der erlernten Hilflosigkeit hindurch zu bekunden."

Auch seine frühere Skepsis bezüglich der Warnrufe, Assange werde das Ende seines Auslieferungsverfahrens nicht mehr erleben, habe sich in Luft aufgelöst.

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Murray sagte weiter:
"Jeder Anwesende sah gestern in diesem Gerichtssaal, dass einer der größten Journalisten und wichtigsten Dissidenten unserer Zeit vor unseren Augen durch den Staat zu Tode gefoltert wird. Es war unerträglich, meinen Freund, den sprachgewandtesten Mann, den schnellsten Denker, den ich je kannte, zu einem taumelnden, brüchigen Wrack degradiert zu sehen."

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Auch die Anhörung selbst war empörend und klar aus Amerika beeinflusst:
Auch über die Anhörung selbst zeigt sich der Ex-Botschafter und Assange-Vertraute empört. Die Argumente der Verteidigung für einen Aufschub des für den 25. Februar angesetzten Gerichtstermins, bei dem die Auslieferung von Assange an die USA verhandelt werden soll, seien von Richterin Vanessa Baraitser übergangen worden. Insgesamt sei die Richterin den Vorgaben der Staatsanwaltschaft bereitwillig gefolgt. Zudem seien fünf Vertreter der US-Regierung anwesend gewesen und hätten sich mit dem Staatsanwalt James Lewis während der Verhandlung rege ausgetauscht, so Murrays Beobachtung. "Die US-Regierung diktierte Lewis ihre Instruktionen, dieser gab sie an Baraitser weiter, und sie machte diese zu ihrer rechtskräftigen Entscheidung."

Murray kommt zu dem Schluss, dass der Auslieferungsprozess hastig nach Washingtons Zeitplan abgearbeitet wird, und fragt sich, warum der Termin im Februar für die US-amerikanische Seite offenbar so wichtig ist.

Die Anhörung im Februar soll im Belmarsh Magistrates Court stattfinden. Murray kritisiert, dass im engen Gerichtssaal von Belmarsh, anders als in Westminster, nur sechs Plätze für die Öffentlichkeit verfügbar seien. Er vermutet, dass Richterin Baraitser damit einen öffentlichen Aufschrei wegen ihrer Verfahrensweise vermeiden wolle. Den Einwand der Verteidigung, in Belmarsh gäbe es nicht einmal separate Räume, wo sich die Anwälte mit ihrem Klienten beraten könnten, habe die Richterin abgetan.

Das abschließende Schlussstatement von Julian Assange habe noch einmal vor Augen geführt, wie geschwächt und verwirrt der Angeklagte sei, der in Belmarsh 23 Stunden am Tag in kompletter Isolation lebe und nur für 45 Minuten täglich für sportliche Übungen nach draußen gelassen werde.

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Murray sagte zum Schluss:
"Wenn Julian nicht bald entlassen wird, wird er zerstört werden. Wenn der Staat das machen kann, wer ist dann als Nächster dran?", fragt der Menschenrechtsaktivist Murray am Ende seines Blogeintrags.

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Und trifft damit den Nagel auf den Kopf - genauso wie John Pilger in seinem Artikel zum Thema:

Die Verhaftung von Assange ist eine Warnung aus der Geschichte