Wände wackeln, Geschirr klappert. Im Südosten Deutschlands vibriert die Erde: Hunderte leichte Erdbeben künden von einem Urzeit-Vulkan im Untergrund. In absehbarer Zeit besteht für die Menschen zwar noch keine Gefahr. Doch unter Südostdeutschland steigt langsam Magma auf.
Epizentren der Schwarmbeben Vogtland
© BGR/BKGKarte: Epizentren der Schwarmbeben 2008 (hellrot) und 2011 (dunkelrot)

An der Grenze von Deutschland und Tschechien lässt ein Vulkan die Erde zittern. Seit Mitte August vibriert der Boden in Bayern, Sachsen und Böhmen, jetzt wird das Ruckeln stärker: Am Sonntag ließ ein Beben der Stärke 4,0 im Vogtland Häuser wackeln und Geschirr klappern. "Langsam wird's unheimlich", sagt ein Anwohner. "Zunächst grollt es, dann rollt der Boden, dann gibt es einen harten Schlag", berichten Zeugen. Ein Anwohner vermutete eine Explosion, er alarmierte die Polizei.

Das Bodenzittern könnte noch den ganzen Monat weitergehen, sagt der Seismologe Heiner Igel von der Universität München auf der internationalen Geoforschungstagung "Fragile Earth", die derzeit in München stattfindet. Starke Beben seien in der Region unwahrscheinlich. Häuser in Tschechien in der Nähe des Bebenherdes, die auf weichem Untergrund stünden, könnten aber beschädigt werden.

Eigentlich wollten Experten auf der Münchner Tagung die großen Naturgewalten diskutieren - doch nun rücken die sonderbaren Beben im Vogtland in ihren Fokus: Alle paar Jahren lässt ein sogenannter "Erdbeben-Schwarm" die Grenzregion wochenlang erzittern; zuletzt im Herbst 2008, davor im Herbst 2000 und im Winter 1985. Das stärkste Beben hatte die Stärke 4,6 - ab Stärke fünf würde es gefährlich: Schornsteine und einfache Mauern können zusammenbrechen. Doch die Erdbeben-Historie der Region zeige, dass die Stärke 5,0 nicht übertroffen werde, sagt Igel.

Falsche Erdbebenkarten

Das Zentrum der Beben liegt rund zehn Kilometer unter der Ortschaft Nový Kostel in Tschechien, 40 Kilometer östlich von Hof. Dort ziehen sich längere Nähte durch den Untergrund, wie etwa die Marienbader Verwerfung. Würden die Klüfte in Bewegung geraten, könnte es heftiger beben als normalerweise bei den Schwarmbeben.

Laut Erdbebenkarten besteht im Vogtland aber kaum Gefahr - die Einschätzung müsse jedoch nicht stimmen, erklären Geoforscher auf der "Fragile Earth"-Tagung. Das Erdbeben von Virginia im August habe gezeigt, dass auch abseits der bekannten Starkbebenregionen heftige Schläge auftreten könnten, erläutert der Geophysiker Seth Stein von der Northwestern University in Illinois, USA, auf der Münchner Tagung. "Unsere Erdbebenkarten werden von der Realität zu oft widerlegt", sagt Stein. "Doch die Unsicherheiten der Gefahrenkarten werden der Öffentlichkeit meist vorenthalten."

Das Vogtland jedoch scheint über eine eingebaute Starkbeben-Sicherung zu verfügen. Die Schwarmbeben wirkten als Gefahrensenker für die Region, erläutert der Seismologe Joachim Wassermann vom Bayerischen Erdbebendienst: Sie entschärften die Spannung im Gestein und somit auch die Bedrohung durch starke Stöße.

Magma steigt auf

Auf den ersten Blick deutet in der Region nichts auf einen Vulkan hin. Doch die Schwarmbeben künden von einer Magmablase, die im Untergrund schmort. Mit Schallwellen haben Seismologen um Wolfram Geissler und Horst Kämpf vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) unter dem Vogtland ein Reservoir teilweise geschmolzenen Gesteins entdeckt. Wie Lichtstrahlen werden Schallwellen an der Grenze verschiedener Schichten gebrochen. Die Messungen zeigen, dass sich in 30 bis 60 Kilometer Tiefe heißes Gestein mit der Konsistenz von Glas staut. Stiege es auf, schmölze es - Lava ergösse sich übers Land.

Der Erdmantel sei unter dem Vogtland aufgewölbt. Experten sprechen von "magmatischer Unterplattung": Magma aus dem Erdmantel drängt gegen die Erdkruste. Es sind die Überreste eines Vulkans, der vor rund 300.000 Jahren erloschen ist. Die heiße Gesteinsmasse im Untergrund wölbe sich nun wieder, berichten die Forscher; und der Vulkan sendet Lebenszeichen: Vom Magma erhitztes Grundwasser entfacht die Schwarmbeben. Das heiße Wasser steigt auf breiter Front auf, es zwängt sich in Gesteinsritzen, bis der Fels nachgibt - es bebt.

Das aufsteigende Wasser kündet womöglich von monströser Naturgewalt in ferner Zukunft. In vielen Jahrtausenden könnte im Vogtland wieder ein Vulkan explodieren: Offenbar steige nicht nur Wasser, sondern auch Magma langsam auf, berichten Wissenschaftler des Umweltzentrums Halle-Leipzig (UFZ) und des GFZ. Das schließen die Geochemiker aus Gasen, die aus Mineralquellen perlen: Bereits im 19. Jahrhundert genossen Künstler und Reiche die Thermalquellen der Region wie Marienbad. Sie ahnten nicht, dass die gesunden Bäder Gase enthalten, die aus einem Magmareservoir stammen.

Gase wie sonst nur am Ätna

Das Vulkangas Helium-3 ströme in solchen Mengen aus der Tiefe wie sonst nur am Ätna, einem der aktivsten Vulkane der Welt, berichtet Karin Bräuer vom UFZ. Helium-3 entsteht tief im Erdinneren - im Gegensatz zu Helium-4, der gängigen Variante des Edelgases.

An 100 Stellen in Bayern, Sachsen und Böhmen messen die Forscher den Gasstrom aus dem Boden. In den letzten Jahren änderte sich die Zusammensetzung: Der Anteil von Helium-3, das aus Magma im Erdmantel stammt, gegenüber Helium-4 hat sich in diesem Zeitraum um ein Fünftel erhöht. Das zeige, dass Magma aufsteige. In Mitteleuropa seien noch niemals so große Menge vulkanischen Heliums gemessen worden wie im Vogtland.

Hunderte zittrige Grüße in Form leichter Erdstöße hat der unterirdische Vulkan seit Mitte August bereits nach oben geschickt; 100 Kilometer weit war das stärkste Beben zu spüren. Der Boden vibrierte, als ob Lastwagen vorbeidonnerten, staunen Anwohner: "Was ist da unten nur los?"