Es gibt neue Erkenntnisse zu den in Berlin festgenommenen Terrorverdächtigen: Nach SPIEGEL-Informationen verkehrten sie in islamistischen Kreisen. Samir M. wurde schon im Jahr 2009 die Ausreise verboten. Die Ermittler prüfen Hinweise, wonach Hani N. in einem Terrorcamp im Ausland war.
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© DPASEK-Beamter in Berlin: Haftbefehl gegen zwei Terrorverdächtige

Berlin - Es ist der 23. Mai 2010, gegen 15 Uhr, als die Berliner Polizei zufällig auf eine Verbindung zwischen dem 28-jährigen Hani N. und dem 24-jährigen Samir M. stößt: Elf junge Männer grillen nahe des Kanals am Britzer Ufer, als eine Polizeistreife anhält und sie darauf hinweist, dass Grillen an dieser Stelle verboten ist.

"Es war ein ganz normales Grillen", wird Hani N. dreieinhalb Monate später bei einer Zeugenvernehmung aussagen. "Es gab leckeres Essen. Anschließend ging ich nach Hause." Samir M., der ebenfalls anwesend war, kenne er nicht so richtig.

Es war vermutlich wirklich ein ganz normales Grillen. Aber interessant war das Treffen für die Polizei trotzdem. Denn auch Fatih K. war dabei - und gegen den ermittelte das Bundeskriminalamt (BKA) wegen des Verdachts, er unterstütze die Terrorgruppe "Deutsche Taliban-Mudschahidin" von Berlin aus.

Hani N., Abbrecher des Medizinstudiums und abgelehnter Asylbewerber aus dem Gaza-Streifen, wird daher im August 2010 als Zeuge geladen. Erst versucht er, sich zu entziehen, habe keine Zeit und Zwillinge, schließlich erscheint er doch: Ja, er kenne K., er unterrichte ihn in Arabisch.

"Höchstens in der Beschaffungsphase"

Und Hani N. hat noch mehr interessante Bekannte, wie andere Zeugen sagen. Umut S. zum Beispiel, der bereits im September 2009 am Berliner Flughafen Tegel an der Ausreise via Türkei nach Iran gehindert wurde, weil die Behörden vermuteten, er wolle sich einer militanten Gruppe im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet anschließen. Umut S. hatte damals zwei Reisegefährten, einer von ihnen: Samir M., ausgerechnet. Heute sind die Behörden sicher, dass Samir M. sich damals tatsächlich dem bewaffneten Kampf anschließen wollte. Fatih K. wurde im April 2011 zu 22 Monaten Haft verurteilt - wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Er hat sich vom Terrorismus distanziert.

Am Donnerstagvormittag wurden Hani N. und Samir M. innerhalb von einer Stunde in Berlins Innenstadt festgenommen . Der Verdacht: Die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat. Gemeint ist damit eine mögliche Bombe, die die beiden mutmaßlich bauen wollten. Hani N. war aufgefallen, weil er Chemikalien erworben hatte und Kühl-Pads - beides zusammen kann Grundlage für die Herstellung von Sprengstoff sein.

Drohte also eine Bombe in der Hauptstadt zu explodieren, gebaut von zwei weiteren Islamisten aus der nunmehr dritten oder vierten Generation deutscher Dschihadisten nach der Sauerlandgruppe? Eher nicht. Gefahr im Verzug bestand keine. Denn selbst wenn der Verdacht stimmt, was noch nicht bewiesen ist: So weit waren N. und M. auf keinen Fall. "Die waren höchstens in der Beschaffungsphase", sagt ein Ermittler. Die Mengen waren zudem nicht besonders groß: Insgesamt 13 Kilogramm Schwefel- und Salzsäure. Die Sauerland-Gruppe hatte ein Vielfaches gehortet.

Am späten Freitagabend entschied ein Ermittlungsrichter, dass die beiden in Untersuchungshaft bleiben. Der Verdacht, sie hätten eine staatsgefährdende Straftat geplant, bleibt damit erhalten. Allerdings bleibt es wohl auch dabei, dass der Generalbundesanwalt das Verfahren nicht an sich zieht - ein Hinweis darauf, dass dem Fall nicht dieselbe Bedeutung beigemessen wird wie anderen vereitelten Anschlagsplänen.

Die beiden Verdächtigen haben bisher offenbar auch keine Anschlagspläne gestanden. Sicher scheint trotzdem, dass sie eine radikale Gesinnung haben. Schon als 2009 Samir M.s Wohnung durchsucht wurde, fanden sich Anhaltspunkte: Die Beamten stellten einschlägige dschihadistische Literatur und Medien sicher - von Osama Bin Laden bis zum jemenitischen Hetzer Anwar al-Awlaki war alles versammelt. Sie konstatierten "ideologische Nähe zu Osama Bin Laden."

Gegen Samir M. läuft seit dem Sommer 2011 zudem offenbar ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung - er soll einem knutschenden Pärchen Pfefferspray in die Gesichter gesprüht haben, weil er ihr Verhalten als sündig ablehnte. Auch Hani N., durch seinen rot eingefärbten Bart bekannt, war in seiner Nachbarschaft wegen seiner Einstellung berüchtigt. Mehrmals soll er Kinder beim Fußball angepöbelt haben, die Trikots des Superstars Cristiano Ronaldo trugen. Ronaldo sei ein Ungläubiger, deswegen sollten sie die Trikots sofort ausziehen.

"Eher ein Softi"

Die Bundesanwaltschaft prüfte 2010, ob ein Verfahren gegen Samir M. eingeleitet werden könnte, aber die Verdachtsmomente waren nicht ausreichend. Dennoch dürfte M. im Visier der Sicherheitsbehörden gestanden haben - zumal er noch mehr Verbindungen zur radikalen Islamistenszene in Berlin pflegte. Auch wenn ein Zeuge vergangenes Jahr aussagte, M. sei "eher ein Softi" gewesen.

Wie eng das Verhältnis zwischen M. und N. ist, lässt sich schwer sagen. Die Kreise, in denen sie zuletzt verkehrten, überschnitten sich jedenfalls. Wichtiger Treffpunkt war offenbar die Al-Rahman-Moschee im Berliner Wedding, außerdem die Daressalam-Moschee gleich um die Ecke. Die Al-Rahman-Moschee ist schwer einzuschätzen. Sie ist keineswegs durchsetzt von Radikalen. Doch auch Radikale treffen sich dort. Am Rande. Im Weichbild.

Hani N., so heißt es in Sicherheitskreisen, habe sich in den vergangenen Monaten in radikal-salafistischen Kreisen bewegt. Der Mann aus dem Gazastreifen war 2001 nach Deutschland gekommen; von 2003 bis 2008, so sagt er, habe er in Berlin Medizin studiert - ohne Abschluss. 2010 stellte er einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Er hat vier Kinder, zwei aus einer früheren Verbindung, zwei mit seiner jetzigen Frau.

Ausbildung im Terrorlager?

Seit Juli dieses Jahres wird er von den Sicherheitsbehörden als "Gefährder" geführt - als Person, der ein Anschlag zugetraut wird. Derzeit gehen die Behörden Hinweisen nach, dass N. vielleicht sogar eine Ausbildung in einem Terrorcamp am Hindukusch durchlaufen haben könnte.

Monatelang haben Beamte die beiden Verdächtigen observiert. Warum sie gerade am Donnerstag zugriffen, ist einstweilen Spekulation. Eine These besagt, dass die Beschattung zu viele Kräfte band, dass die Aktion vor dem Papstbesuch beendet sein musste, um Personal freizumachen - vielleicht um den Preis, dass eine Anklage nicht möglich ist. "Die Berliner Polizei wollte nach der langen Observation nicht mehr länger warten", sagte ein Beamter, "niemand wollte stillhalten, bis die beiden tatsächlich mit dem Bau der Bombe begonnen hätten".

In dem Fall dürften die Behörden auch weiterhin damit beschäftigt sein, die beiden - halbwegs - im Auge zu behalten. Ungefähr 130 "Gefährder" führen die Behörden in Deutschland. Hani S. und Samir M. dürften bis auf weiteres zwei von ihnen sein.