Lieferengpässe: Den Klärwerken gehen die Chemikalien aus! Vier Deutsche Bundesländer ergreifen deswegen drastische Schritte - sie erlauben die Phosphat-Grenzwerte zu überschreiten.

Die europäische Produktion der "Fällmittel", die für die chemische Reinigung des Wassers unerlässlich sind, ist wegen der Energiekrise um über 50 Prozent gesunken - ein Viertel der deutschen Kläranlagen meldete Lieferausfälle.

Anlage Klärwerk
Ein Klärwerk am Niederrhein (Symbolbild)
Die Chemiebranche steht mit dem Rücken zur Wand - immer mehr Firmen droht die Pleite. Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer vom Branchenverband VCI, sagte in einem Interview mit ntv erst kürzlich: "Die in die Höhe geschossenen Energiepreise treffen unsere Branche brutal" - weiter: "Wir blicken daher extrem kritisch und mit tiefster Sorge in die Zukunft". Und das hat schwere Folgen, nicht nur für die Mitarbeiter der betroffenen Firmen.

Durch die reduzierte und in Teilen völlig gestoppte Produktion von Salzsäure, wird auch die Fällmittelproduktion beeinträchtigt - Chemikalien, die für die Wasserreinigung in Klärwerken unerlässlich sind. Fällmittel werden genutzt um Phosphat im Abwasser zu binden und so zu verhindern, dass es in die Umwelt gelangt und wie ein Dünger das Algenwachstum vorantreibt.

Die deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) meldete nach einer repräsentativen Umfrage im September, das bereits ein Viertel der Kläranlagen Lieferausfälle der dringend benötigten Chemikalien meldete. Für Oktober erwartete man, das die Lieferengpässe jeden zweite Kläranlagenbetreiber betreffen.

Damit die Klärwerke trotz der Mangellage weiter arbeiten können, wurden in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Erlasse herausgegeben, die es den Werken erlauben die Phosphat-Grenzwerte zu überschreiten. In Thüringen wurden vergleichbare Regelungen getroffen, in Sachsen-Anhalt wird ein entsprechender Erlass vorbereitet.

Was bedeutet das alles nun?

Klärwerke müssen für das Einleiten von Phosphor-Verbindungen eine Abwasserabgabe an den Staat bezahlen - die über die Abwassergebühren wiederum an den Bürger weitergegeben wird. Je höher die Phosphorwerte, desto höher die Gebühren. Es könnte also deutlich teurer werden.

Auf lange Sicht könnten höhere Phosphoreinleitungen in Gewässer, wobei die Stoffe über Flüsse bis ins Meer gelangen könnten, außerdem zu einer Eutrophierung, also der Anreicherung eines ursprünglich nährstoffarmen Gewässers mit Nährstoffen, führen. Im schlimmsten Fall kann ein dadurch bedingter, explosionsartiger Anstieg der Algenpopulation zu sauerstofffreien Zonen führen, in denen kein Leben mehr möglich ist - man spricht in diesem Zusammenhang von "Todeszonen".

Ein weiteres Problem:

Auch unser Trinkwasser ist betroffen! Nicht nur die Klärwerke, sondern auch Trinkwasserversorger melden Chemikalienmangel - die Flockungsmittel, die nötig sind um das Wasser von sogenannten Schwebstoffen zu befreien, werden ebenfalls knapp. Das könnte gravierende Folgen haben: "Im schlimmsten Fall" könne es ohne Flockungsmittel zu einer Trübung des Wassers kommen, "was die Abgabe als Trinkwasser nicht mehr möglich machen würde", so der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.