Brasiliens Präsident Lula sei ein Schwurbler, meint der Focus. Dabei macht er nur deutlich, dem deutschen Narrativ über den Krieg in der Ukraine folgt man im Ausland nicht. Lula hält die EU und Deutschland zudem für unfähig, eine Friedenslösung zu finden und nimmt ihnen das Heft des Handelns aus der Hand.

Lula Scholz Brasilien
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Der Besuch von Bundeskanzler Scholz in Brasilien brachte es auch für die deutschen Gazetten ans Licht: Die unter kräftiger Mithilfe des deutschen Journalismus von deutscher Politik hierzulande durchgesetzte Erzählung von einem russischen Angriffskrieg auf eine völlig unschuldige Ukraine aus dem Blauen heraus und ohne jede Vorgeschichte wird in anderen Teilen der Welt nicht mitgetragen. Diese Teile stellen die Mehrheit. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Brasilia von Bundeskanzler Scholz und dem erst kürzlich erneut ins Amt gewählten brasilianischen Präsidenten Lula da Silva schwammen Scholz die Felle davon.

Lula wählte ein etwas anderes als das übliche Format. Statt dem Aufsagen eines vorbereiteten und abgesprochenen Textes, wie es sonst bei Pressekonferenzen anlässlich von Staatsbesuchen üblich ist, stellte er sich den Fragen von Journalisten. Er tat dies sichtlich zur Überraschung des Bundeskanzlers. Der Schritt Lulas war offenbar nicht abgesprochen.

Und dann bekommt Scholz und mit ihm das politische Deutschland einen Realitätscheck verpasst, der sich gewaschen hat. Nein, es gibt keine Waffenlieferungen und nein, Putin ist am Krieg nicht alleine Schuld. Ja, es gibt eine Entwicklung hin zum Konflikt, an dem die NATO ihren Anteil hat.

Die deutsche Journaille verfiel reflexartig in Schnappatmung. Darüber hinaus fängt sich Lula - wie das im deutschen Journalismus inzwischen üblich geworden ist, wenn jemand nicht devot vor der veröffentlichten Meinung kuscht - das Prädikat "Schwurbler" ein. Der Focus beispielsweise griff zu diesem stilistischen Mittel, das allerdings von geringer Souveränität zeugt.


Zu diesem Begriff zu greifen, war schon in Corona-Zeiten ein Zeichen der Schwäche und der mangelnden Fähigkeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Jetzt ist das Totschlagargument allerdings noch deplatzierter als damals, denn Lula und Brasilien schwurbeln nicht allein. Der Großteil der Welt teilt Brasiliens Auffassung von einer Eskalation in Richtung Krieg, an der sowohl die Ukraine, als auch die EU, Deutschland sowie die NATO und die Vereinigten Staaten eklatante Schuld tragen.


Kommentar: Man muss hinzufügen: Russland trägt keine Schuld an dieser Tragödie.


Das deutsche Narrativ, das von einer demokratischen und unschuldigen Ukraine erzählt, die vom autoritären Russland brutal überfallen wurde, hat außerhalb von Deutschland keine Geltung. Das ist eine gute Nachricht. Die deutschen Gazetten sollten sich daher darauf einstellen, dass ihr Geschwurbel von "Putins brutalem Angriffskrieg" auch in Deutschland immer weniger verfängt. Das Narrativ wird sich nicht halten lassen, denn es ist den Fakten unangemessen und daher falsch.

Und sie sollten sich noch auf etwas einstellen, wurde auf der Pressekonferenz deutlich. Der EU und Deutschland wird nicht nur die Deutungshoheit über den Konflikt entzogen. Sie werden auch bei der Suche nach einem Weg aus dem Konflikt hin zum Frieden an den Rand gestellt. Lula hat klar gemacht, Deutschland und die EU werden bei einer Suche nach einer neuen, stabilen Sicherheitsarchitektur für Europa nicht gebraucht, das erledigen andere Mächte. Lula hat deutlich gemacht, dass seine Friedensinitiative an der EU und Deutschland vorbei führen wird.

Lula nennt explizit China als möglichen Partner für Vermittlungen. Auch die Türkei hat sich vielfach angeboten und kommt als Partner für die Friedensinitiative in Frage, denn sie hat ihre Fähigkeit zur diplomatischen Vermittlung bereits unter anderem im Rahmen des Getreideabkommens unter Beweis gestellt. Lula hat damit auch gesagt, wer künftig die Geschicke Europas gestaltet. Es ist nicht die EU und es ist auch nicht Deutschland.

Denn wer für eine Teilnahme an seiner Friedensinitiative nicht in Frage kommt, sind Baerbock, von der Leyen, Borell und all die anderen, die der immer weitergehenden Eskalation Vorschub leisteten. Diejenigen, die Gesprächen, diplomatischen Initiativen und Verhandlungen eine Absage erteilten, werden nun selbst ausgeschlossen. Der Westen hat sich marginalisiert. Auch das ist eine gute Nachricht.

Der FAZ erkennt in einem Kommentar die Zeichen der neuen Realität, in der sich Scholz plötzlich wiederfindet. Von den Deutschen wird die Augenhöhe künftig erzwungen werden. Die Zeit der folgenlosen Lippenbekenntnisse ist vorbei.

"In gewisser Weise erlebt der Westen auf solchen Besuchen die Umkehr alter Verhältnisse und die neue Realität der multipolaren Welt", schreibt die FAZ. Der Ukraine-Konflikt wird künftig als Wendepunkt gelten.

Allerdings hofft die FAZ, dass sich die EU das Heft des Handeln nicht aus der Hand nehmen lässt. Es sei für Europa wichtig, wie dieser Krieg endet, meint der FAZ-Kommentator Nikolas Busse. Dass aber die EU oder Deutschland weiter die Entwicklung bestimmen, genau das darf nicht passieren, denn die EU, die NATO und auch Deutschlands streben einen Sieg der Ukraine über Russland an. Dieses Ziel ist nicht realistisch und führt zu immer weiterer Eskalation.

Es bedarf anderer Kräfte und Mächte, um diesen Konflikt zu beenden. Die EU und Deutschland sind dazu ungeeignet. Sie haben ihre mangelnde Eignung jahrelang bewiesen. Sie hatten zahllose Gelegenheiten, ihre Friedensfähigkeit unter Beweis zu stellen und haben es nicht getan. Sie bekommen jetzt hoffentlich endlich ihren Platz zugewiesen und werden sich fügen. Deutschland war der moralischen Verantwortung, die dem Land nach der Wiedervereinigung zugekommen ist, ohnehin nie gewachsen.

"Wir sind ein Land, das sich dem Frieden verpflichtet sieht", hat Lula neben dem deutschen Kanzler stehend gesagt. Damit hat er auch gesagt, welches Land er offenbar für nicht dem Frieden verpflichtet hält, denn er lehnt mit dieser Bemerkung die Forderung des Bundeskanzlers nach Lieferung von Munition für deutsche Panzer in der Ukraine ab. Und Lula hat recht.

Spätestens seit 2014, seit dem Putsch in der Ukraine, beweisen Deutschland und die EU, dass sie zum Frieden in Europa nichts beizutragen haben. Stattdessen ging es Deutschland und der EU um Ausdehnung von Einflusssphären, um Zugewinn an Macht, um imperialistische Interessen. Außerhalb der deutschen Blase sieht man das und weiß es einzuordnen. Man sieht auch, dass all die Waffenlieferungen nicht der Ukraine dienen. Die Ukraine wird durch den westlichen Unwillen zum Frieden vollständig zerstört. Die Ukraine erbringt das größte Opfer für westliche imperiale Politik.

Was in diesem Kontext außerhalb der deutschen Medienblase ebenfalls nicht verfängt, ist das bizarre Argument, dass die Ukraine zwar bedingungslos militärische und finanzielle Unterstützung bekommt, ihre Kriegsziele aber selbständig und ohne ausländische Einflussnahme festlegt. Diese Behauptung überhaupt aufzustellen, ist schon mehr als verschroben. Zu erwarten, dass sie weltweit geglaubt wird, hat die Grenze zum politischen Irrsinn jedoch längst überschritten. Natürlich könnte der kollektive Westen diesen Krieg sofort beenden, wenn er es denn wollte. Er will aber nicht.

Die Ukraine ist vollständig abhängig und damit auch weisungsgebunden. Serbien und Ungarn können gerade ein Lied davon singen, was passiert, wenn man ein bisschen eigenen Willen zeigt und Entscheidungen fällt, die zwar im eigenen Interesse aber nicht ganz im Interesse der EU liegen. Dann bekommt man die Brüsseler Knute zu spüren. Dass die Ukraine diese Knute aktuell nicht zu spüren bekommt, bedeutet, sie macht aus Brüsseler Sicht alles richtig. Die EU will den Krieg.

Weil dieses Argument eine angeblich vollständigen politischen Souveränität der Ukraine bei gleichzeitiger vollkommener wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeit so unglaublich schräg ist, ist auch klar, dass die Welt außerhalb des kollektiven Westens verstanden hat, dass der Westen diesen Krieg will. Es wäre schön, wenn deutsche Medien die absurde Argumentation zumindest nicht wiederholen würden, wenn sie sich schon nicht in der Lage sehen, sie zu hinterfragen. Es lässt sie reichlich dumm wirken.

Die Pressekonferenz von Scholz und Lula sendet ein deutliches Signal: Es gibt eine neue Weltordnung. Sie ist multipolar und Deutschland hat darin nichts zu sagen. Lula hat Deutschland und die EU auf die Plätze verwiesen. Er hat auch deutlich gemacht, dass Deutschlands vor sich hergetragener Führungsanspruch keine Zukunft hat. Deutschland wird in den nächsten Jahren immer weiter absteigen.

Die deutschen Gazetten sollten sich schonmal ein Narrativ ausdenken, wie sie diesen Abstieg und Wohlstandverlust für ihre Leser schön verpacken können. Aber bitte nicht schwurbeln.