Die Überlebende der Gewalttat nahe dem Schloss Neuschwanstein wird laut Polizei nicht mehr im Krankenhaus behandelt. Auch Deutschland kann die Frau jederzeit verlassen. Details aus einem britischen Medienbericht bestätigte die Polizei nicht.

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© Leonhard Simon/Getty Images
Ein 30-jähriger US-Amerikaner soll zwei Frauen im Alter von 21 und 22 Jahren am vergangenen Mittwoch nahe der Marienbrücke bei Schloss Neuschwanstein sexuell bedrängt und nacheinander in die 50 Meter tiefe Pöllatschlucht gestoßen haben. Entsprechende Ermittlungen bestätigte die Staatsanwaltschaft Kempten dem BR. Die 21-Jährige ist an ihren Verletzungen gestorben.

Die Obduktion ist laut Polizei bereits am Donnerstag abgeschlossen worden. Die endgültigen Untersuchungsergebnisse bezüglich möglicher Kampf- oder Abwehrspuren und auch bezüglich der Frage, ob die Frau tatsächlich auch Opfer eines Sexualdelikts war, stehe aber noch aus.

22-Jährige konnte Krankenhaus mittlerweile verlassen

Die 22-Jährige hat nach Angaben von Oberstaatsanwalt Thomas Hörmann eine Platzwunde am Kopf, Prellungen und Schürfwunden erlitten. Wie die Polizei mitteilte, konnte sie das Krankenhaus noch am Freitag verlassen. Der mutmaßliche Täter befindet sich in Untersuchungshaft.

Gegen den Verdächtigen wird wegen Mordes, versuchten Mordes und eines Sexualdelikts ermittelt. Hörmann betonte im BR allerdings: "Wobei insbesondere im Hinblick auf den Verdacht eines Sexualdelikts die Ermittlungen noch abgewartet werden müssen. Belastbare Angaben können hierzu derzeit noch nicht gemacht werden."

Laut Polizei hat sich der Verdächtige vor dem Haftrichter zu den Vorwürfen gegen ihn geäußert. Was er gesagt hat, ist noch nicht bekannt. Aktuell geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass der US-Amerikaner als Tourist in Deutschland unterwegs war. Er stammt laut Polizeiangaben vom Montag aus dem US-Bundesstaat Michigan.

Tatverdächtiger wird vorerst nicht an die USA ausgeliefert

Die Staatsanwaltschaft Kempten schließt eine Auslieferung des mordverdächtigen 30-jährigen zunächst aus. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Thomas Hörmann, sagte auf Anfrage, Voraussetzung für eine Auslieferung sei ein Ermittlungsverfahren in den USA. Davon sei ihm nichts bekannt. Laut §3 Strafgesetzbuch gilt das deutsche Strafrecht für alle Taten, die innerhalb des deutschen Staatsgebiets begangen wurden. Diese internationale Grundregel nennt sich "Territorialprinzip".

Sollte der Tatverdächtige hier verurteilt werden, könnte er seine Strafe teilweise in den USA absitzen. Eine Auslieferung ist aber nur dann zulässig, wenn die zu verbüßende Reststrafe mindestens vier Monate beträgt. Polizeisprecher Holger Stabik erklärte, bei der Strafverfolgung spiele die Staatsbürgerschaft des Verdächtigen keine Rolle, es sei denn, er hätte möglicherweise in den USA ebenfalls Straftaten begangen, wäre dort flüchtig und die USA würden die Auslieferung eben beantragen.

Bürgermeister von Schwangau: "Das geht uns allen sehr nahe"

Der Bürgermeister von Schwangau, Stefan Rinke, drückte den Opfern und deren Angehörigen sein Beileid aus. Er sagte im BR-Interview: "In der Gemeinde herrscht Trauer. Das geht uns allen sehr nahe, weil wir sowas noch nie erlebt haben."

Trotzdem geht Rinke nicht davon aus, dass sich die Tat negativ auf den Ort und den Tourismus auswirken wird: "Es handelt sich hier um einen Einzeltäter und auch ein Einzeldelikt. Es ist sehr tragisch, aber es wird keine Auswirkungen haben auf Schwangau und auch nicht auf die Sicherheitslage. Die Menschen, die zu uns kommen, spüren und merken von der Tat nichts."

Touristen sind geschockt wegen der Gewalttat

Am Schloss und der Marienbrücke läuft der Tourismus wie gewohnt, auch wenn natürlich die meisten Besucher von dem brutalen Überfall gehört haben. Ein junges Paar aus Michigan in den USA zeigt sich geschockt von dem Vorfall: "Wir haben gestern Abend davon gehört. Es ist vor allem als Frau beängstigend, hier draußen zu sein mit deinen Freunden und zu glauben, dass man sicher ist und es doch nicht ist. Aber Du kannst nicht dein ganzes Leben in Angst verbringen", sagt die Frau. Ihr Begleiter ergänzt: "Es ist furchtbar, dass es einen so schönen Ort wie diesen trifft. Besonders wir Amerikaner lieben es hier zu sein und die Schlösser und die Natur zu erleben. Diese Gewalt wirft auch ein schlechtes Bild auf uns Touristen weltweit."

Eine Lehrerin aus Altötting, die mit einer Schülergruppe aus Pennsylvania in den USA an der Marienbrücke ist, berichtet: "Die Schüler haben mit den Eltern zuhause in den USA telefoniert. Da ist das auch großes Thema in den Medien." Besorgt seien sowohl Eltern wie auch Schüler wegen des Vorfalls aber nicht, eine Absage des Besuchs am Schloss Neuschwanstein stand daher auch nie zur Diskussion. Ein älteres Paar aus Kanada ergänzt: "Furchtbar, dass so etwas an einem derart belebten Ort passiert. Aber davor ist man wohl nirgends sicher."

Polizei sucht Zeugen sowie Fotos und Videos

Die Polizei sucht weiterhin nach möglichen Zeugen, die die Tat gesehen haben oder im Vorfeld verdächtige Beobachtungen gemacht haben. Außerdem hat die Polizei Besucher von Neuschwanstein dazu aufgerufen, Fotos und Videos, die sie am 14. Juni aufgenommen haben, über ein Upload-Portal der Bayerischen Polizei hochzuladen.

Auch wenn der mutmaßliche Täter oder die beiden angegriffenen Frauen nur zufällig auf dem Material zu sehen sind, kann dies den Beamten bei den Ermittlungen helfen. Laut Polizeinagaben vom Montag haben sich bisher rund zwei Dutzend Zeugen gemeldet und ihre Videos oder Fotos hochgeladen.

Ermittler gehen von Zufallsbegegnung aus

Die britische Zeitung Daily Mail berichtete, dass die Opfer den Täter nicht kannten, sich aber auf dem gleichen Tagesauflug befunden hätten. Von der Polizei dagegen hieß es am Montag, bei den Ermittlungen gehe man weiter davon aus, dass sich der Täter und die beiden Opfer bei Schloss Neuschwanstein zufällig begegnet seien.

Nach dem Stand der Ermittlungen könnte sich die Tat am Mittwoch so abgespielt haben: Die beiden Frauen waren auf der Marienbrücke unterwegs, als sie zufällig auf den US-Amerikaner trafen. Dieser lockte die beiden dann auf einen schwer einsehbaren Trampelpfad, und attackierte die 21-jährige Frau sexuell. Als die 22-jährige Freundin der Frau einschreiten wollte, würgte sie der Täter nach den bisherigen Erkenntnissen und stieß sie einen steilen Abhang in Richtung der Pöllatschlucht hinab. Danach soll der Mann auch die 21-Jährige den Abhang hinabgestoßen haben. Etwa 50 Meter tiefer kamen beide Opfer nebeneinander zum Liegen.

Wie wird in den USA und in Italien über den Vorfall berichtet?

Sowohl die beiden Opfer als auch der mutmaßliche Täter sind US-Staatsbürger. Schloss Neuschwanstein zählt in den USA zu den bekanntesten europäischen Bauwerken. Dennoch ist nach Einschätzung des ARD-Studios in Washington nur wenig über den Vorfall berichtet worden. Die New York Times berichtete unter der Schlagzeile "Amerikanerin starb bei Neuschwanstein, nachdem sie einen Abhang heruntergestoßen wurde". Die Zeitung interviewte einen New Yorker, der den Einsatz des Rettungshubschraubers nach der Attacke sowie die Festnahme des Tatverdächtigen beobachten konnte. Den beschrieb der Augenzeuge als typischen Touristen, der allerdings Kratzspuren im Gesicht gehabt habe. Der US-Nachrichtenkanal CNN nannte die Universität der beiden Opfer und auch die vollen Namen der beiden Frauen.

In Italien wurde etwas größer in den Regionen berichtet, denen Bayern geografisch vergleichsweise nahe ist. Zum Beispiel auf der Newsplattform des Corriere Adriatico, der die Gegend an der Adriaküste bedient, im Newsportal der RAI Südtirol oder im Corriere della Sera aus Mailand. Eine Gemeinsamkeit beobachtet das ARD-Studio Rom bei den Geschichten, die in Italien zum Thema Neuschwanstein erschienen sind: In den Schlagzeilen tauchte meist die Formulierung "Orrore nel castello delle fiabe", Horror im Märchenschloss auf. Die Meldungen selbst sind nicht aufgebauscht, es wird geschildert, was bislang über die Tat bekannt ist. Aber selbst wenn es "nur" Meldungen sind, transportieren sie auch in Italien Entsetzen über die Tat, Entsetzen über einen mutmaßlichen Mordfall an einem weltbekannten Touristenziel im nahegelegenen Ausland. Grundsätzlich aber schauen Italiens Medien, nicht nur bei Boulevardthemen, erstmal auf Italien - unter anderem deswegen hat der Fall nicht für tagelange oder landesweite Empörung gesorgt.