Mark Zuckerberg will sein Netzwerk endgültig als Zentrum aller Onlineaktivitäten etablieren. Ein Angriff auf Google und Amazon.
facebook
© DPAEine Demonstrationsversion der neuen Facebook-Seite.

Irgendwann als Teenie mal zu Songs von David Hasselhoff mitgeschmachtet, oder zu politisch zweifelhafter deutscher Rockmusik gegrölt? Irgendwann mal wie im Fieber die neuesten Arztromane gelesen, oder im Liebeskummer massenhaft romantische Komödien geglotzt? All diese Konsum-Ausrutscher, so will es Facebook-Chef Mark Zuckerberg, sollen künftig ewig der Nachwelt erhalten bleiben.

Timeline heißt der Teil der Facebook-Produktoffensive, der Datenschützer am meisten Kopfschmerzen bereiten dürfte. Die Chronik allen Medien- und Internetkonsums ist der wohl wichtigste Teil von Facebooks neuem Web2.0-Auftritt.

Den Komplett-Umbau des sozialen Netzwerks stellte Zuckerberg am Donnerstag auf der Facebook-Entwickler-Konferenz F8 vor, und der Gründer geizte nicht mit Superlativen: "Die aufregendsten Dinge, an denen er und seine Entwickler je gearbeitet haben", sollen die mittlerweile 800 Millionen Facebook-Nutzer ab kommender Woche nutzen dürfen, die Timeline-Funktion umschrieb er gar völlig unbescheiden als "Geschichte des Lebens" - alles gemeinsam sei "lebensverändernd."

So übertrieben Zuckerbergs Vorstellung wirkte, zumindest für seine Firma könnten sich die Änderungen tatsächlich als lebensverändernd erweisen: Facebook versucht mit seiner neuen Nutzeroberfläche, sich selbst endgültig als Zentrum aller Onlineaktivitäten seiner Nutzer zu etablieren.

Wichtigstes Hilfsmittel dazu ist künftig die Neufassung von Facebooks Open-Graph-Funktion. Die ist den Nutzern bislang vor allem durch den kleinen blauen Like-Button auf unzähligen Webseiten bekannt. Bislang konnte kleine blaue Ding lediglich melden, ob ein Nutzer eine Webseite mochte - doch nun soll Open Graph durch mehrere neue Multimedia-Funktionen zu etwas völlig neuem mutieren.

Lässt der Nutzer es zu, sollen Open Graph-fähige Seiten künftig prompt auf dem Profil eines jeden Facebook-Nutzer anzeigen, was dieser so im Netz treibt: Welche Videos guckt er beim Streaming-Dienst Netflix, welche Nachrichten liest er bei Facebooks diversen Medienpartnern, welche Ebooks schmökert er, welche Musik hört er dazu. So entsteht nach und nach, dokumentiert via Timeline, ein Profil jedes Nutzers, wie selbst die Datenkrake Facebook es nie zuvor besaß.

Sortiert wird nach Vorlieben

Mehr noch, dank der Open Graph-Funktion vermag Zuckerberg, eine neue Art der Indexierung des Netz bereitzustellen: Sortiert wird nicht mehr nach Suchbegriffen, Verlinkung oder Tags, sondern nach den Vorlieben der Facebook-Freunde. Wer als Inhalteanbieter mitmachen möchte, kann künftig auch gleich ein eigenes Miniaturprogramm für die Facebook-Homepage bereitstellen: Videos, Nachrichtentexte, Musik, alle Multimedia-Inhalte können von nun an via Facebook angeliefert werden, die Nutzer sollen die Zuckerberg-Domaine nie mehr verlassen müssen. So wird sein Angebot zum blau-dominierten Netz im Netz.

Setzt sich die neue Open-Graph-Variante durch, könnte Zuckerberg erstmals ein soziales Inhaltsverzeichnis des Netzes und all seiner Multi-Media-Inhalte erstellen, individuell auf jeden Nutzer zugeschnitten. Mehr noch, die Nutzer müssen die Inhalte nicht einmal mehr suchen, sie werden durch die Facebook-Notifications darauf hingewiesen, was die Freunde gerade so treiben: Mark und Antonia gucken gerade die Serie "Mad Men", willst du nicht auch?

Facebook will sich vom bloßen sozialen Netzwerk zum neuen Multimedia-Zentrum jedes Nutzers weiterentwickeln, das mit seinem Universalanspruch alle Einzelangebote der Konkurrenz ersetzen kann und überflüssig macht. Damit bestätigt das Netzwerk einmal mehr seinen Status als neues soziales Betriebssystem des Internets, und schafft eine semathische Sortierung des Netz entsprechend der Empfehlungen der besten Freunde, wie sie Konkurrent Google zuvor nie gelang.

Konkurrenz ist entsetzt

Die Konkurrenz dürfte die Neuerung mit Entsetzen betrachten, denn mit der Integration von sozialem Netz 2.0 und multimedialen Einkaufsmöglichkeiten a la iTunes startet Zuckerberg den Frontalangriff gegen gleich drei Giganten des Netz, den Beobachter bereits seit Monaten von ihm erwarten.

Zum einen macht er Apple und Amazon den Alleinvertretungsanspruch beim Verkauf von Medieninhalten streitig, zum anderen sieht Googles Netzwerk Google+ nun plötzlich fast dröge aus, kaum dass es diese Woche endgültig freigeschaltet wurde. Mehr noch, die neuen Suchfunktionen dürften sich direkt auf die Erträge von Googles höchsteigenem Goldesel, der Vermarktung von Suchergebnissen, auswirken.

Facebooks Marketingpartner dagegen reiben sich gerade die Hände, sie lernen nun dank Open Graph ihre Kunden besser kennen als je zuvor, was Zuckerberg sich teuer bezahlen lassen dürfte. Die Nutzer kratzt erfahrungsgemäß wenig, ob sie ihren Medienkonsum nicht nur mit den Freunden, sondern auch gleich mit allen Werbepartnern teilen.

Zwar mahnt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, einmal mehr: „Die Nutzerinnen und Nutzer sollten sich ernsthaft überlegen, ob sie die Geschichte ihres Lebens, wie von Herrn Zuckerberg vorgeschlagen, auf Facebook erfassen lassen. Jeder sollte sich bewusst sein, dass einmal eingetragene Daten der eigenen Kontrolle entzogen werden."

Doch ob Jugendsünden bei Facebook in Form von alkoholtrunkenen Photosessions oder aber in Form von peinlichen Musik-Playlists konserviert werden, kümmert die Nutzer erfahrungsgemäß erst weit später - dann aber ist die eigene Lebensgeschichte längst ausgewertet, vermarktet, beworben und zerpflückt.