San Francisco - Die Hypothese, das chronische Erschöpfungssyndrom (CFS) sei Folge einer Infektion mit Retroviren, verliert durch eine Studie in Science (2011; doi: 10.1126/science.1213841) weiter an Boden. Neun Labore konnten das Virus in Blutproben von Patienten nicht sicher nachweisen. Die Leiterin des Whittemore Peterson Institute in Reno, die die Hypothese aufgestellt hatte, hat die ursprüngliche Publikation zurückgenommen - allerdings nur teilweise. Sie hofft auf die Ergebnisse einer noch ausstehenden Studie.

Der plötzliche Beginn des CFS legt eine infektiöse Genese nahe. Doch alle Versuche, die diagnostisch schwer fassbare Erkrankung auf Infektionen mit Epstein-Barr- oder andere Viren zurückzuführen, waren gescheitert.

Da überraschte das Whittemore Peterson Institute in Reno, eine private Stiftung, die zur Erforschung der Erkrankung gegründet wurde, die Fachwelt im Oktober 2009 mit einer Publikation in Science. Die Gruppe um die Leiterin des Instituts, Judy Mikovits, berichtete, sie habe in den Leukozyten von 67 Prozent von 101 CSF-Patienten Gene des “xenotropic murine leukemia virus - related virus (XMRV) gefunden.

Beunruhigend war auch der Befund, dass 3,7 Prozent von 218 gesunden Kontrollen ebenfalls mit dem Virus infiziert seien, das als Retrovirus ein - wenn auch entfernter - Verwandter des Aids-Virus HI ist. Dies sorgte für einige Unruhe, auch in Deutschland, wo man sich Gedanken über die Sicherheit von Blutspenden machte.

Die American Association of Blood Banks (AABB) riet im Juni 2010 allen Patienten mit CFS vorsorglich von Blutspenden ab, woran der Dachverband von US-Blutbanken AABB auch heute noch festhält, obwohl es weder einen Hinweis gibt, dass Blutprodukte das Virus übertragen, noch dass es im menschlichen Blut überhaupt existiert.

Die Ergebnisse des Whittemore Peterson Institute konnten nämlich von anderen Forschergruppen nicht sicher reproduziert werden. Auch eine multizentrische Untersuchung der US-National Institutes of Health kommt jetzt zu einem negativen Ergebnis.

An der Studie beteiligten sich neun Laboratorien, die Retroviren nachweisen können, darunter auch das Whittemore Peterson Institute. Alle Labore erhielten Proben von 14 Patienten mit CFS, bei denen zuvor XMRV oder das verwandte P-MLV (polytropic murine leukemia viruses) nachgewiesen wurde. Hinzu kam eine weitere Blutprobe von einer XMRV-positiv getesteten Person, der (noch?) nicht an einer CFS erkrankt war. Weitere 15 Blutproben stammten von gesunden und XMRV-negativen Blutspendern.

Die Proben waren geblindet, die Institute wussten also nichts über den Krankheitshintergrund oder frühere Testergebnisse. Alle verwendeten jetzt die gleichen Tests: 11 Gensonden, 5 Antikörper und 3 Viruskulturen.

Aus zwei Laboren wurden positive Ergebnisse gemeldet. Es waren jene Labore, die zuvor über die Assoziation zwischen XMRV und CFS berichtet hatten. Anders als in der ursprünglichen Publikation fielen die Test aber bei Gesunden und Patienten gleich häufig positiv aus. Die positiven Blutproben wurden danach in anderen Labors erneut untersucht. Dort waren die Testergebnisse dann negativ.

Michael Busch vom Blood Systems Research Institute and University of California, San Francisco, der die Studie koordiniert hat, hält deshalb Laborkontaminationen für die wahrscheinlichste Erklärung für die falschpositiven Ergebnisse. Ein allgemeines Screening für Blutprodukte hält er nicht für erforderlich. Die Entscheidung des AABB, die CFS-Patienten von der Spende auszunehmen, ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Inzwischen hat Mikovits eingeräumt, dass es im Labor zu Kontaminationen gekommen ist. Sie hat die Studie, allerdings nur teilweise zurückgezogen. Gegenüber Science meinte die Forscherin, sie sei weiter überzeugt, dass bei 20 bis 30 Prozent aller Patienten Virusmaterial im Blut vorhanden ist. Als nächstes werden die Ergebnisse einer Studie der Columbia University in New York erwartet. Dort werden derzeit Blutproben von 150 Patienten mit CF und 150 Kontrollen verglichen.

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