An deutschen Unis versuchen fundamentalistische Christen, Mitglieder zu werben. Eine Journalistik-Studentin hat sich in die Sekte eingeschleust. Für FOCUS-Campus berichtet sie.
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© dpaImmer mehr Studenten werden Opfer von Sekten

Wer als Student in eine neue Stadt kommt, ist unsicher und kennt sich nicht aus. In einer solchen Situation ist man froh, wenn jemand Unterstützung anbietet. Fundamentalistische Christen nutzen das aus, um hinter der Fassade der Nächstenliebe eine Weltanschauung voller Intoleranz zu verbreiten.

Auch eine Journalistik-Studentin wurde - wie viele andere - auf dem Campus häufig angesprochen: Ob sie nicht mal mitkommen wolle. Man lese zusammen die Bibel, treffe sich regelmäßig. Es sei sehr gesellig. Sie ließ sich darauf ein. Für drei Monate war sie unter falschem Namen in der „Internationalen Gemeinde Christi“ (IGC).

Obwohl sie sich im Vorfeld gut über die Gruppierung informiert hatte, geriet sie in den Sog der sympathisch auftretenden Fundamen­talisten, ließ sich beinahe bekehren. Sie schaffte rechtzeitig den Absprung. Doch aus Angst vor Nachstellungen durch die Gemeindemitglieder bleibt sie anonym.

Der Sekten-Spion

Ein Experte der evangelischen Kirche stand der Autorin bei ihrem Vorhaben zur Seite. Rudolf, genannt Rudi, Forstmeier ist Diakon der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. Er gehört der Landes­synode, dem Selbstver­waltungs­gremium der Evangeli­schen Kir­che in Deutschland, an. Forst­meier vertritt einen Glau­ben, in dem sich „Men­schen gegenseitig gelten lassen.“

Als Beauftragter für neue religiöse Bewegungen der Landeskirche Bayern beobachtet der 58-Jährige Glaubens­ge­meinschaften, die im Freistaat aktiv werden. Er berät Betroffene und unterstützt mögliche Aus­steiger. In dieser Position kam er schon häufig mit der „Internationalen Gemeinde Christi“ in Be­rührung. Forst­meier analysierte die Erfahrungen der Undercover-Reporterin. Präzise deckte er dabei die Vorgehensweise der IGC-Mitglieder bei der Mis­sionierung eines neuen Täuflings auf.

Kapitel I - Frauenandacht (1)
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.

[Mt. 28.19]
Lachen, Singen, Eiskaffee. Frauen mit praktischen Kurzhaarschnitten sprechen über Kinderbetreuung. Fast wie bei einem Kaffeekränzchen. Doch ich bin bei einer Andacht der „International Church of Christ“ (ICOC), bei uns auch „Internationale Ge­meinde Christi“ (IGC) genannt.

Ich hatte davon gehört, dass Mitglieder dieser fundamental-christlichen Vereinigung gezielt Studenten an Unis ansprechen und sie zu ihren Treffen einladen. Ganz unverbindlich und um neue Kontakte zu knüpfen. Ich wurde neugierig und schrieb eine E-Mail an die örtliche Gemeinde. Die Antwort: eine prompte Einladung.

Gläubige Wohlfühlatmosphäre

Nun bin ich hier - und zunächst enttäuscht: Die „Kirche“ ist nichts als ein Raum voller Stühle mit Holzkreuz an der Wand und einem Klavier in der Ecke. Dafür sind alle sehr freundlich zu mir. Vor allem Vera (Name von der Redaktion geändert), die Leiterin der Andacht. Sie kümmert sich um mich. Fordert mich auf, dass ich mich der Gruppe vorstelle und diese sich mir. Das ist mir etwas unangenehm, aber durch aufmunterndes Lächeln ermutigen mich die anderen. Jeder scheint sich um den anderen zu kümmern. Ich fühle mich wohl und verstanden.

Die Andacht beginnt. Gott wird „Papa“ genannt, was ich etwas befremdlich finde. Auch, dass Männer als „Brüder“ bezeichnet werden. Trotzdem finde ich die Atmosphäre sehr harmonisch.

Missionarin weicht nicht von der Seite

Das ändert sich, als es nach der Andacht um die Missionstätigkeit geht. „Meine Nachbarin scheint interessiert, da müssen wir dranbleiben“, fordert eine Frau. „Die Lösung zu allem liegt in Gott“, betont eine andere. Plötzlich wirken alle sehr bestimmt und etwas unheimlich.

Vera, die mir nicht von der Seite weicht, erzählt mir, dass sie als Studentin zur IGC gekommen sei. Ein Kommilitone habe die heute 37-Jährige mitgenommen. „Vorher hatte ich schon viel ausprobiert, auch Esoterik. Aber nur hier habe ich Sinn gefunden“, erklärt sie.

Zwei Tage später erhalte ich von ihr eine SMS. Von da ab folgen regelmäßige Nachrichten und Anrufe, in denen sie häufig Bibelstellen zitiert. Eine Woche später lädt sie mich zum Bibelkreis ein.

Alle anderen Religionen sind verdammt
... Wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

[Joh. 3.18]
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© Focus-CampusRudolf Forstmeier, Diakon der evangelisch-lutherischen Kirche
Alle sind verdammt. So kommt es mir zumindest vor. Zu Hause bei Vera treffe ich Benjamin (Name von der Redaktion geändert), ein Enddreißiger mit müdem Gesichtsausdruck. Wir haben im Lukas-Evangelium gelesen, wo Jesus seinen Jüngern empfiehlt, sich zu retten und sich nicht um andere zu kümmern. Daraus schließt Benjamin: Anhänger aller Religionen, die nicht an Christus glauben, sind verdammt. Ebenso alle, die von Jesus gehört haben und nicht konvertiert sind. Ich wende ein, dass jemand, der mit einer anderen Religion aufwächst, eben diese für richtig hält. Er widerspricht, scheinbar geduldig: „Wer Christus sieht, muss die Wahrheit erkennen.“ Verdattert bin ich, als er mich wissen lässt: „Dafür, dass du kein Christ bist, sprichst du ganz schön laut mit.“

Muslime sind verdammt

Zu Muslimen hat Benjamin eine klare Meinung: Sie sind verdammt, weil sie dem Wort Gottes, der Bibel, etwas hinzugefügt hätten. Und das sei verboten. Als ich frage, ob nicht Mohammed vielleicht von Gott inspiriert wurde, deutet Benjamin auf die Bibel. „Hier steht es ganz klar: Nach Christus kommt niemand mehr.“

Katholiken keine Christen

Aber die Bibel ist doch von Menschen gemacht. Und die machen Fehler ...“ Diese Äußerung war ein großer Fehler. Vera und Benjamin reden auf mich ein: Die Bibel komme direkt von Gott - das stehe in einer Bibelstelle. Das ist paradox. Aber ich bin jetzt lieber still. Ich erhalte eine Nachhilfestunde in Weltan­schauung: Ein echter Christ ist nur, wer der IGC angehört. Als Ausnahmen gelten nur zwei, drei ausgesuchte andere Freikirchen. Nicht aber Katho­liken und Protestanten. Familienmitglieder eingeschlossen. „Mein Vater zum Beispiel“, sagt Ben­jamin, „wurde als Kind mit Wasser bespritzt (Anmerkung der Redaktion: getauft). Aber er hat nie wirklich von Gott gesprochen - ich kann mir also nicht vorstellen, dass er gerettet ist.“

Nun dankt Vera Gott, dass ich zu ihnen gefunden habe. Er solle mir den rechten Weg weisen. Ich hoffe inständig, dass er es nicht tut. Zumindest nicht in Richtung von Vera und Benjamin. In den nächsten Tagen erhalte ich mehrere SMS von Vera: Dass sie für mich bete. Und wann wir uns denn wiedersehen würden. Ich merke, dass sie sich um mich kümmert. Und schreibe zurück.

Rudi Forstmeier: „Das neue Mitglied wird mit Liebe und Aufmerk­samkeit überschüttet, wie es häufig in solchen Gruppen der Fall ist. Dies und das Gott für die Anwesenheit der ,Neuen’ gedankt wird, wirkt auf manche Menschen sehr anziehend.“

Kapitel III - Andacht
Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater, und die Tochter mit ihrer Mutter ...

[Mt. 10.35]
Vera erwartet mich schon am Eingang. Sie will mich dem Gemeindeleiter vorstellen. „Der Guru“, schießt es mir durch den Kopf. Wir wechseln zwar nur ein paar Sätze. Doch ich stelle fest: Er weiß schon alles über mich. Offensichtlich hat er gute Informanten. Unheimlich. Wie ich noch feststellen werde, wird seine Autorität selten angezweifelt. Vera will, dass wir ganz vorne neben ihm stehen und uns ein Gesangbuch teilen.

Nach dem Singen hält Yvonne (Name von der Redaktion geändert) eine Rede. Sie ist eine wichtige Persönlichkeit in der Gemeinde, um die 40, verbraucht aussehend, mit schlecht blondierten Haaren. Irgendwie passt sie nicht zu den anderen, den wie brave Hausfrauen aussehenden Frauen hier.

Gott prüft dich

Sie erzählt, dass sie gerade aus den Staaten, aus Virginia, zurückgekommen sei. Dort habe sie obere Führungsmitglieder der Kirche besucht. „Wir waren mit Tausenden Christen am Meer, als jemand getauft wurde. Es tat gut, mal ohne Anders­gläubige zu sein.“ Gemeint sind Katholiken, erfahre ich später. Überhaupt klingt sie sehr abweisend, wenn sie von anderen Religionen spricht.

Sie spricht das Wort „Christ“ mit rollendem „R“, und versteht darunter, natürlich, nur die Anhänger freier Kirchen. Bei Diskus­sionen wirkt sie aggressiv. Mich lässt sie einmal wissen: „Du musst verstehen, dass Gott dich prüft“ und „Die Wurzel ist in Gott und sonst nichts. Auch nicht in Menschen.“ Wer ihren Interpretationen nicht sofort zustimmt, den fährt sie aufbrausend an.

Sektenexperte Rudi Forstmeier: „In einem bedeutenden Teil der Gemeinde besteht ein fundamentalistisches Bibelverständnis. Daraus folgt der An­spruch der richtigen Lehre - die Volkskirchen, insbe­sondere die katholische Kirche, werden mit Ablehnung und Kritik behandelt.“

Zehn Prozent des Einkommens spenden: Kapitel IV - Bibelkreis (2)
Die Ältesten, die der Gemeinde gut vorstehen, die halte man zweifacher Ehre wert ...

[1. Tim. 5.17a]
„Und wie viel soll man geben?“ Die Frage kommt etwas unvermittelt. Wir haben uns zu fünft in einem Café getroffen, und Yvonne füllt ihren monatlichen Scheck an die Gemeinde aus.

Mindestens zehn Prozent des Bruttoeinkommens soll man spenden - der traditionelle Kirchenzehnte. Doch bei der letzten Predigt wurde geklagt: Die Gemeindemitglieder zahlten zu wenig. Yvonne und Vera schauen mich fordernd an. Ich fühle mich unwohl und bin froh, als das Thema gewechselt wird.

Blindes Vertrauen auf Gottvater

Benjamin erzählt, dass es früher Abstufungen unter den Anhängern der Gemeinde gab: Je höher jemand stand (Gemeindeleiter, Kreisleiter, Verbandsleiter in den USA), als umso spiritueller galt er. Heute jedoch seien die Mitglieder in Bezug auf den Glauben gleich.

Bei einem späteren Treffen lesen wir zunächst aus der Bibel. Dann dreht sich das Gespräch plötzlich um mich. Die anderen reden auf mich ein: Ich solle Gottes Wege akzeptieren und nicht mehr versuchen, mein Leben in eine ­andere Richtung zu steuern. Ich solle mich ihm ganz ­öffnen. Das alles klingt für mich nicht mehr fürsorglich, sondern im Gegenteil fordernd. Ich bin froh, als ich diesem Abend schließlich heimgehe. Ich will mir nicht von anderen sagen lassen, was richtig ist.

Sektenexperte Rudi Forstmeier:
Obwohl sich in den letzten fünf Jahren einiges geändert hat, funktioniert bei der Internationalen Gemeinde Christi die Hierarchie weiter. Das erkennt man nicht nur in der geforderten Spende - sondern auch schon daran, wie Daten von neu zu Missionierenden weitergereicht werden.
Kapitel V - Frauenandacht (2)
Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.

[1. Tim. 2.12]
Die Frau ist die Krone der Schöpfung, das Ebenbild der sanften, schönen Seite Gottes. Zu diesem Schluss kommen zwei „Schwestern“, als wir über die Rolle der christlichen Frau in der Schöpfung reden. Das klingt geradezu feministisch.

Nur Männer auf Führungsebene

Doch die Har­monie wird getrübt, als sich eine ältere Frau zu Wort meldet: Warum eigentlich alle Prediger der Gemeinde Männer seien? Wieso es keine Frauen im Leitungsgremium gebe? Sie ist wütend. Vera erstickt die Diskussion bereits im Keim und lässt keine weiteren Fragen zu. Stattdessen singen wir.

Antisemitische Auslegungen - Kapitel VI - Sonntagsgottesdienst
Die haben den Herrn Jesus getötet und die Propheten und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen feind.

[1.Thess. 2.14]
Mein erster richtiger Gottesdienst. Über 100 Menschen sind da, sogar Gäste aus den USA. Zuerst wird gesungen. Dann werden die Kinder rausgeschickt - sie sind noch nicht getauft. Das Abendmahl wird kommentarlos auf einem Tablett herumgereicht. Nach einer kleinen Rede hält der Gemeindeleiter eine Predigt. Er spricht über das Gleichnis im Lukas-Evangelium, Kapitel 13: Ein Feigenbaum trägt drei Jahre keine Früchte. Gott befiehlt dem Gärtner, ihn umzuhauen. Der aber bittet darum, ihn noch ein Jahr hegen und pflegen zu dürfen. Gemeint ist: Auch wer nicht auf Gott hört, erhält von Jesus noch eine Chance. Dachte ich zumindest.

Verdammte Juden

Der Prediger ruft jetzt dagegen: „Und wer ist das - der Feigenbaum? Das sind die Juden!“ Ich zucke zusammen. Jesus habe den Juden immer wieder helfen, sie retten wollen, predigt der Gemeindeleiter weiter. Doch die hätten ihm nicht geglaubt und ihn am Ende sogar getötet. Weswegen es ihr eigener Fehler sei, dass sie verdammt sind. Und das bis heute. Weil sie ja keine Christen seien.

Nach der Predigt verlasse ich das Gebäude schnell. Ich bin erschüttert über die Schwarz-Weiß-Ideologie dieser „einzig wahren“ Christen. Für mich steht fest: Es ist höchste Zeit, den Kontakt abzubrechen.

Vera schreibt mir in den nächsten Wochen weiter SMS, versucht mich zurückzugewinnen. Sie schildert, dass die Gemeinde gerade im Bibelcamp sei, wo den ganzen Tag zusammen Bibelstellen gelesen und Reden angehört werden. Es soll verlockend klingen, doch für mich ist es das nicht. Ich komme nicht wieder.

Sektenexperte Rudi Forstmeier:
Das fundamentalistische Bibelverständnis geht bis zur antisemiti­schen Auslegung. Andere Redner wurden für ähnli­che Äu­ßerungen der Volks­verhetzung angeklagt.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Diese Kirche ist eine extreme Gemeinde, die für eine ökumeni­sche Zusammenarbeit nicht infrage kommt. In Be­zug auf Struktur und Umsetzung der Gemeinde­hierarchie hat sie sektiererische Elemente.
Überblick über bekannte Sekten

Scientology
© dpaDie Scientology Kirche in Hamburg
Manche Religionsgemeinschaften oder Sekten richten sich besonders an junge Leute oder sind an Universitäten aktiv und werben um neue Mitglieder.

Die Internationalen Gemeinden Christi (IGC) stehen in der Tradition der Erwe­ckungs­­bewegung Restoration Movement. Ihre englische Bezeichnung ist International Churches of Christ (ICOC), früher Boston Movement. Die Lehre gleicht dem konservativen amerikanischen Protestantismus. Jesus gilt als unbedingtes Vor­bild, die wörtliche Auslegung der Bibel als Le­bensgrundlage. In besten Zeiten gab es weltweit 400 Gemeinden mit etwa 135 000 Mitgliedern.

1979 übernahm Gründer Kip McKean eine Ge­mein­de in Lexington. In kurzer Zeit for­mte er sie zu einer streng hierarchischen Ge­mein­­­schaft mit ihm an der Spitze. 1988 wurde die erste deutsche Gemeinde in Mün­chen ge­­grün­det. Ins Schlingern kam die Kirche 2001: McKeans Tochter Olivia, eine Harvard-Studentin, trat aus. Verhängnisvoll für ihren Vater: Laut seinen Regeln mussten Führungs­mit­glieder, deren Familien­angehörige austreten, zurücktreten. So auch er. In Deutschland tritt die IGC inzwischen gemäßigt auf, lehnt andere Religionen aber weiterhin als falsch ab.

Straflager bei Scientology

Die Scientology-Lehre wurde 1950 von L. Ron Hub­bard entwickelt. Sie besagt, dass durch bestimm­te Praktiken der un­sterbliche „Thetan“ des Men­schen überragen­de Fähig­keiten erlangt. Scien­to­logy beansprucht Al­lein­gültig­keit. Oft wird der Be­­we­gung vorgewor­fen, Mitglieder unter Druck zu setzen und finanziell auszunutzen. Auch von Straf­lagern ist zu lesen, was von Scien­tologen dementiert wird.

Die Holic-Gruppe

Benannt ist diese Sekte nach dem mittlerweile ausgeschlossenen Öster­reicher Gottfried Holic. Die Mitglieder leben in Güter­gemeinschaft und verbieten sich private Ge­danken oder Akti­vi­täten außerhalb der Gruppe. Sie glauben, durch das Bibelstudium exklusiv zur Seligkeit zu kommen.

University Bible-Fellowship

Diese Gruppe konzen­triert sich insbesondere auf die Mission an Hoch­schulen. Mitglieder werben an der Uni andere Stu­den­ten an, indem sie zu netten Tref­fen einladen. Einmal in den Bibellesungen, wer­den „Neue“ von ihren alten Bezie­hungen ferngehalten und zu stän­digem Bibel­studium angehalten. Wollen sie sich zu­rückziehen, droht man mit Gottes Rache.

Splittergruppen der Mormonen

Die Mormonen-Gemeinschaft wur­de 1830 als die „Kirche Jesu Chris­­ti der Heiligen der Letzten Tage“ gegründet. Sie bezieht sich auf das Buch Mormon. Splittergruppen der Mormonen leben zum Teil polygam und gestehen den Priestern große Autorität zu. Sie missionieren unter anderem in Fußgängerzonen.

So wird man Sekten los

Sektenexperte
© Focus-CampusSektenexperte Matthias Neff
In einem Interview mit FOCUS-Campus nennt Matthias Neff, Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen beim katholischen Bistum Trier, gefährliche Sekten und verrät, wie man sie sich vom Leib hält.

FOCUS-Campus: Warum sind Studienanfänger besonders gefährdet, wenn es um Sekten geht?

Matthias Neff: Junge Menschen sind in diesem Alter oft zum ersten Mal von zu Hause weg. In dieser Zeit ist man empfänglich für Neues, auch für potenzielle Lösungsvorschläge. Studien­anfänger sind mit neuen Ansprüchen, Konkurrenz, auch Selbststeuerung konfrontiert. Da gibt es einen leichteren Ansatzpunkt für Gruppierungen.

Scientology zum Beispiel zielt auf das Konkur­renzdenken ab, indem der Mensch dort besser und stärker gemacht werden soll. Die christlichen Fundamentalisten hingegen locken mit Gemein­schaft, Aufmerksamkeit und Zuwen­dung.“

FOCUS-Campus: Welche Gruppen sind an den Unis aktiv?

Matthias Neff: Es gibt die christlichen Fundamentalisten, die ein enges dualistisches Weltbild haben. Ein Beispiel ist die UBF („University Bible Fellowship“). Deren Prinzip ist das sogenannte „Shepherding“. Das heißt, jedem neuen Mit­glied wird ein „Hirte“ zur Seite gestellt, der in allen Lebenslagen um Rat zu fragen ist.

Daneben gibt es Scientology und andere Psycho-Gruppen, die sich die Verbesserung des Menschen durch transzendentale Meditation zur Aufgabe gemacht haben. Außerdem esoterische Gruppierungen.

FOCUS-Campus: Worin unterscheiden sich die christlichen Funda­men­talisten von „normalen“ Bibel­gruppen?

Matthias Neff: Es gibt keine Diskussionen über das Weltbild, andere Kirchen und Religionen werden abgelehnt, ebenso in Teilen die moderne Kultur. Die Aussagen der Gruppe werden absolut gesetzt.

FOCUS-Campus: Wie funktioniert das Missionieren am Campus?

Matthias Neff: Es gibt keine Werbetische oder Plakate, alles läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda. Leute werden gezielt angesprochen. Diese Taktik beinhaltet starkes Interesse am Einzelnen.

FOCUS-Campus: Was sollte man tun, wenn man mit einer Sekte in Kontakt kommt?

Matthias Neff: Hilfe und Informationen suchen. Internes Wissen ist oft geringer als das der Experten. Ju­risten, Psychotherapeuten und kirchliche oder staat­liche Beratungsstellen helfen weiter.

An­fangs erkennt man häufig nicht, in was für einer Gruppierung man sich befindet. Erst im Laufe der Zeit ist festzustellen, dass das Weltbild eingeschränkt wird.

FOCUS-Campus: Woran merkt man, dass ein Kommilitone in so etwas hineinrutscht?

Matthias Neff: Oft merkt das Umfeld, dass sich jemand zu seinem Nachteil entwickelt. Das bedeutet nicht immer Rückzug, zum Teil wird auch auf penetrante Art missioniert. So werden Freunde vergrault. Aber genau darin liegt eben das große Problem: Man darf den Kontakt eben nicht abbrechen.

Was ist eine Sekte?

Der Begriff Sekte leitet sich vom lateinischen Ausdruck „secta“ (Lehre, Gefolgschaft) ab. Im wissenschaftlichen Sinn bezeichnet er eine durch ein Schisma entstandene Abspaltung von einer etablierten Religion. In diesem Sinn wäre das Christentum ursprünglich eine jüdische Sekte.

Im Alltagsgebrauch bezeichnet „Sekte“ eine Gruppierung mit Konfliktpotenzial. Auch friedliche Gemeinschaften, die im Allgemeinen als Irrlehre betrachtet werden, können im Volksmund jedoch so bezeichnet werden.

Der beste Freund will retten

Was tun, wenn der beste Freund plötzlich nur noch in der Bibel liest und davon spricht, dass er andere retten muss?
  1. Anzeichen
    Innerer Rückzug und Kon­zentration auf eine bestimmte „neue“ Gruppe oder missionarischer Eifer gegenüber Bekannten. Wachsende Intoleranz gegenüber anderen Religionen.
  2. Maßnahmen
    Kontakt beibehalten, zuhö­ren, nicht provozieren lassen, nicht lustig machen, Hilfe bei Experten suchen.
  3. Mögliche Probleme und Ursachen
    Glaube an die absolute Wahrheit, Versuch der Sekte, das neue Mitglied zu isolieren.
Wer hilft?

An folgende Gruppen und Vereinigungen kann man sich wenden, wenn um mehr über Sekten und den Umgang mit ihnen zu erfahren.

Hilfe in Weltanschauungsfragen bieten unter anderem die großen Volkskirchen. Bei der katholischen Kirche sind in ­jeder Diözese Sektenbeauftragte. Für München sind das beispielsweise Hans Liebl und Alex Seegers, telefonisch erreichbar unter 089/5 45 81 30.

Aber auch staatliche oder private Stellen helfen. Zum Beispiel FECRIS, die Europäische Föderation der Zentren für For­schung und Information bezüglich des Sekten­wesens.

In Österreich gibt es die Ge­sellschaft gegen Sek­ten- und Kultgefahren GSK, in der Schweiz die Infor­mationsplatt­form Inforel.