Mehr als zwei Millionen Deutsche sind pflegebedürftig, rund ein Drittel davon lebt in Pflegeeinrichtungen. Die Bedingungen dort sind oft sehr schlecht: Mindestens jedes fünfte Altenheim in Deutschland betrügt seine Bewohner und die Pflegekassen, weil es weniger Altenpfleger beschäftigt als nötig wären. Das geht aus einer Recherche der Welt am Sonntag hervor, für die wir verschiedene Heimaufsichten auf Landes- und Kommunalebene befragt haben. In Hessen, dem Bundesland, das über die am besten zentral dokumentierte Erfassung der Daten verfügt, verstieß im vergangenen Jahr sogar jedes vierte Heim gegen die gesetzlichen Vorgaben und strich die eingesparten Löhne als Gewinne ein.

Die Spitzen der Sozialverbände und führende Pflegeexperten im Bundestag kritisieren die derzeitigen Kontrollen als zu lasch. "Dort, wo tatsächlich gefährliche Pflege stattfindet, muss durch die Aufsichten entschlossen gehandelt werden. Dann darf auch eine Schließung einer wiederholt auffälligen Einrichtung kein Tabu sein", sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, der Welt am Sonntag. Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der Union, sagte, die Aufsicht sei nicht grundsätzlich zu nachsichtig, "sie setzt aber nicht selten die falschen Schwerpunkte".

Bisher drohen den Heimbetreibern, die zu wenige Altenpfleger beschäftigen, in der Regel lediglich Verwarnungen oder Bußgelder. Nur in besonders drastischen Fällen, bei denen der Personalmangel bereits zur spürbaren Gefahr für die Bewohner, zu Unterernährung oder Misshandlungen geführt hat, verhängen die Behörden Belegungsstopps oder verfügen in wenigen Einzelfällen Schließungen. Die für Gesundheit und Soziales in der SPD-Bundestagsfraktion zuständige Abgeordnete Elke Ferner sagte, es dürfe nicht "als Kavaliersdelikt" abgetan werden, wenn Heime absichtlich zu wenige Pflegekräfte anstellten. "Wir können nur an die Heimaufsicht auf Landesebene appellieren, dass sie die gesetzlichen Möglichkeiten für Strafen ausschöpft."

Wie groß die Mängel im Pflegesystem sind, zeigen auch Daten des Spitzenverbandes des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDS). Nach Auskunft des MDS stellen die Prüfer bundesweit bei unangemeldeten Kontrollen in etwa jedem dritten Heim "Ernährungsprobleme" bei den Bewohnern fest, darunter Unterernährung oder Dehydrierung. In bis zu einem Viertel der Heime werden demnach Wunden nicht optimal versorgt. Dabei kosten viele Heimplätze mehr als 4000 Euro im Monat.

Das Bundesgesundheitsministerium mahnt ebenfalls strenge Kontrollen an: "Missstände sind in jedem Einzelfall schlimm und bedauerlich. Dahinter stehen immer menschliche Schicksale. Ich gehe davon aus, dass die zuständigen Länder mit ihren Aufsichten Missständen nachgehen", sagt Staatssekretär Thomas Ilka. Wichtig sei, dass in den Einrichtungen Transparenz und hohe Qualitätsstandards herrschten. Genau dies bezweifeln Branchenexperten.

Kritik am derzeitigen Stand der Qualitätskontrollen in Heimen kommt auch vom CDU-Bundestagsabgeordneten und Pflegeexperten Willi Zylajew. Er moniert, dass in Deutschland zur Abschreckung kein zentrales Register existiert, das erfasst, welcher Heimbetreiber wie oft auffällig geworden ist.

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