Vertiefungen im Tyagaraja-Krater auf Merkur
© Science/AAASVertiefungen (grün) im Tyagaraja-Krater auf Merkur. (Klicken Sie auf die Bildmitte, um zu einer vergrößerten Darstellung zu gelangen.)

Washington/ USA - Nach nur sechs Monaten auf einer Umlaufbahn um den innersten und damit sonnennächsten Planeten des Sonnensystems, liefert die NASA-Sonde "MESSENGER" (MErcury Surface, Space ENvironment, GEochemistry, and Ranging) nun erstaunliche Informationen über den Planeten Merkur, die nicht nur bisherige Theorie und Vermutungen widerlegen, sondern auch zeigen, wie sich dieser von den übrigen inneren Planeten in vielerlei Hinsicht unterschiedet. Neue Theorien zur Entstehung des Merkurs sind notwendig, um das neue Bild des Planeten erklären zu können.

In insgesamt sieben Studien legen internationale Forscherteams die neuen Untersuchungsergebnisse und Auswertungen der "MESSENGER"-Daten nun im Fachmagazin Science vor.

Zwei dieser Artikel beschreiben die ungewöhnlichen Oberflächenmerkmale und erläutern, wie sehr sich diese von dem unterscheiden, was Wissenschaftler zuvor vermutet hatten, sollte sich Merkur aus ähnlichen wenn auch weniger oxidierten Bausteinen wie jene, aus welchen sich die anderen erdartigen Felsplaneten im Sonnensystem (Venus, Erde und Mars) gebildet haben, entstanden sein.

So erwarteten die Forscher beispielsweise deutlich weniger Anteile an Schwefel und Kalium, als dies nun von den Röntgen- und Gammastrahlenspektrometern der Sonde nun gemessen wurden. Da beide Elemente schon bei relativ niedrigen Temperaturen verdampfen, schließt ihr Vorhandensein zahlreiche zuvor vorgeschlagene Szenarios aus, die davon ausgingen, dass Merkur in seiner frühen Geschichte mehreren extremen Hochtemperatur-Ereignissen ausgesetzt war.

"Die Theoretiker müssen jetzt noch mal von vorn anfangen, wenn es um die Entstehungsgeschichte des Merkur geht", kommentiert der Hauptautor einer der Studien, Larry Nittler von der "Carnegie Institution for Science". "Die meisten der bisherigen Ideen über die Chemie des Merkurs stimmen nicht mit dem überein, was wir aktuell auf der Oberfläche des Planeten gemessen haben."

Während die langjährige Frage nach Vulkanen auf Merkur grundsätzlich schon von früheren Vorbeiflügen der Sonde prinzipiell beantwortet werden konnte, war die globale Verteilung vulkanischen Materials bislang noch unbekannt. Die neuen Daten aus dem permanenten Orbit zeigen nun ausgedehnte vulkanische Ebenen rund um die nördliche Polarregion des Planeten, wie sie alleine schon rund sechs Prozent der Oberfläche des Merkurs bedecken.

"Diese Ablagerungen", so erläutert James Head von der "Brown University", weisen die gleichen Merkmale von Lavaströmen auf, wie sie beispielsweise auch in dem einige Millionen Jahre alten Columbia-Basaltplateaus auf der Erde zu finden sind." Die Plateaus auf Merkur erscheinen derart, als hätten sie sich aus langen, linearen Schloten ergossen, von hier aus die benachbarten Gegenden bis in große Tiefen überflutetet hatten und dann schlussendlich auch die Quellschlote unter sich begruben."

Hinzu haben die Wissenschaftler Vulkanschlote mit einer Länge von 25 Kilometern entdeckt, die offenbar der Ursprung gewaltiger Mengen heißer Lava waren, die einst über die Oberfläche des Merkurs geflossen sind und dabei den Untergrund erodiert und Täler und tropfenförmige Grate im tiefer liegenden Terrain gegraben hatten.

Des Weiteren entdeckten die Forscher eine auf Merkur gänzlich unerwartete Geländeform, die nahe legt, dass bislang unbekannte geologische Prozesse für ihre Entstehung verantwortlich sind. Schon Aufnahmen der Sonde "Mariner 10" und jene der "MESSENGER"-Vorbeiflüge zeigten, dass am Grunde innerhalb einiger Einschlagskrater sehr helle und im Vergleich zum umliegenden Gelände bläuliche Verfärbungen zu finden sind.

Die neuen Aufnahmen zeigen nun hochaufgelöste Nahaufnahmen von vielen dieser Krater (s. Abb.) und offenbaren, dass die hellen Flächen aus kleinen, flachen und unregelmäßig geformten Vertiefungen bestehen, die sich meist gleich Haufenweise gruppiert finden und die von den Forschern als "Hollows" (Mulden) bezeichnet werden, um sie von anderen Gruben auf dem Planeten zu unterscheiden.

Diese Mulden wurden in weiten Teilen des Planeten entdeckt, was die Vorstellung nahe legt, dass sie relativ häufig sind. Viele dieser Mulden haben ein helles Inneres und ebensolche Ränder. Die bislang entdeckten Beispiele scheinen relativ frisch und jungen Datums zu sein, sind sie doch noch nicht von anderen Einschlagskratern gestört.

Als wahrscheinlichsten Mechanismus für die Entstehung dieser Mulden vermuten die Forscher das Entweichen von Gasen und der dadurch ausgelöste Kollaps des Untergrunds. Woher die freigesetzten Gase allerdings stammen, ist bislang aber noch unklar.

"Analysen der Bilder und Einschätzungen der Rate, mit der diese Mulden offenbar entstehen, lassen de Schlussfolgerung zu, dass sich diese Strukturen heute noch bilden", so David T. Blewett von der "Johns Hopkins University", ein weiterer Autor einer der Studien. "Die bisherige Lehrmeinung ging davon aus, dass Merkur dem Erdenmond gleicht. Aus unserem neuen Aussichtspunkt aus dem Orbit des Planeten sehen wir jetzt jedoch, dass sich Merkur radikal vom Mond unterscheidet und dies in nahezu jedem Aspekt den wir nur messen können."
Schematische Darstellung Magnetfeld Merkur
© Science/AAASSchematische Darstellung des Magnetfelds von Merkur

Erde, Merkur, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun haben alle spezifische Magnetfelder. Die neuen Messungen der "MESSENGER"-Sonde zeigen nun allerdings, dass sich auch das schwache Magnetfeld des Merkurs von denen der anderen Planeten unterscheidet. Die Partikelbeschleunigung in der Magnetosphäre von Merkur wird in der Studie von George Ho vom "Applied Physics Laboratory" an der "Johns Hopkins University" beschrieben. Demnach deuten die "MESSENGER"-Beobachtungen der energetischen Elektronen daraufhin, dass deren Verteilung nicht mit dem Übereinstimmt, was Wissenschaftler bislang von Van-Allen-Strahlungsgürteln zu wissen glaubten. Bei diesen Gürteln handelt es sich um Bänder aus geladenen Partikeln, die mit dem Magnetfeld wechselwirken und die Planeten umgeben.

Auch liegt der magnetische Äquator des Merkurs zum geologischen Äquator deutlich um 480 Kilometer gen Norden verschoben. Das Forscher-Team fand zudem, dass Natrium das wichtigste Plasma-Ion ist, das vom Planeten selbst in die Magnetosphäre eingegeben wird. "Zuvor hatten wir anhand erdgestützter Beobachtungen neutrales Natrium entdeckt. Aus der Nähe betrachtet haben wir nun aber herausgefunden, dass geladene Natrium-Partikel in der Nähe der Polarregionen wahrscheinlich vom Sonnenwind befreit werden und so Natrium-Atome aus der Oberfläche des Planeten schlagen", erläutert Thomas Zurbuchen von der "University of Michigan", Autor eines der Science-Artikel. "Es ist uns gelungen, den Entstehungsprozess dieser Ionen zu beobachten, wie er mit der Art und Weise zu vergleichen ist, wie Polarlichter in der Atmosphäre über den Polen der Erde entstehen."

Überall in der Magnetosphäre des Merkurs fanden die Forscher mit dem "Fast Imaging Plasma Spectrometer" zudem Helium-Ionen, die ebenfalls durch das Wechselspiel der Planetenoberfläche mit dem Sonnenwind erzeugt werden. "Wir vermuten, dass dieses Helium von der Sonne stammt und mit dem Sonnenwind zunächst in die Oberfläche des Merkurs regelrecht implantiert, um dann - ebenfalls vom Sonnenwind - in alle Richtungen herausgeweht werden", so Zurbuchen. "Unsere Ergebnisse sagen uns, dass Merkurs schwache Magnetosphäre nur geringen Schutz für den Planeten vor dem Sonnenwind darstellt.

"Eine jede Mission, bei der ein Raumschiff zum ersten Mal einen Planeten umkreist, hat bislang erstaunliche Überraschungen offenbart", kommentiert der leitende Wissenschaftler der "MESSENEGR"-Missison Sean Solomon von der "Carnegie Institution". Auch Merkur mache da keine Ausnahme. "Alle Beobachtungen und Messungen erbrachten unerwartete Ergebnisse. Merkur ist nicht der Planet, wie bisherige Lehrbücher ihn darstellen. Auch wenn es sich um einen wirklichen Geschwisterplaneten von Venus, Mars und Erde handelt, so offenbart der innerste Planet ein sehr viel erstaunlicheres Eigenleben, wie das, was man zuvor von ihm erwartet hatte."

Quellen: grenzwissenschaft-aktuell.de / carnegiescience.edu