Ohne Hormone gibt es mehr ungewollte Schwangerschaften, mit ihnen steigt offenbar die Zahl der HIV-Infektionen: Dieses Dilemma ist das Ergebnis einer großen Studie in Afrika. Männer sind demnach durch die Verhütungsmittel ebenso ansteckungsgefährdet wie Frauen.
Modell des HI-Virus
© dpaModell des HI-Virus: Hormone können die Infektions-Gefahr beeinflussen

Es ist eine Zwickmühle: Einerseits verbessert die Verhütung durch Hormone die Gesundheit von Frauen in Afrika. Denn ungewollte Schwangerschaften sind in zahlreichen Fällen verantwortlich für Blutungen, Infektionen und auch Todesfälle. Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille: Offenbar kann die hormonelle Familienplanung das Risiko für HIV-negative Menschen verdoppeln, sich mit dem Virus zu infizieren. Das ist das Ergebnis einer Studie mit knapp 3800 afrikanischen Paaren, von denen nur ein Partner mit dem HI-Virus infiziert war.

In Afrika ist vor allem die Verhütung durch Hormonspritzen beliebt: Die vergleichsweise einfache Methode etwa mit dem Depotpräparat DMPA ermöglicht es den Frauen, sich ohne tägliches Pillenschlucken vor einer Schwangerschaft zu schützen. Rund zwölf Millionen Frauen, das sind etwa sechs Prozent der 15- bis 49-Jährigen, aus den südlichen Ländern Afrikas verhüten so. Doch auch diese bequeme Methode scheint der Untersuchung zufolge das Risiko einer HIV-Infektion zu verdoppeln. "Wenn es sich tatsächlich herausstellt, dass diese Verhütungsmittel dabei helfen, die Aids-Epidemie weiterzuverbreiten, haben wir es mit einer echten Gesundheitskrise zu tun", sagte Isobel Coleman vom Think Thank Council on Foreign Relations zur New York Times.

Bisher gab es zwar schon Hinweise darauf, dass eine Hormontherapie die Empfänglichkeit für das HI-Virus verändert - doch die Studienlage ist dünn. In ihrer neuen Untersuchung haben die Wissenschaftler um die Epidemiologin Renee Heffron von der University of Washington in Seattle nun eine größere Gruppe von Männern und Frauen untersucht: 3790 Paare aus Botswana, Kenia, Ruanda, Südafrika, Tansania, Uganda und Simbabwe nahmen an der Studie teil. Bei 1314 von ihnen war die Frau HIV-negativ und der Mann HIV-positiv. Bei den übrigen Paaren war es der umgekehrte Fall, wie die Forscher im Fachblatt "Lancet Infectious Diseases" berichten.

"Das ist ein schwieriges Dilemma"

Bei den gesunden Frauen, die Hormone schluckten oder eine Hormonspritze bekamen, kam es zu 6,6 zusätzlichen Fällen einer HIV-Infektion pro 100 Personenjahren. Im Gegensatz dazu kam es bei den Frauen, die keine Hormone nahmen, nur 3,78 zusätzliche Fälle pro 100 Personenjahren. Unter Personenjahre versteht man die Summe der Beobachtungszeit aller Probanden. Bei der Gruppe der infizierten Frauen und gesunden Männer war die Tendenz vergleichbar: Wenn eine HIV-positive Frau hormonell verhütete, kam es zu 2,61 zusätzlichen HIV-Infektionen des Partners pro 100 Personenjahren. Die Übrigen steckten ihre Partner nur mit einer Rate von 1,51 an. Nach eigenen Angaben der Studienautoren ist dies die erste Untersuchung, die ein erhöhtes Infektions-Risiko für gesunde Ehemänner von HIV-positiven Frauen mit hormoneller Verhütung zeigt.

"Die aktive Werbung für DMPA-Präparate in Gebieten mit einer hohen Zahl von HIV-Neuinfektionen könnte zur Epidemie in Afrika südlich der Sahara beitragen", kommentiert Charles Morrison von der Abteilung für klinische Wissenschaften an der Durham University, USA, die Studie in Lancet Infectious Diseases. "Das wäre tragisch." Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO will nun offenbar ihre Empfehlungen zum Gebrauch von Verhütungsmitteln überarbeiten: "Wir wollen sicher sein, dass wir rechtzeitig warnen, wenn es sein muss, und gleichzeitig wollen wir kein voreiliges Urteil fällen, das weitreichende Konsequenzen für die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen hat", sagte Mary Gaffield, Epidemiologin von der WHO, zur New York Times. "Das ist wirklich ein schwieriges Dilemma."

Doch die Untersuchung liefert keine abschließenden Beweise und hat auch einige Einschränkungen: Beispielsweise nutzten insgesamt nur elf Prozent aller Frauen hormonelle Kontrazeptiva und die absolute Zahl der Neuinfektionen von Frauen lag im Untersuchungszeitraum bei 13 (zehn Probandinnen hatten DMPA verwendet, drei Hormone geschluckt).

"Wie bei allen Studien ist der Schwachpunkt, dass ungeschützter Sexualverkehr häufiger unter der Einnahme von Verhütungsmitteln stattfand", sagte Anja Potthoff vom Kompetenznet HIV/Aids zu SPIEGEL ONLINE. Dieses Risiko wurde zwar laut Autoren statistisch berücksichtigt, aber es schränke doch die Aussagekraft ein. "Außerdem wurden höhere Spiegel von HIV-RNA in Abstrichen von Frauen gemessen, die Kontrazeptiva nahmen", so Potthoff. "Eine wissenschaftliche Erklärung für diesen Effekt gibt es bisher nicht."

Auch Charles Morrison moniert in seinem Kommentar: Die Angaben der Teilnehmer, ob sie Verhütungsmittel verwendet hatten, seien ebenso wenig kontrolliert worden wie die Auskünfte darüber, ob zusätzlich Kondome benutzt wurden. "Ein Wechsel zwischen den Verhütungsmethoden war häufig", schreibt Morrison. "Fast die Hälfte aller hormonell verhütenden Frauen nahm zu einem gewissen Zeitpunkt der Untersuchung keine Hormone."

Warum die Hormone das Risiko für eine HIV-Infektion erhöhen, könnte den Autoren um Renee Heffron zufolge mehrere Ursachen haben: Die Kontrazeptiva könnten das Vagina-Gewebe verändern, möglicherweise beeinflussen sie Zahl und Aktivität von Botenstoffen und den Austritt der Viren aus dem Gewebe. Die Wissenschaftler schreiben in der Fachzeitschrift: "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass man Frauen über die Gefahr einer HIV-Infektion bei hormoneller Verhütung (...) aufklären muss und ihnen zu zweifachem Schutz mit Kondomen raten sollte."