Dresdner Wissenschaftler untersuchen erstmals Verbreitung und Behandlung von psychischen Krankheiten in der EU
Psych. Krankheit
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Dresden. Psychische Störungen sind in Europa zur größten gesundheitspolitischen Herausforderung des 21. Jahrhunderts geworden. Dies offenbart eine wissenschaftliche Studie, die von Dresdner Psychologen wie Prof. Frank Jacobi erarbeitet wurde.

Die Autoren stellen zudem dramatische Missstände in der Versorgung fest. Weniger als ein Drittel aller Betroffenen wird überhaupt behandelt, oft nicht fachgerecht. Denn Minimalforderungen werden in Behandlungsleitlinien dokumentiert. Für die Krankheit Depression können sie Betroffene oder Angehörige nachlesen unter www.depression.versorgungsleitlinien.de. Rechnet man die neurologischen Erkrankungen noch dazu, ist das "wahre" Ausmaß der gesellschaftlichen Belastung noch deutlich höher.

Die Ergebnisse (veröffentlicht in European Neuropsychopharmacology) basieren auf einer über drei Jahre durchgeführten Studie und beziehen sich auf alle 27 EU Staaten sowie die Schweiz, Island und Norwegen mit einer Gesamt-Einwohnerzahl von 514 Millionen Menschen. Es wurden über 100 unterschiedliche psychische und neurologische Krankheitsbilder berücksichtigt. Damit ist dies die weltweit erste Studie, die ein nahezu vollständiges Spektrum von psychischen und neurologischen Störungen umfasst.

Der Wissenschaftler fasst die wichtigsten Ergebnisse der Forschungsarbeit wie folgt zusammen: Jährlich leiden 38,2 Prozent aller Einwohner der EU (164,8 Millionen Menschen) unter einer klinisch bedeutsamen psychischen Störung. Die psychischen Störungen sind in allen Altersstufen ähnlich häufig und selbst unter Kindern und jungen Erwachsenen weit verbreitet. Die häufigsten Erkrankungsformen sind Angststörungen, Schlafstörungen, Depressionen, psychosomatische Erkrankungen, Drogenabhängigkeit sowie Demenzen.

Im Vergleich zu 2005 ergeben sich keine Hinweise auf eine Zu- oder Abnahme der Häufigkeit psychischer Störungen. Eine Ausnahme bildet aufgrund der angestiegenen Lebenserwartung eine Zunahme der Demenzerkrankungen. Ein in verschiedenen EU-Ländern häufig "wahrgenommener" Anstieg sei nach Meinung Jacobis nicht auf eine Zunahme der Erkrankungshäufigkeit, sondern auf verändertes Hilfesuch- und Therapieverhalten der betroffenen Patienten bzw. der behandelnden Einrichtungen zurückzuführen. Auch hinsichtlich der extrem niedrigen Behandlungsraten psychischer Störungen habe sich leider im Vergleich zu 2005 keine Veränderung gezeigt. Höchstens ein Drittel aller Betroffenen in der EU erhalten irgendeine Form professioneller Aufmerksamkeit oder eine Therapie.

Insgesamt ist die gesellschaftliche Belastung durch psychische Störungen bei weitem größer als durch andere Krankheiten (Krebs, Herzerkrankungen etc.). Die Studie legt erstmals für die EU entsprechende Zahlen vor und zeigt, dass psychische Störungen für 26,6 Prozent der gesellschaftlichen Gesamtbelastung durch Krankheiten in der EU verantwortlich sind. Die vier am stärksten hervorzuhebenden Erkrankungen sind: Depression, Demenzen, Alkoholabhängigkeit und Schlaganfall. Die besondere Belastung bei psychischen Krankheiten macht sich durch ihre lange Dauer und die Schwere der Folgen bemerkbar.

(sw)