POTSDAM - Raub, Erpressung, Missbrauch, Mobbing: Etwa jeder sechste Berliner Schüler ist im vergangenen Jahr mindestens einmal Opfer einer Gewalttat geworden. Das geht aus einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen hervor, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie räumt dabei mit einigen Klischees zur angeblichen Gewaltmetropole auf.

„Es gibt positive Befunde und nicht primär Kritisches und Negatives zu berichten, etwa, dass Berlin am allerschlimmsten ist“, erklärte Direktor Christian Pfeiffer. Sein Institut hatte zwischen Sommer 2010 und April 2011 mehr als 3000 Neuntklässler befragt und die Antworten mit einer zuvor deutschlandweit durchgeführten Studie verglichen. „Berlin schneidet viel besser ab als erwartet. Das führen wir auf die Prävention zurück“, sagte Pfeiffer.

17,9 Prozent der jungen Berliner, also fast jeder Sechste, gaben an, sie seien in den vergangenen zwölf Monaten beraubt, erpresst oder geschlagen worden. Im Bundesdurchschnitt waren es 16,8 Prozent. Berlin liegt damit gleichauf mit anderen Großstädten. Entgegen landläufigen Meinungen sind die Jungkriminellen in Berlin nicht brutaler als anderswo. Auch trinken Berliner Schüler weniger als Altersgenossen im Bundesschnitt.

Allerdings zeigt die Studie, dass sich Delikte besonders oft - nämlich in jedem fünften Fall - in U-Bahnen oder auf Bahnhöfen abspielen. Schüler aus Einwandererfamilien werden häufiger gewalttätig, besonders jene, deren Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion oder aus der Türkei stammen. Pfeiffer erkennt hier einen Zusammenhang mit dem Islam und tradierten Männerbildern.

Die Erhebung soll beleuchten, was die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik naturgemäß im Dunkeln lässt, weil in ihr nur Taten erfasst werden, von der die Polizei erfährt. „Wir als Kriminologen trauen diesen Statistiken nicht“, sagte Pfeiffer. „Da taucht nur das auf, was angezeigt wird, etwa nur ein Viertel der Taten. Drei Viertel der Taten bleiben unentdeckt.“

Das Institut um den 1944 in Frankfurt (Oder) geborenen ehemaligen niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer hatte zuvor bereits den Zusammenhang zwischen Gewalt und Religion, Herkunft oder Computerspielen untersucht. Pfeiffers Studien sind nicht unumstritten. Auch die aktuelle Befragung hatte Kritik durch den Landeselternrat ausgelöst. Der hatte „suggestive Fragen“ bemängelt und gewarnt, dass Schüler mit Gewalterfahrungen durch die sehr direkten Fragen „retraumatisiert“ werden könnten.

Pfeiffer empfahl angesichts der Studienergebnisse mehr Kontrollen in U-Bahnen und auf Bahnhöfen, auch per Videoüberwachung. Auch müsste der Staat konsequent gegen Schulschwänzer vorgehen und weiter den Alkoholmissbrauch bekämpfen.

Jede fünfte Gewalttat geschieht in der U-Bahn

Für die Studie zu Gewalterfahrungen von Berliner Jugendlichen wurden 184 Schulklassen (rund 3200 Schüler) der neunten Jahrgangsstufe befragt.

Das Ergebnis widerspricht der öffentlichen Wahrnehmung: Berlin hat demnach keine auffallend höhere Kriminalitätsrate als andere Städte.

Die Zahl der Opfer liegt etwas höher als im Bundesschnitt: Beraubt, erpresst oder geschlagen wurden demnach schon einmal 17,9 Prozent der Jugendlichen. Im Bund waren es 16,8 Prozent. Damit liegt Berlin auf der Stufe anderer Großstädte (17,9 Prozent).

Mobbing ist auch in Berlin verbreitet: Jeder Fünfte (20,4 Prozent) gab an, physische Gewalt durch Mitschüler erlitten zu haben (Bund: 21,4 Prozent). Bei verbalem Mobbing steht Berlin besser da als der Bund.

Etwas jünger sind die Täter in Berlin: Mit 13,1 Jahren werden sie im Schnitt gewalttätig (Bund: 13,7 Jahre).

In U- oder S-Bahn gibt es mehr Angriffe. Mehr als jede fünfte Gewalttat (21,2 Prozent) ereignet sich in Berlin im Nahverkehr und an Bahnhöfen. Im Bund liegt dieser Anteil bei 11,4 Prozent, in anderen Großstädten bei 16,1 Prozent.

Alkohol spielt bei Jugendlichen in Berlin überraschenderweise eine geringere Rolle. Einmal pro Woche trinken 14,6 Prozent der Berliner Neuntklässler, bundesweit im Bund sind es 24,7 Prozent.

gel