Schuldenkrise einmal anders: Weil es Rechenfehler in der Bilanz der Bad Bank der HRE gab, hat die Bundesrepublik Deutschland plötzlich 55,5 Milliarden Euro weniger Schulden.
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© Andreas Gebert/DPASchuldiger gesucht: Zentrale der Hypo Real Estate bei München

Bisher hatte es das von Wolfgang Schäuble (CDU) geführte Bundesfinanzministerium unter der Decke gehalten: Peinliche Bilanzierungsfehler sorgten dafür, dass die Schulden, die der Bund von der Münchner Pleitebank Hypo Real Estate (HRE) übernommen hat, um sage und schreibe 55,5 Milliarden Euro überschätzt wurden.

Es geht um Summen, die in der Bilanz der Bad Bank der HRE auf der Passiva-Seite stehen. Bei der Bad Bank, die unter dem Namen FMS Wertmanagement firmiert, räumte man jetzt im jüngsten Halbjahresbericht in verschwiemelten Worten ein, dass sich die Verbindlichkeiten reduziert hätten, weil neuerdings "Barsicherheiten" für Finanzderivate "saldiert in den entsprechenden Bilanzposten ausgewiesen" würden. Bisher hatte man die Summen der Sicherheiten einfach aufaddiert.

Suche nach dem Schuldigen

Die FMS hat darum nun rückwirkend ihre Bilanz für 2010 korrigiert und dort offen 24,5 Milliarden weniger Schulden ausgewiesen. In der Bilanz für 2011 sollen noch einmal 31 Milliarden hinzu kommen. Indirekt hat auch das Finanzministerium den kuriosen Schuldenschnitt dank Bilanzbereinigung bereits bekannt gemacht. In der Antwort auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst (Linke) im September nannte der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk (CSU) die alten und die neuen Zahlen. Während die FMS noch 2010 insgesamt 216,5 Milliarden Euro zu den deutschen Staatsschulden beitrug, sind es in 2011 nach vorläufiger Schätzung nur noch 161 Milliarden. Differenz: 55,5 Milliarden Euro.

Statt sich zu freuen, schieben sich die Beteiligten hinter den Kulissen gegenseitig die Verantwortung für die Rechenfehler zu. Bei der FMS beschuldigt man hinter vorgehaltener Hand die Mutterbank HRE, die als Dienstleister auch das Portfolio der Bad Bank verwaltet. Bei der HRE fragen sich einige dagegen, warum bis zum Sommer weder das FMS-Personal noch deren Wirtschaftsprüfer den Fehler entdeckt hätten.

Zahlen an Eurostat gemeldet

Die Panne rückt einen Umstand ins Bewusstsein, den die Bundesregierung bisher lieber möglichst geräuschlos abgehandelt hätte - nämlich die Tatsache, dass die Bankenrettung die deutsche Staatsverschuldung erheblich erhöht hat. Vor allem wegen der übernommenen Verpflichtungen geretteter Banken stieg der Schuldenstand der deutschen öffentlichen Haushalte, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), im Jahr 2010 um sage und schreibe 18 Prozent. Das war der "höchste absolute Zuwachs" in einem Jahr "seit Bestehen der Statistik", errechnete das Statistische Bundesamt schon im Februar.

Inzwischen hat die Bundesregierung die neuen, schöneren FMS-Zahlen für 2010 an Eurostat gemeldet. Die EU-Statistikbehörde veröffentlichte vergangene Woche eine neue Übersicht der Defizite und Schulden in den Mitgliedsstaaten und erwähnte auch "Revisionen" für Deutschland wegen der FMS Wertmanagement.

Wundersame Statistikwelt

Zugleich trat da ein neues Kuriosum auf. Eigentlich hätte sich Dank der besseren Bilanz der FMS der deutsche Schuldenstand für 2010 um etwa ein Prozent verringern müssen. Tatsächlich - wundersame Welt der Staatsstatistik - blieb er unverändert bei 83,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dafür nannte Eurostat auf Anfrage zwei Gründe. Zum größeren Teil liege das daran, dass das deutsche BIP im vergangenen Jahr in Wahrheit doch kleiner gewesen sei, als gedacht. Außerdem hätten sich bei einer generellen Revision der deutschen Schuldenstatistik andere Daten als falsch erwiesen - sie mussten nach oben korrigiert werden.

Allzu viel Anlass zu Optimismus bietet die FMS Wertmanagement ohnehin nicht. Wie der stern bereits im August enthüllt hatte, drohen den Steuernzahlern bei der Abwicklung der toxischen Finanzanlagen, die die Anstalt von der HRE übernommen hat, dauerhafte Kosten von um die 50 Milliarden Euro. Ein Grund dafür ist, dass in den Büchern der Bad Bank bis heute Papiere im Wert von 60 Milliarden Euro aus den EU-Schuldenstaaten schlummern, also aus Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien.

Das Bundesfinanzministerium nahm auf eine Anfrage von stern.de zum Sachverhalt bis zum späten Donnerstagabend keine Stellung.