Zwei rote Wachstempel versiegeln die Luke zu den Containerröhren seit dem 3. Juli 2010. Nach 520 Tagen wird nun das Siegel gebrochen und sechs Männer steigen aus einer Raumschiffattrappe. Sie kommen zurück vom Mars, dabei haben sie ihn nie gesehen.
mars500, astronauten
© ESADie Besatzung im Mai 2011

Nach 18 Monaten Isolation verlassen sechs Männer einen Container im Moskauer Institut für Biomedizinische Probleme: Von Wissenschaftlern bewacht haben sie eine Reise zum Mars simuliert. Schon seit Sowjetzeiten werden dort im Namen der Raumfahrt Isolationsprojekte durchgeführt - aber noch nie so lange wie bei Mars500. Die russische und die europäische Raumfahrtagenturen fühlen sich nun dem bemannten Marsflug einen Schritt näher.

Ohne Schwerkraft auf dem Mars

Die russische Raumfahrtagentur Roskosmos holte die Europäische Raumfahrtagentur ESA und die Chinesen ins Marsprojekt und so wurden neben den Russen Alexander Smolejewskij, Suchbrob Kamolow und Alexej Sitew, auch der Italiener Diego Urbina, der Franzose Romain Charles und der Chinese Wang Yue zu Container-Astronauten. Schwerkraft und radioaktive Strahlung, denen eines Tages richtige Marsfahrer ausgesetzt sein würden, blieben ihnen im Experiment zwar erspart. Das Wissenschaftlerteam in Moskau glaubt dennoch, dass 520 Tage Isolation die Menschheit näher bringen auf dem Weg zur bemannten Marsmission. "Es ist entscheidend zu wissen, wie sich lange Isolation auf Körper, Psyche und Gruppendynamik auswirkt", sagt Alexander Suworow, einer der wissenschaftlichen Leiter von Mars500.
Gesundheitliche Experimente an Bord

Einen Großteil ihrer Zeit verbrachten die Teilnehmer mit wissenschaftlichen Experimenten. Elf der 105 Projekte fanden unter Leitung deutscher Wissenschaftler statt. Erste Ergebnisse gibt es schon: Blutdruckforscher der Universität Erlangen versorgten die sechs Probanden monatelang mit Nahrung - und belegten: Weniger Salz lässt den Blutdruck sinken. Wissenschaftler der Sporthochschule Köln stellten einen Trainingsplan für die Marsmannschaf auf. Ihr Fazit: Sport steigert Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. "Die Ergebnisse sind bahnbrechend - bisher gab es keine experimentellen Beweise", sagt Peter Gräf, der bei der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt das Marsprojekt leitet. In ein paar Wochen nach dem Ausstieg werden die sechs Männer in Deutschland Wissenschaftlern für weitere Tests zur Verfügung zu stehen.
Wichtige Trockenübung für den Ernstfall

Konflikte habe es wenige gegeben, sagt die Psychologin Olga Schewtschenko, die seit 30 Jahren Gutachten über Astronauten erstellt und die Isolierten betreut hat. "Ich bin stolz auf sie, wir haben die richtigen Teilnehmer aus über 6.000 Bewerbern ausgewählt haben."

Zumal in der Vergangenheit ähnliche Experimente eskalierten: 1999 gerieten bei einem Isolationsprojekt in Moskau zwei Russen in eine Schlägerei, eine kanadische Teilnehmerin fühlte sich zu einem ungewollten Kuss zum Neujahrsfest genötigt und einem Japaner wurde alles zu viel - er verließ die Simulation. Die sechs Marsfahrer von Mars500 hielten bis zum Ende durch, überwacht von 31 Kameras, ob beim Frühstück oder auf dem Laufband. Nur in ihren privaten Kajüten waren sie für sich.

Monotonie und Lagerkoller

"Es war immer dann besonders schwer, wenn keine großen Ereignisse absehbar waren", sagte der Italiener Urbina einige Tage vor der Landung, während er in kurzer Hose und T-Shirt im Computer am Kontrollraum saß. Zwar war der Alltag meist voll von den insgesamt 105 wissenschaftlichen Experimenten an Bord, aber überall lauerten Monotonie und Lagerkoller. "Sie haben sie sich ihre eigenen wichtigen Momente und Rituale geschaffen", sagt Psychologin Schewtschenko.
mars500, training
© ESAAlexandr (rechts) beobachtet Alexey und Sukhrob beim Training.

So feierten sie zum Beispiel das westeuropäische und das russische Weihnachtsfest ein paar Wochen später und auch das chinesische Neujahr. Bis zum Schluss hingen rote chinesische Papierlampions im holzgetäfelten Gemeinschaftsraum.

"Das Gras küssen"

Über Twitter und Video-Blogs verbreiteten die Marsfahrer ihre Hochs und Tiefs im Internet. "Das Gras küssen, die Luft riechen, den Vögeln zuhören, Cheeseburger essen, duschen, durch Sand rennen und einen geliebten Menschen umarmen", das vermisse er, schrieb Diego. Und sein Fazit: "Es ist keine Erfahrung, die man zwangsläufig genießt, aber mit der richtigen gedanklichen Einstellung kann man es lebenswert und glücklich gestalten."

Die Moskauer Experimentleiter sind bei allem Stolz und Zufriedenheit in einer Hinsicht enttäuscht von ihren Probanden: Sie hatten gehofft, dass die Ausländer besser Russisch lernen wurden. So war Englisch die Sprache an Bord des Moskauer Marsraumschiffes.