Zwei Wochen nach dem schweren Erdbeben im Osten der Türkei zieht der Winter ins Katastrophengebiet. In Ercis, der am schwersten zerstörten Stadt der Provinz Van, sollen die Temperaturen schon in den nächsten Tagen bis auf minus sieben Grad fallen. Für zehntausende Menschen, die sich dort in 1750 Meter Höhe in Zelten zwischen Ruinen einrichten mussten, beginnt eine schwere Zeit.

Führende türkische Politiker sind am Wochenende zum Beginn des islamischen Opferfestes in die Provinz gefahren, um Solidarität zu demonstrieren. Mit Fernsehshows und einem Rockkonzert wurden Spenden gesammelt. Der reichere Westen der Türkei zieht viele Register, um zu helfen. Vorher haben gehässige Bemerkungen über das Schicksal der Erdbebenopfer in der Provinz, die ein Schauplatz der Kämpfe mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK ist, für Wirbel gesorgt.

«Unter dem Schutt wurden auch die jahrzehntelangen Versuche begraben, Feindschaft zwischen unseren Menschen zu sähen und sie zu trennen», sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Anfang der Woche vor Politikern seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP.

Aus den zerstörten Dörfern in der Provinz wird dagegen berichtetet, die Hilfe sei zunächst praktisch nach den Ergebnissen der letzten Parlamentswahl verteilt worden. Anhänger der Kurdenpartei BDP seien auf sich selbst gestellt gewesen oder auf Nachbarschaftshilfe. So hat das Beben auch die Gräben zwischen den Volksgruppen vertieft.

Mit Lastwagen wird seit einigen Tagen der Schutt aus der Stadt Ercis weggefahren. Noch am Freitag, 12 Tage nach dem Beben, fanden Bergungsmannschaften die Leichen eines Mannes und seiner beiden Töchter. Die Zahl der Toten ist nach dem Beben der Stärke 7,2 nun auf mehr als 600 gestiegen. Tausende Menschen wurden verletzt.

Für die Überlebenden gibt es Suppenküchen, Zelte und Decken, die inzwischen auch aus dem Ausland in die Türkei gebracht wurden. Nach erheblichen Startschwierigkeiten bei der Verteilung der Hilfsgüter nahm Ankara internationale Angebote für die Unterstützung der vor allem von Kurden bewohnten Provinz an, die an den Iran grenzt.

Auch der BDP-Parlamentsabgeordnete Özdal Ücer aus Van sagt, dass die staatliche Hilfe inzwischen besser organisiert sei. «Aber der Winter hat jetzt begonnen. Die Lage ist schwerer», sagte er der Nachrichtenagentur dpa. «In den Dörfern werden auch für die Tiere Zelte benötigt.» Bei dem Beben waren Rinder, Schafe und Ziegen zunächst in Panik ausgebrochen.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bescheinigt der türkischen Schwesterorganisation Roter Halbmond Effizienz und Professionalität. «Es wird nachts sehr kalt. Aber es sind ausreichend Zelte vorhanden. Auch dank der Hilfe aus Deutschland», erklärte DRK-Katastrophenhelfer Claus Muchow vor einigen Tagen aus der Stadt Ercis in einer Mitteilung.

Die Kosten für das Aufstellen eines winterfesten Zeltes beziffert das DRK mit 381 Euro. Muchow: «Bis zum Frühjahr werden die Menschen wahrscheinlich in Notunterkünften bleiben müssen. Das müssen nicht immer Zelte sein. Es ist möglich, recht schnell einfache, provisorische Häuser zu konstruieren.»