Frage ans Weiße Haus: Wann hebt ihr das Wahrheitsembargo auf? Der Fragesteller heißt Stephen Bassett, ist von Hause aus Physiker und leitet ein obskures Institut mit einem kryptisch klingenden Namen, die Paradigmenforschungsgruppe in Washington. Das Kabinett Barack Obamas, verlangt Stephen Bassett, soll endlich offenlegen, was es an Geheimakten über außerirdisches Leben, über Ufo-Landeplätze in New Mexico und sonstige bis dato unter Verschluss gehaltene Beobachtungen gibt.

An der Pennsylvania Avenue hatten sie wahrscheinlich an andere Themen gedacht, als die Sache mit den Petitionen begann. Die Idee stammt aus dem Büro für digitale Strategien, das enorm aufgewertet wurde unter Obama, einem Präsidenten, der kommunikationstechnisch auf der Höhe der Zeit sein möchte. Im Grunde ist die Idee so alt wie die amerikanische Republik. Dass das Volk das Recht hat, die Regierung per Petition um Abhilfe bei Missständen zu bitten, steht bereits in der Verfassung. Obamas Digitalstrategen taten eigentlich nichts anderes, als den Grundsatz dem 21. Jahrhundert anzupassen. Seit September kann auch online petitioniert werden, auf einer eigens dafür eingerichteten Website, für jeden einsehbar und damit so transparent, wie es das Markenzeichen dieser Regierung sein soll. Wer mehr als 25000 elektronische Unterschriften sammelt, dem muss das Oval Office detailliert erklären, wie es sein Problem zu lösen gedenkt.

Arbeitslosigkeit? Abzug aus Afghanistan? Occupy Wall Street? Spielt alles nur am Rande eine Rolle. Ganz oben auf der Liste rangiert die Forderung, Marihuana zu legalisieren und „denselben Regeln zu unterwerfen wie Alkohol“ - mehr als 74000 Mal signiert. Dichtauf folgt das Begehren, den Prozess gegen Sholom Rubashkin neu aufzurollen. Rubashkin, sei hier kurz erklärt, war Direktor eines auf koscheres Fleisch spezialisierten Schlachthofs in Iowa. Er sitzt hinter Gittern, weil er illegale Immigranten aus Lateinamerika beschäftigte und einer Bank falsche Geschäftszahlen präsentierte. Ein Urteil, das seine Anhänger für schreiendes Unrecht halten.

Sehr populär auch das Begehren Alexandra Allreds, einer Texanerin aus der Industriestadt Midlothian. Allred erinnert den Präsidenten an ein Versprechen, das er ihr 2006 als Senator gegeben hatte. Wegen des Staubs aus den Zementfabriken Midlothians leidet ihr Sohn Tommy an chronischem Asthma. Obama würde sicher die Umweltparagrafen verschärfen, hatte Allred geglaubt, doch bisher ist wenig geschehen, zumal die Republikaner im Kongress bremsen. Deshalb die Petition.

Tierliebhaber verlangen, die Wildpferde in den Weiten des Westens besser zu schützen. Ein Lokalpatriot aus Ohio will ein ausrangiertes Space Shuttle in seiner Heimatstadt ins Museum stellen. Bradley Manning, der Soldat, der auf seinem irakischen Außenposten geheime Depeschen des State Department auf CDs kopierte und sie Wikileaks zuspielte, kann auf über sechstausend Freunde zählen, die sich für seine Freilassung einsetzen. Besorgte Rentner bitten um Beistand, damit Briefträger weiter samstags Briefe austragen, was die krisengebeutelte Post einzusparen gedenkt. Eine Initiative mit dem Titel „Stellt die Bestechung von Politikern unter Strafe“ will Unternehmensspenden aus dem Wahlkampf verbannen, eine zweite die Kürzungen bei der Weltraumbehörde Nasa rückgängig machen, eine dritte die Jagd auf Wölfe verbieten.

Stephen Bassett braucht noch ein paar Unterschriften, dann ist ihm das Weiße Haus eine Erklärung schuldig. Er hat es so zugespitzt: „Transparentes Regieren bedeutet, die Existenz von E.T. anzuerkennen“. Die Marihuana-Freunde dagegen haben bereits eine Antwort bekommen, von Gil Kerlikowske, dem Direktor des Büros für nationale Drogenkontrollpolitik. Einerseits erkenne er an, schreibt der Ex-Polizist, dass man das Problem nicht durch Verhaftungen lösen könne. Andererseits glaube er, dass die Legalisierung von Marihuana „keine soziale, Bildungs- oder Justizfrage beantwortet, die mit dem Drogenkonsum verbunden ist“. Den Antragstellern war das zu salomonisch. Weshalb eine neue Petition einen unzweideutigen Titel trägt: Ersetzt Gil Kerlikowske.