Die Zwickauer Terrorzelle plante möglicherweise auch Anschläge auf Politiker. Auf einer Datei der Verdächtigen fanden Ermittler die Namen des Grünen-Bundestagsabgeordneten Montag und des CSU-Parlamentariers Uhl. Beide zeigen sich bestürzt.
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© dapd/ MobitRechtsextremisten Uwe Mundlos (links) und Uwe Böhnhardt (Mitte): Liste mit 88 Namen

Berlin - Bei den Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Zelle sind die Fahnder auf eine möglicherweise hochbrisante Liste mit potentiellen Zielen der Rechtsterroristen gestoßen. Nach Informationen von Spiegel ONLINE enthielt die Liste, die bei der Auswertung der sichergestellten Beweismittel gefunden worden war, die Namen und Adressen von 88 Personen - darunter mindestens zwei Politiker des deutschen Bundestags und auch Vertreter türkischer und islamischer Organisationen. Insgesamt soll es sich um rund tausend Datensätze handeln, hieß es aus dem Umfeld der Ermittler.

Bisher wissen die Fahnder noch nicht, warum das Trio die Liste mit den Namen und Adressen angelegt hat. Ob es sich tatsächlich um eine Sammlung von möglichen Zielen handelt oder nur eine Liste mit politischen Gegnern, ist noch unklar. Allein die Zahl 88 lässt aufhorchen. Sie hat in der rechtsextremen Szene eine besondere Bedeutung, weil sie doppelt für den Buchstaben "H" im Alphabet und damit als Abkürzung für "Heil Hitler" steht. Am Mittwoch hatte der "Tagesspiegel" erstmals über die Datensammlung berichtet, demnach stammt sie aus dem Jahr 2005.

Auf der Liste stehen unter anderem der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag und der CSU-Parlamentarier Hans-Peter Uhl. Montag sagte Spiegel ONLINE, er habe sich beim Bundeskriminalamt (BKA) informiert, dort sei ihm der brisante Fund bestätigt worden. Vom BKA seien die Daten inzwischen an die Landeskriminalämter zur genaueren Gefahreneinschätzung gegangen. Die Fahnder hatten ausgewählte Bundestagsabgeordnete bereits Anfang der Woche über die Liste informiert. Ob sich durch den Fund die Gefahreneinschätzung für die genannten Politiker verändere, könne man noch nicht sagen.

"Ein schreckliches Gefühl"

Montag zeigte sich tief besorgt. "Das ist ein schreckliches Gefühl für mich", sagte der Grünen-Politiker. "Das ist nicht erledigt mit der Tatsache, dass die bekannten Mitglieder der Terrorzelle ausgeschaltet sind." Montag sagt: "Wenn die sich so was ausdenken, können es andere auch." Er sei der festen Überzeugung, "dass es in Deutschland weitere Rechtsradikale gebe, die zu ähnlichen Taten in der Lage sind". CSU-Mann Uhl sagte Spiegel ONLINE: "Als ich hörte, dass mein Name auf der Liste steht, war ich schon erschrocken." Man versuche sich "einen Reim darauf zu machen, wie man auf eine solche Liste kommt".

Montag gehört wie Uhl zu den bekanntesten Rechts- und Innenpolitikern in Deutschland, beide vertreten Münchner Wahlkreise im Bundestag. Der Grünen-Abgeordnete und Rechtsanwalt engagiert sich zudem seit Jahren im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, teilt die Sorge seines Kollegen Montag. "Für mich sind die Adresslisten nicht ernster oder weniger ernst zu nehmen, als das, was wir bis jetzt an Opfern zu beklagen haben", sagte er Spiegel ONLINE. Allerdings schränkte Hartmann ein: "Um eine genauere Bewertung abgeben zu können, müssen wir die weiteren Untersuchungen abwarten."

Ob das Neonazi-Trio tatsächlich Angriffe auf Politiker plante, könnte vor allem eine Aussage von Beate Zschäpe klären. Nach dem Selbstmord ihrer beiden mutmaßlichen Komplizen hatte sich die Frau der Polizei gestellt, sie hat sich jedoch bisher nicht zu den Tatvorwürfen geäußert. Für die Fahnder gilt Zschäpe als Schlüssel zu dem Fall, weil wohl nur sie die Mord- und Bankraubserie erklären kann und vor allem über die Motive und weiteren Pläne der Rechtsterroristen aussagen könnte. Angeblich, so jedenfalls berichteten es mehrere Zeitungen, plant die Verdächtige für den Mittwoch eine Aussage. Die Ermittler wollten sich dazu nicht äußern.

Die Brisanz der gefundenen Liste ist für die Fahnder schwer einzuschätzen. Grundsätzlich wurden bei Razzien und Festnahmen in der Vergangenheit immer wieder Listen von sogenannten politischen Feinden von Nazi-Gruppen gefunden. Bisher aber handelte es sich dabei eher um Propaganda-Instrumente. Bei der Neonazi-Zelle von Zwickau hingegen halten die Fahnder nichts mehr für ausgeschlossen. Im Jahr 2006 hatten die drei Verdächtigen ihre Serie von Morden an ausländischen Menschen plötzlich gestoppt. Nun steht zu befürchten, dass sie seitdem an einem neuen Plan arbeiteten und dafür die gefundene Liste aufsetzten.