Er könnte einer strafrechtlichen Verurteilung entgehen - aber sein restliches Leben in einer geschlossenen Psychiatrie verbringen müssen: Der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik ist von Gutachtern für unzurechnungsfähig erklärt worden.

Die beiden Psychiater Synne Serheim und Torgeir Husby übergaben ihr Gutachten dem Osloer Gericht. Darin heißt es, der Rechtsextremist, der vor vier Monaten 77 Menschen tötete, habe mit der Zeit eine „paranoide Schizophrenie“ entwickelt, wie der Staatsanwalt Svein Holden mitteilte. Breivik lebte demnach in einer Parallelwelt. Sein „Größenwahn“ habe ihn glauben lassen, Herr über Leben oder Tod zu sein.

Eine gerichtsmedizinische Kommission soll jetzt das Gutachten auf seine wissenschaftliche Korrektheit hin überprüfen. Die beiden Psychiater stützten sich auf elf insgesamt 36 Stunden dauernde Gespräche, die sie mit dem geständigen Attentäter führten.

Der 32-Jährige hatte am 22. Juli zunächst im Regierungsviertel von Oslo eine Autobombe gezündet und damit acht Menschen getötet. Anschließend eröffnete er in einem Sommerlager der regierenden Arbeiterpartei auf der Insel Utøya das Feuer und erschoss 69 Menschen, vor allem Jugendliche. Er wurde am selben Tag festgenommen und sitzt seither in einem Hochsicherheitsgefängnis nahe Oslo in bereits mehrfach verlängerter Untersuchungshaft.

Kreuzzug gegen Multikulti

Der Prozess gegen Breivik sollte eigentlich am 16. April kommenden Jahres beginnen und etwa zehn Wochen dauern. Sollte er in eine geschlossene Klinik eingewiesen werden, müsste ein Richter alle drei Jahre zu seinem dortigen Aufenthalt Stellung nehmen. Sollte Breivik von seiner Psychose geheilt werden, gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten: Wenn er als Gefahr für die Gesellschaft angesehen wird, käme er ins Gefängnis, wenn nicht, könnte er auf freien Fuß kommen.

Breivik sieht sich auf einem Kreuzzug gegen eine „muslimische Invasion“ und die Multikulturalität in Europa. Die Taten vom 22. Juli gibt er zu. Er bekennt sich jedoch nicht schuldig, weil es um eine „schreckliche, aber notwendige Kriegshandlung“ gegangen sei.

Der Fernsehsender NRK berichtete unterdessen unter Berufung auf anonyme Zeugenaussagen und ein vor 28 Jahren erstelltes psychologisches Gutachten, möglicherweise sei Breivik als Kind sexuell missbraucht worden.

Als Sprecher der landesweiten Hinterbliebenen-Gruppe sagte Trond Blattmann, dessen 17-jährigen Sohn Trojus Breivik auf Utøya getötet hatte: „Wir möchten vor allem Sicherheit, dass er wegen dieser Entscheidung der Gutachter nicht früher entlassen wird. Als direkt Betroffene wünschen wir nicht, dass er noch mehr Schaden in der Gesellschaft anrichten kann.“

Der zuständige Staatsanwalt Svein Holden gab an, dass Breivik nach Meinung der Psychiater komplett von „bizarren und größenwahnsinnigen Zwangsvorstellungen“ beherrscht sei. „Danach kann er nach eigener Auffassung entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss.“

Holden sagte, die Rechtspsychiater hätten ihn als jemanden geschildert, „der sich für den perfektesten Ritter seit dem Zweiten Weltkrieg hält“. Breivik habe auch gesagt, dass er sich für einen „zukünftigen Regenten“ halte. Er habe außerdem menschliche „Zuchtprojekte mit Norwegern in Reservaten“ angekündigt.

Breivik hatte sein Verbrechen jahrelang in allen Einzelheiten vorbereitet. Wegen der genau durchdachten Planung einschließlich der Begründung in einem 1500 Seiten langen „Manifest“ sowie der präzisen Erinnerung des Täters danach hatten Experten erwartet, dass die Gutachter den erklärten Islamhasser für zurechnungsfähig einstufen würden. Einer der beiden Psychiater, Torgeir Husby, sagte Journalisten kurz vor Bekanntgabe der gegenteiligen Einschätzung: „Es hat bei uns keine Zweifel gegeben.“

AFP/dpa/BM/nbo