Der Hamburger Neurowissenschaftler Christian Büchel hat mit Kollegen erforscht, welche Leistungen unser Gehirn während der Nacht vollbringt

Leg dir abends das Buch unters Kopfkissen, riet meine Tante. Es half nichts. Die Mathematik und ich wurden keine Freunde. Bei den Lateinvokabeln ging das schon besser. Sie haben sich über Nacht prächtig in meinem Gedächtnis etabliert. Lernen im Schlaf - geht das überhaupt? Wissenschaftler haben sich mit dem Thema befasst und herausgefunden: Es geht. Ohne Mühe allerdings funktioniert es nicht.

"Es prägt sich im Schlaf nichts ein, was man nicht vorher gelernt hat", sagt Professor Christian Büchel, Direktor des Instituts für systemische Neurowissenschaften des UKE. "Dann allerdings kann sich das Wissen tatsächlich im Schlaf konsolidieren." Es sei offenbar so, dass im Schlaf abgespeicherte Gedächtnisinhalte gleichsam wie nach der Methode "Replay" noch einmal wiedergegeben und damit gefestigt werden. Das haben die Eppendorfer Wissenschaftler in Kooperation mit Forschern aus Lübeck untersucht. Eine Studie zu diesem Thema wurde mit Kindern im Alter zwischen acht und elf Jahren gerade erst abgeschlossen. Die Ergebnisse werden demnächst veröffentlicht.

Der Hintergrund: Kinder lernen täglich viel Neues im Bereich der motorischen Fähigkeiten, in weit höherem Maße als ein Erwachsener. Wie ihnen diese enorme Gedächtnisleistung gelingt, wollten die Eppendorfer gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern herausfinden. Dafür wurde während der Durchführung einer motorischen Aufgabe vor und nach einem Schlaf-, beziehungsweise einem Wachintervall die Hirnaktivität der jungen Studienteilnehmer untersucht. Das sei jeweils mit funktioneller Kernspintomografie (MRT) geschehen, sagt Büchels Projektpartnerin Ines Wilhelm vom Institut für Neuroendokrinologie am Uniklinikum in Lübeck.

Die MRT-Untersuchungen fanden im UKE statt, das dafür auch mithilfe von Drittmitteln apparativ bestens ausgestattet wurde. Das Projekt schloss die Durchführung einer einfachen motorischen Aufgabe ein: Dabei mussten leuchtende Tasten auf einer Tastatur so schnell wie möglich gedrückt werden. Die Versuchspersonen lagen währenddessen im Kernspintomografen, der dabei ihre Gehirnaktivität aufzeichnete.

So konnten die Wissenschaftler Daten über die motorischen Gedächtnisprozesse bei Kindern und Erwachsenen erheben. "Besonders interessieren wir uns für den Einfluss des Schlafes auf die Aktivierung bestimmter Hirnstrukturen, die mit motorischer Gedächtnisbildung in Zusammenhang gebracht werden", sagt Büchel.

Gleichzeitig erfahren die Wissenschaftler durch Studien wie diese, welche Hirnregionen sich mit den jeweiligen Aufgaben befassen und in welchen Schlafphasen das Gehirn die neuen Erkenntnisse verarbeitet. Und da gibt es noch immer weiße Flecken auf der Landkarte des Gehirns mit Information zu füllen.

Mit diesem Ziel hatte eine Lübecker Forschergruppe, zu der die Diplompsychologen Björn Rasch und Steffen Gais, der Neurowissenschaftler Professor Jan Born und das Hamburger Büchel-Team gehörten, bereits untersucht, wie unbewusste Reaktivierungen der Gedächtnisinhalte während des Tiefschlafs die Gedächtnisbildung fördern lassen. Dafür spielten die Versuchspersonen Memory.

Während des Spiels wurden die Probanden in Rosenduft gehüllt. Ließ man sie in der folgenden Nacht im Schlaf erneut Rosenduft schnuppern, so erinnerten sie bei Tag deutlich mehr Bildpaare (97 Prozent) als nach einer Nacht ohne Rosenduft (86 Prozent). Der Wohlgeruch hatte im Schlaf die Erinnerung an das Spiel reaktiviert und damit die Gedächtnisbildung verstärkt. Die Probanden hatten im Schlaf das Gelernte gefestigt.

Ein Kontrollexperiment brachte die Bestätigung. Ohne Duft beim Lernen brachten die Rosen im Schlaf nichts. Darüber hinaus ergab die Studie, dass die durch den Duft hervorgerufene Reaktivierung der Lerninhalte nur im Tiefschlaf wirksam ist. Das Forscherteam untersuchte darüber hinaus auch die Hirnaktivität während der Gedächtnisreaktivierungen durch den Duft. Dafür wurden die Versuchsteilnehmer ebenfalls in Hamburg am Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE während einer Übernachtung im Kernspintomografen des Bildgebungszentrums "NeuroImage Nord" untersucht.

Vereinfacht, erklärt Büchel, gebe es zwei Schlafstadien - den REM-Schlaf und den Tiefschlaf. Der REM-Schlaf sei die Phase, in der sich die Augen bewegen und in der man wahrscheinlich auch träumt. Er liegt eher gegen Morgen, was auch der Grund dafür ist, dass man sich oft auch an seine Träume erinnern kann.

Das episodische Gedächtnis, das sich mit Dingen wie der Lage von Memory-Karten befasst, wird in den Tiefschlafphasen gestärkt. Wenn der beim Spiel applizierte Rosenduft im Tiefschlaf erneut dargeboten wurde, führte dies zu einer überraschend deutlichen Aktivierung des Hippocampus, einer Hirnstruktur, die für die Speicherung der Bildpaare des Spiels entscheidend ist, berichtet der Wissenschaftler. In dieser Hirnregion konnten die Neuro-Forscher bei diesen Vorgängen eine deutliche Aktivität messen. Das emotionale Gedächtnis dagegen, so Büchel, konsolidiere sich im REM-Schlaf, und diese Abläufe spielen sich wahrscheinlich im Mandelkern, Amygdala genannt, ab.

Die Entschlüsselung der für die unterschiedlichen Funktionen zuständigen Hirnregionen geht derweil zwar voran, sie ist aber durch viele Fragen und Widersprüche gekennzeichnet. Kaum haben die Wissenschaftler entdeckt, dass beispielsweise Aufmerksamkeits-Aufgaben im sogenannten Cingulum bearbeitet werden, stellt sich schon wieder heraus, dass hier auch das Thema Schmerz bewältigt wird. Allerdings würden die weißen Flecken auf der Landkarte weniger, sagt Büchel. Doch gehe es in der Frage, welche Hirnregion wann tätig wird, auch um die Erkenntnis, dass ganz offenbar die Interaktion der unterschiedlichen Bereiche ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt.

Das Institut für systemische Neurowissenschaften ist Teil des Zentrums für experimentelle Medizin und erforscht die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns auf breiter Basis. Die Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, fließen in die Kooperation mit klinischen Partnern zur Diagnose, Prognose und Therapie von neuropsychiatrischen Krankheiten ein.

Die Forschung ist auf unterschiedliche Arbeitsgruppen verteilt, die sich verschiedenen Themen widmen: Die AG Physik entwickelt neue Pulssequenzen für das MRT-Gerät (Magnetresonanz-Tomographie), so dass immer feinere Details sichtbar gemacht werden können. Die AG Lernen und Gedächtnis untersucht die Mechanismen der Gedächtnisbildung, aber auch, welche abweichenden Prozesse für einen Gedächtnisverlust bei Krankheiten eine Rolle spielen. Die AG Emotionen erforscht die emotionale Verarbeitung von Reizen und von fehlgeleiteten Prozessen, die eine Rolle bei der Entstehung von Angst und Sucht spielen. Die AG Schmerz schließlich untersucht vor allem Prozesse, die zur Chronifizierung von Schmerzen führen.

Am Institut arbeiten zurzeit 40 wissenschaftliche und sechs nichtwissenschaftliche Mitarbeiter, zehn Wissenschaftler anderer Universitäten und Fachbereiche sowie drei medizinische Doktoranden.