Noch nie gab es so präzise Bilder von der Oberfläche des Erdtrabanten: Sie verraten, dass der Mond rätselhafte schwarze Löcher auf seiner Oberfläche besitzt.
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© ReutersDiese neue Karte vom Mond wurde aus 69.000 Aufnahmen der Sonde Lunar Reconnaissance Orbiter zusammengesetzt. Die Farben markieren die unterschiedlichen Höhen und Tiefen der Mondoberfläche.

Vor der ersten Landung von Menschen auf dem Mond im Juli 1969 sagte der US-Chemie-Nobelpreisträger Harold Urey voraus: „Gebt mir einen Stein vom Mond - und ich sage euch, wie das Sonnensystem entstanden ist.“

Er spielte damit auf den griechischen Gelehrten Archimedes (287 - 212 v. Chr.) an, der behauptet haben soll: „Gebt mir einen festen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“

Urey hatte sich mit seinem Statement offenbar übernommen. Denn nachdem amerikanische „Apollo“-Astronauten von 1969 bis 1972 nicht nur einen Stein sondern mehr als sieben Zentner Mondmaterie auf die Erde gebracht hatten, zeigte sich, dass Urey damit keinesfalls alle offenen Fragen zum Mond beantworten konnte - geschweige denn die des ganzen Sonnensystems.

Nach der „Eroberung“ des Mondes durch Astronauten und der sich daran anschließenden längeren Pause in der Mondforschung ist unser Nachtgestirn jetzt wieder ein begehrtes Forschungsobjekt. China, Europa, die USA, Indien, Japan und Russland haben in jüngster Zeit Sonden zum Mond geschickt.

Weitere Missionen mit noch besseren Forschungsgeräten werden vorbereitet. Die unbemannte Eroberung des Mondes ist also voll im Gange - und sie bringt erstaunliche Resultate.

Die Führung haben erneut die Amerikaner übernommen. Gerade hat ihr Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) - die bislang wohl tüchtigste Mondsonde - ein wissenschaftliches Meisterstück ermöglicht. Sie kreist in nur rund 50 Kilometer Höhe mit sieben Aufnahme- und Messgeräten um den Mond und hat mittlerweile etwa 200 Terabytes an Daten zur Erde geschickt, darunter allein vier Milliarden Höhenmessungen - eine Menge, die ausreicht, um mehr als 40.000 DVDs zu füllen.

Mit dieser unglaublichen Datenfülle war es dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) möglich, aus 69.000 Aufnahmen und den entsprechenden Höhenmessungen eine hochgenaue topografische Karte zu erstellen, die 98 Prozent der Mondoberfläche abbildet. Bis auf weniger als 100 Meter horizontal und besser als 20 Meter vertikal genau zeigt sie die Höhenzüge, Steigungen oder Senken der Mondoberfläche.

„Auf so eine Karte haben wir ja seit dem Apollo-Programm gewartet“, jubelte in dieser Woche Mark Robinson von der Arizona State University, der Leiter des LRO-Kamerateams. „Jetzt können wir sehen, wie sich die Mondkruste verformt hat, wie Krater entstanden und die vulkanischen Gebiete beschaffen sind.“

Auch Einzelaufnahmen mit einer Auflösung von 50 Zentimetern sind möglich. „Mit dieser Auflösung“, so LRO-Projektwissenschaftler Richard Vondrak, „könnte unsere Sonde einen Picknicktisch auf dem Mond erkennen.“

So geht die Nasa jetzt davon aus, dass sich Pannen wie bei der Apollo14-Mission im Jahre 1971 künftig vermeiden lassen. Damals hätten die Astronauten Alan Shephard und Edgar Mitchell den Rand des Kraters Cone mit einem Durchmesser von 300 Meter erklimmen sollen, fanden ihn jedoch nicht und kehrten - nur 30 Meter vor ihrem Ziel - unverrichteter Dinge zur Mondlandefähre zurück.

„Heute, mit LRO-Fotos und -Karten, hätten sie den Krater sicher gefunden“, sagt James Rice vom Goddard Space Flight Center der Nasa. Auch mit der Messung von Temperaturen lieferte LRO bemerkenswerte Daten.

Bei der Untersuchung des Kraters Hermite in der Nähe des Mond-Nordpols stieß die Sonde auf die kälteste Stelle unseres Sonnensystems. Die Nasa meldete 25 Kelvin, also minus 248 Grad Celsius - kälter als auf dem sonnenfernen Zwergplaneten Pluto.

Selbst den 1971 außer Betrieb gegangenen und verschollenen russischen Mondrover Lunochod1 spürte LRO auf, sodass sein Laser-Reflektor wieder von der Erde aus angestrahlt werden konnte und - nach 40 Jahren auf dem Mond - auch noch einwandfrei funktionierte.

Andere Mondsonden, darunter die indische Chandrayaan1, klärten unterdessen eine der ältesten und wichtigsten Mondfragen überhaupt. Sie stellten einwandfrei fest, dass es auf dem Erdtrabanten größere Mengen Wasser gibt - unter anderem als Eis in mehr als 40 zwei bis 15 Kilometer breiten Kratern in der Nähe des Mond-Nordpols. Paul Spudis vom Lunar and Planetary Institute in Houston schätzt, dass allein diese Krater 600 Millionen Tonnen Wassereis enthalten dürften.

Lunar Reconnaissance Orbiter
© PADie Rückkehr zum Mond: Nasa erforscht den Erdtrabanten mit dem Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO)
Dieser Wasserfund ist von größter Bedeutung für die weitere Erforschung des Mondes; nicht nur für die Versorgung geplanter zukünftiger bemannter Forschungsstationen, sondern auch für die Gewinnung des Raketentreibstoffs Wasserstoff aus dem lunaren Wasser.

„Jetzt können wir mit hoher Gewissheit sagen, dass eine dauerhafte Präsenz von Menschen auf dem Mond möglich ist“, stellt Paul Spudis fest. „Sie ist möglich, indem wir die dort vorhandenen Ressourcen nutzen.“

Mond schrumpft und bekommt Runzeln

Inzwischen scheint es dem Erdtrabanten so zu gehen wie älter werdenden Menschen. Er schrumpelt etwas zusammen - und kriegt Runzeln. Die verschärfte Beobachtung zeigt sowohl in den äquatorialen als auch in den hohen Breiten kürzere, gekurvte Bruchlinien - sogenannte „Lobate Scarps“ - an denen sich Mondmaterie gegeneinander- oder übereinandergeschoben hat.

Dieser Vorgang erinnert entfernt an die irdische Kontinentalplattenverschiebung und wird auf das Schrumpfen des Erdtrabanten zurückgeführt.

„Aufgrund der Größe der Bruchlinien schätzen wir, dass sich der Abstand zwischen Mondmittelpunkt und Mondoberfläche um etwa 100 Meter verkürzt haben dürfte“, meint Thomas Watters vom National Air and Space Museum in Washington. Die „Lobate Scarps“ seien vielleicht 100 Millionen Jahre alt, schätzt der Forscher. Das ist geologisch gesehen ein kurzer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass der Mond vier Milliarden Jahre alt ist.

Inzwischen interessieren die Selenologen nicht nur die Runzeln des Mondes, sondern auch rätselhafte Löcher auf seiner Oberfläche - offenbar tiefe Gruben. „Das könnten Eingänge zu einem geologischen Wunderland sein“, spekuliert Mark Robinson von der Arizona State University, vielleicht handele es sich um Eingänge zu Tunneln, die einmal von Lavaströmen durchflossen wurden.

Bisher nur an der Oberfläche gekratzt

Paul Spudis vom texanischen Lunar and Planetary Institute meint, dass dies mit Kameras und Messgeräten allein nicht zu verifizieren ist. „Um das herauszufinden“, so der Forscher, „müssen wir das selber vor Ort genau beäugen. Es ist eine komplett andere Welt dort oben. Wir haben grade erst ein wenig an ihrer Oberfläche gekratzt. Niemand weiß, was dort noch für Entdeckungen auf uns warten.“

Bei diesem Kratzen an den Geheimnissen des Mondes will sich jetzt auch Moskau wieder beteiligen. Das wird mit Spannung erwartet, denn es waren die Russen, die im Januar 1959 die erste Raumsonde der Welt, Lunik1, zu unserem Erdtrabanten entsandten.

Doch später ging ihr Interesse an unserem Nachtgestirn sichtlich zurück. Seit 1976, also seit nunmehr immerhin 35 Jahren, ist in Baikonur keine Sonde mehr zum Mond aufgebrochen.

Das soll sich jetzt ändern. Dabei will man offenbar nicht kleckern, sondern klotzen. Die sieben Tonnen schwere Luna-Glob1 soll nicht nur eine Messstation in der Region des Mondsüdpols absetzen, um das dort bereits nach nachgewiesene Wassereis zu untersuchen.

Die Sonde wird den Mond auch aus der Umlaufbahn an verschiedenen Stellen mit „Penetratoren“ beschießen. Diese sollen seismische Wellen erzeugen, deren Ausbreitung dann etwas über das Innere des Erdtrabanten und seine Entstehung verraten soll. Der Start war ursprünglich für das kommende Jahr vorgesehen, dürfte sich aber wohl etwas verzögern.

„Wenn man an bemannte Forschungsstationen auf dem Mond denkt, dann sollten Wasservorkommen den Wasser- und Sauerstoffbedarf dieser Stationen decken können“, erklärt Igor Mitrofanow vom Weltraumforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften das Interesse an den eisreichen Polgebieten des Mondes.

Auch könne man aus Wasser „den hervorragenden Raketentreibstoff Wasserstoff gewinnen“. Erst einmal sei man aber jetzt engagiert, „den Wasserkreislauf auf dem Mond zu erforschen“. Luna-Glob2 soll dann 2014 einen kleinen, 58 Kilo schweren „Polar Moon Rover“ im Südpolgebiet des Mondes absetzen.

Das sechsrädrige, solargetriebene Fahrzeug soll etwa ein Jahr operieren können, eine gesamte Fahrstrecke von bis zu 150 Kilometern absolvieren und eine Geschwindigkeit von 360 Metern pro Stunde erreichen.

Neues Mondauto soll Bodenprpben entnehmen

Ein mit 400 Kilogramm erheblich schwereres automatisches Mondauto will man dann etwa 2015 im Rahmen des Unternehmens Luna-Grunt auf dem Mond landen lassen. Es handelt sich dabei um eine Art von fahrbarem Labor, das an verschiedenen Stellen der Mondoberfläche Bodenproben entnehmen, gleich vor Ort untersuchen und die Ergebnisse dann zur Erde übermitteln soll.

Doch vielleicht traut man den automatisch ermittelten Ergebnissen doch nicht so ganz. Getreu dem alten Lenin-Wort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ soll jedenfalls bei der Luna-Grant-Mission auch ein Kilo Mondmaterie aufgeklaubt und zu genauer Analyse automatisch zur Erde expediert werden.

Inzwischen werden allerdings nicht nur russische „Lunochod“ für Mondeinsätze endmontiert. Die japanische Weltraumbehörde Jaxa will im kommenden Jahr ihr Projekt Selene2 starten. Dabei soll erstmals ein japanischer Rover auf dem Erdtrabanten aufsetzen.

2013 wollen die Inder den Mondverkehr weiter verstärken. Ihre Sonde Chandrayaan2 wird ebenfalls ein Mondrover anlanden. Im gleichen Jahr wollen die Chinesen ihre Sonde Change3 sanft auf dem Mond aufsetzen.

Deutschland bleibt außen vor

Die Deutschen aber bleiben auch bei der zweiten, der unbemannten „Eroberung“ des Mondes außen vor. Sie sind sozusagen schon hinter dem Mond. Ihr Erfolg versprechendes Projekt einer eigenen Mondsonde mit diversen erprobten deutschen Weltraumgeräten fand keine Finanzierung und versank im Desinteresse der Verantwortlichen.

Und auch die Europäer geben zurzeit nicht unbedingt ein starkes Bild ab. Bei der Esa in Paris hofft man - eventuell, vielleicht, unter Umständen - , im Jahr 2018 eine eigene Sonde im Südpolargebiet des Mondes zu landen. Frühestens.