Syrien erlebt die heftigsten Kämpfe seit Beginn der Aufstände. Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht gewählt - gerade ringt der UN-Sicherheitsrat um eine Resolution.


Der Beschuss begann um acht Uhr abends. Mit schwerer Artillerie und Mörsern. Ein Großangriff der syrischen Armee auf die Stadt Homs, die als ein Zentrum der Proteste gegen den Präsidenten Baschar al-Assad und sein Regime gilt.

Besonders im Visier: der Stadtteil Khalidiya, in dem die Regierungstruppen Stellungen der Freien Syrischen Armee (FSA) vermuteten. Die FSA setzt sich aus desertierten Soldaten zusammen, die friedliche Demonstranten gegen Übergriffe des Assad-Regimes beschützen, aber auch Attentate gegen Ölpipelines und Einrichtungen der staatlichen Sicherheitsorgane begehen.

„Wir saßen zu Hause, und es fühlte sich an, als fielen die Granaten direkt auf unsere Köpfe“, sagte ein Bewohner von Khalidiya. Insgesamt 36 Häuser sollen unter dem Beschuss der Armee zerstört worden sein. Auf Amateurvideos im Internet sind brennende Gebäude zu sehen und im Hintergrund ständiges Gewehrfeuer sowie Granateinschläge zu hören.

Offensichtlich wollte die Armee ein Exempel statuieren

„Aus den Häusertrümmern haben wir bisher 100 Tote ausgegraben und in zwei Moscheen untergebracht“, berichtete ein Bewohner des betroffenen Stadtteils von Homs. „Wir graben sie mit unseren eigenen Händen aus. Es gibt keine Hilfe, keine Krankenwagen.“ Zudem sei es sehr gefährlich, unter andauerndem Beschuss die Verletzten abzutransportieren, wie andere Augenzeugen erzählten. „Die Krankenhäuser sind überfüllt, es fehlt an Medikamenten und Ausrüstung.“

Chaotische Zustände, die der syrische Nationale Oppositionsratrat (SNC) bestätigte. Er sprach von 260 Toten und 500 Verwundeten und bezeichnete den neuerlichen Angriff der syrischen Armee auf Homs als „das schrecklichste Massaker seit Beginn des Aufstandes“.

Das syrische Observatorium für Menschenrechte (SOHR) sprach von mindestens 217 Toten. „Davon wurden 138 allein in Khalidiya getötet“, sagte Rami Abdulrachman, der Leiter der in London ansässigen Organisation. „Dieser Stadtteil wird von verschiedenen Richtungen aus mit Granaten beschossen.“ Offensichtlich wolle die Armee ein Exempel statuieren, um Rebellen in anderen Gebieten deutlich zu machen, was ihnen bevorsteht, wenn sie weiter protestieren.

Da weder internationale Presse noch unabhängige Menschenrechtsorganisationen in Syrien freien Zugang haben, ist es schwierig, genaue Zahlen zu erhalten.

Vor elf Monaten waren die Menschen in Syrien zum ersten Mal auf die Straßen gegangen, um gegen Präsident Assad und sein Regime zu demonstrieren. Das 46-jährige Staatsoberhaupt reagierte schon damals mit harter Hand. „Es gab einen Schießbefehl“, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch herausfand. Als sich die Protestwelle nicht eindämmen ließ, kündigte der Präsident Reformen an: eine Verfassungsänderung, Neuwahlen und mehr Meinungsfreiheit. Aber das kam zu spät. Niemand glaubte ihm mehr.

Denn Reformen hatte Baschar al-Assad bereits bei seinem Amtsantritt versprochen. Nach dem Tod seines Vaters Hafis war der Sohn im Jahr 2000 an die Macht gekommen. Der Augenarzt beerbte eine Diktatur, die Wirtschaft und Gesellschaft fest im Griff hatte. Oppositionelle wurden verfolgt und eingesperrt. Zensur war allgegenwärtig, Pressefreiheit existierte nicht.

Im ersten Jahr der Regentschaft ließ Assad noch politische Häftlinge frei, die sein Vater jahrelang unter Verschluss gehalten hatte. Der damals 35-Jährige galt als Hoffnungsträger der Region: ein neuer Herrschertypus einer jungen aufgeschlossenen Generation, zu der auch König Abdullah von Jordanien und Mohammed VI. aus Marokko gerechnet wurden.

Aber die Hoffnungen wurden bitter enttäuscht. „Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Region, der Kriege in Afghanistan, im Irak und der Bedrohung Israels“, so rechtfertigte sich der syrische Präsident 2003, müssten weitere Reformen verschoben werden. Eine schwere Fehleinschätzung, die ihm jetzt wahrscheinlich die Macht kosten wird. Denn die Proteste gegen sein Regime sind nicht mehr zu stoppen.

"Es scheint, als würden sie es nicht verstehen"

Das brutale Vorgehen des Militärs provoziert nur das Gegenteil von dem, was es zu verhindern versucht. „Es scheint so, als würden sie es nicht verstehen“, sagte ein Bewohner Homs' unmittelbar nach den neuerlichen Angriffen der syrischen Armee. „Selbst wenn sie zehn Millionen von uns töten, das wird die Menschen nicht aufhalten, das System und Präsident al-Assad zu stürzen.“

Der oppositionelle SNC vermutet, dass es in den nächsten Tagen ähnliche Angriffe wie in Homs auch auf Rebellengebiete rund um Damaskus und auf das im Norden gelegene Dschisr al-Schugur geben wird. Steht tatsächlich eine Großoffensive des Regimes bevor, um ein für alle Mal mit dem Widerstand aufzuräumen? In Homs sollen sich die Kämpfe bereits in Städte und Dörfer der umliegenden Region ausgeweitet haben. Auch hier soll die Armee mit Artillerie und Mörsern auf Regierungsgegner feuern.

Die offizielle Version für das rigorose Vorgehen des syrischen Militärs präsentierte das Staatsfernsehen und sprach von einer Art Rettungsaktion: „Die Armee beschützt die Bevölkerung von Homs und bekämpft bewaffnete Gangs, die Bewohner entführen wollen.“

Bewaffnete Gruppen, die den sozialen Frieden stören und Unschuldige töten, sind seit Beginn des Aufstands das Hauptargument des Regimes für den Militäreinsatz gegen die Opposition. Nachvollziehbar wäre die Argumentation, es gebe eine große Zahl von Deserteuren in Homs, das sich in den vergangenen Monaten zu einer Basis des militanten Widerstands der FSA gegen Assad entwickelt hat.

Am Samstagabend legten Russland und China ihr Veto gegen eine Syrien-Resolution ein. Diese ist damit vorerst gescheitert.