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© reuters//ismail zitounyTripolis, 19. Jänner 2012: Angehörige trauern um Ezzedine al-Ghool, der von Milizen zu Tode gefoltert wurde.
Trotz Zusagen des Übergangsrats bleiben Folterer unbestraft - Kein Ende der Übergriffe

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erhebt in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht schwere Vorwürfe gegen Libyens neue Regierung. So habe es der Übergangsrat trotz mehrmaliger Zusagen bis heute nicht geschafft, etwas gegen die Folterung mutmaßlicher Gaddafi-Anhänger zu unternehmen, und willkürliche Verhaftungen seien weiterhin an der Tagesordnung.

Angehörigen libyscher Milizen wird vorgeworfen, Gefangene vor einer Amnesty-Delegation versteckt zu haben. Die Ermittler befragten zahlreiche Häftlinge, die berichteten, gefoltert worden zu sein, und entsprechende Verletzungen vorzeigten.

Vertreibungen

Amnesty berichtet, dass die 30.000 Bewohner Tawerghas bei der Einnahme der Stadt durch Milizen im August vertrieben wurden. Seitdem hätten die Kämpfer aus Misrata Wohnhäuser und Infrastruktur in der traditionell Gaddafi-freundlichen Stadt systematisch zerstört, um eine Rückkehr der Geflohenen zu verhindern.

Die Delegation berichtet, dass seit dem letzten Amnesty-Besuch im September 2011 zahlreiche weitere Gebäude niedergerissen wurden, auch die Ortsschilder Tawerghas wurden übermalt.

Ein Bewohner der Stadt Sirte, in der sich Muammar al-Gaddafi versteckt hielt, berichtete, dass er am 20. Oktober vor andauerndem Artilleriebeschuss geflohen sei und von Milizen festgenommen wurde. Ein Kämpfer, der ihn persönlich kannte, habe sich für ihn eingesetzt und so seine Freilassung erwirkt. Seinen Bruder und mehrere Nachbarn, die im gleichen Auto flüchteten und von einer anderen Miliz festgenommen wurden, fand man später in einem Hotel tot auf.

Willkürliche Festnahmen

Nach dem Sturz Gaddafis machten die Milizen Jagd auf dessen Anhänger. Zahlreiche Afrikaner wurden unter dem Vorwurf, als Söldner für den Diktator gekämpft zu haben, verschleppt. Allein im Gefängnis Ain Zara sitzen 400 Ausländer. Zehn Prozent davon wird laut offiziellen Angaben vorgeworfen, sich an Kämpfen beteiligt zu haben, der Rest wird festgehalten, weil sie keine Papiere vorweisen können und ihr Aufenthaltsstatus unklar ist.

Aus Tripolis und Sirte wird berichtet, dass schon der Vorwurf, Alkohol getrunken zu haben, für eine Festnahme ausreicht.

Straflosigkeit

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© reuters/ismail zitounyTripolis, 6. Februar 2012: Huda Bel-Eid aus Tawergha wurde verletzt, als Kämpfer einer Miliz ein Flüchtlingslager angriffen. Laut Krankenhausangaben kamen dabei sechs Menschen ums Leben.
Amnesty hat die Übergangsregierung im Mai, September und Oktober 2011 auf Menschenrechtsverletzungen in ihrem Verantwortungsbereich hingewiesen. Die neuen Machthaber sagten zu, die Vorwürfe zu überprüfen, haben aber laut der Menschenrechtsorganisation weder den politischen Willen noch die Macht, gegen die Milizen vorzugehen.

Obwohl der Übergangsrat im September 2011 zusicherte, die Milizen unter seine Kontrolle bringen zu wollen und alle gemeldeten Zwischenfälle zu untersuchen, hat sich laut Amnesty seitdem nichts geändert. Es sei kein Fall bekannt, in dem Mitglieder von Milizen für Übergriffe auf Gefangene zur Verantwortung gezogen wurden. Die Folterungen gingen auch im Jahr 2012 weiter.

Ein Staatsanwalt sagte zu Amnesty, er könne nicht gegen Milizen ermitteln, weil sonst seine Sicherheit gefährdet sei und sich niemand um den Schutz kümmere. Mustafa Abdel Jalil, der Vorsitzende des Übergangsrates, sagte am Wochenende zu Reuters, die Entwaffnung der Milizen und ihre Integration in die Sicherheitskräfte dauerten leider länger als erwartet. Man habe aber ein Komitee eingerichtet, das Foltervorwürfe überprüfen solle, und auch die Vertriebenen sollten schlussendlich in ihre Wohnungen zurückkehren dürfen.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat Ende Jänner die Arbeit in den Internierungszentren der libyschen Stadt Misrata beendet, nachdem Mitarbeiter festgestellt hatten, dass Gefangene gefoltert werden und ihnen medizinische Hilfe vorenthalten wird.

bed