Vor den Trümmern in Athen spricht inzwischen mancher von Krieg. Gegner sind die Deutschen. Die Verzweiflung ist greifbar, der Widerstand ebbt nicht ab
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© Milos Bicanski/Getty Images

Geplünderte Läden an den großen Boulevards, verwüstete Bushaltestellen, die verrußten und rauchenden Ruinen zwei der ältesten Kinos Athens - fast erinnert das historische Zentrum der griechischen Hauptstadt zu Wochenbeginn an ein Kriegsgebiet. Und vielen scheint dieser Vergleich inzwischen nicht mehr zu weit hergeholt. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich als Junge die große Hungersnot und den schlimmen Frost des Winters 1941 erlebte“, erzählt Panaghiotis Yerogaloyiannis, ein früherer Seemann, der jetzt von 500 Euro Rente im Monat überlebt. „Jetzt haben wir einen anderen Krieg, einen Wirtschaftskrieg, der nicht auf offenem Feld ausgefochten wird. Aber es sind immer noch dieselben Feinde: die Deutschen.“

Immer mehr Griechen sehen sich tatsächlich in einem „Krieg“. Die Politiker, die sich in eine Notregierung um Ministerpräsident Lucas Papademos gezwungen sehen, sprechen davon, dass er gewonnen werden muss. „Es war immer klar, dass er Opfer fordern wird“, sagt ein Regierungsökonom. „Es ist der Preis dafür, von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Wir hatten ein System, das auf Schulden basierte und einfach nicht tragfähig war. Etwas musste sich ändern.“

„Katastrophales Abenteuer“

Es gab keine andere Wahl - so argumentiert auch Papademos, der sich auf ein weiteres drastisches Sparpaket einließ und es am Wochenende durchs Parlament brachte. Das im Gegenzug versprochene 130-Milliarden-Euro-Hilfspaket der Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds sei der einzige Ausweg vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Am 20. März muss Athen 14,5 Milliarden Euro umschulden - aus eigener Kraft unmöglich. „Ein ungeregelter Bankrott“, sagt Papademos, „würde unser Land in ein katastrophales Abenteuer stürzen. Er würde Bedingungen für ein unkontrollierbares wirtschaftliches Chaos und eine Explosion der Gesellschaft schaffen.“ Sein Vorgänger Giorgis Papandreou von der sozialistischen PASOK sieht das nicht anders: „Wenn wir heute nichts riskieren, werden wir morgen unter katastrophalen Verhältnissen leben. Das Mittel ist weder richtig noch falsch, es ist das einzige, das wir haben.“ Alternativlos - vielen Griechen ist das nicht der geringste Trost. „Es sind nicht die Politiker, die leiden, es ist das Volk“, sagt die Studentin Angela Economou. „Diese Maßnahmen töten jede Kreativität, sie stürzen dich in Verzweiflung.“

Zwei Jahre, nachdem die Griechen zum ersten Mal mit 110 Milliarden „gerettet“ wurden, bringt die Annahme des letzten Rettungsangebots das Land an den Rand des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollaps. Auch wenn die Troika es nicht wahrhaben will: Die Sparmaßnahmen im Namen des Defizitabbaus haben nicht geholfen, die schwarzen Löcher im griechischen Staatshaushalt zu stopfen. Drastische Lohn- und Rentenkürzungen, Steuererhöhungen und Reformen zur Ausgabenreduzierung haben Griechenland im fünften Rezessionsjahr in Folge zu einem Schatten seiner selbst gemacht. Spät in der Nacht stochern Männer und Frauen in Mülleimern herum. Immer mehr schlafen auf der Straße. Vergangene Woche gab die europäische Statistikbehörde Eurostat bekannt, dass mittlerweile über ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt. Die Arbeitslosigkeit stieg in nur einem Monat von 19 auf 20,9 Prozent.

"Eine gewaltige Eruption"

„Nichts funktioniert. Niemand bezahlt mehr für irgendetwas, und der Staat zerbröckelt nicht, sondern befindet sich in völligem Stillstand“, sagt der bekannte politische Kommentator Giorgos Kyrtsos. „Diese Typen sind es“, sagt er über die Troika-Vertreter, „die wirklich ihre Jobs verlieren sollten. Sie haben alles falsch berechnet. Ich kann verstehen, dass die Polizeigewerkschaft auf einer Demonstration ihre Verhaftung gefordert hat. Vielleicht haben sie damit Recht!“

Auch viele Politiker sehen kaum Sinn in noch mehr Sparmaßnahmen. „Wir wollen unser Land nicht in einen marginalisierten Dritte-Welt-Staat verwandeln, dessen Bürger gezwungen sind, für Sklavenlöhne zu arbeiten“, sagt ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte. „Mit diesen Maßnahmen wird aber genau das passieren.“ Mehrere Minister und Abgeordnete verweigerten deshalb die Unterstützung für das Sparpaket. Die vom Parlament letztlich aber doch bestätigten Vereinbarungen sehen nicht nur Massenentlassungen vor, sondern auch die Senkung des Mindestlohns um 22 Prozent. „Es wird zu einer gewaltigen gesellschaftlichen Eruption kommen“, sagt die arbeitslose Juwelierin Apostalia Kiroudi, die sich bei einer Demonstration vor dem Parlament heiser geschrien hat. „Unsere Politiker haben uns angelogen. Sie haben uns nie die Wahrheit gesagt, und jetzt setzen sie eine Politik durch, für die sie kein Mandat haben.“

Die KP gewinnt Zulauf

Der Slogan „Wir wählen die Freiheit. Behaltet eurer Geld!“ gehört mittlerweile zu den gemäßigten Sprüchen der Demonstranten. Vor zwei Jahren forderten Parolen an den Häuserwänden den IWF auf, nach Hause zu fahren. Heute wird zum Mord an Bankern, zu Aufstand und Rebellion aufgerufen: „Lasst euch nicht versklaven“, lautet eine häufig zitierte Parole.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Wille zum Widerstand nachlassen würde. Die Unterstützung für die Linke und besonders für die militante KP nimmt von Tag zu Tag zu. „Sie werden den Ausnahmezustand ausrufen müssen, um diese Maßnahmen durchzuführen“, sagt Kommentator Kyrtsos. „Unter demokratischen Bedingungen werden sie das angesichts des Widerstandes in der Bevölkerung nicht durchsetzen können.“ Der Beschluss des Sparpakets im Parlament sei wertlos. Die Parlamentswahlen - möglicherweise schon im April - könnten die gesamte politische Landschaft verändern, meint Kyrtsos. „Schon bald werden wir unglaubliche Szenen erleben. Alle werden auf die Straße gehen. Es muss schnell etwas geschehen, und dieses Mal muss etwas von Europa kommen.“

Hintergrund

Guardian-Korrespondentin Helena Smith berichtet seit 20 Jahren aus Athen Übersetzung: Holger Hutt