Führt Maiglöckchenduft Spermien zur Eizelle? Forscher stellen die Theorie der Geruchs-Navigation in Frage. Laut ihrer Studie folgen Spermien der Verlockung des weiblichen Sexualhormons.
Sperma
© CorbisSamenfaden an Eizelle: Reise allein chemisch gesteuert?

Bonn - Die erfolgreiche Reise von Spermien zur weiblichen Eizelle ist ein nicht gänzlich gelöstes Rätsel. Der Weg über Muttermund, Gebärmutter und Eileiter bis zur reifen Eizelle ist weit. Klar ist: Nur wenige von Millionen kommen durch. Jahrelang behauptete sich die These vom "Maiglöckchen-Phänomen": Demzufolge sollen die männlichen Spermien auf ihrem Schwimmweg zur Befruchtung der Eizelle von Düften geleitet werden. Damit räumen nun Wissenschaftler aus Bonn und Jülich in einer Studie auf: Spermien erschnüffeln sich ihren Weg nicht, verkünden sie im Fachblatt EMBO Journal.

Die Forschergruppe kam zu dem Ergebnis, dass die These vom Maiglöckchenduft wohl nur ein Laborphänomen sei. "Spermien funktionieren nicht wie Riechzellen in der Nase", erklärt der Leiter der Studie, der Bonner Max-Planck-Wissenschaftler Timo Strünker. Es gebe auch keine Hinweise auf einen betörenden Duft von Eizellen. "Bisher hat man weder Maiglöckchenduft noch irgendeinen anderen Duftstoff im weiblichen Genitaltrakt gefunden oder nachweisen können."

In den neunziger Jahren hatten Forscher in menschlichem Sperma Rezeptoren entdeckt, wie sie ähnlich auch in Riechzellen vorkommen. Eine Gruppe um Hanns Hatt von der Universität Bochum fand sogar einen Rezeptor, der sehr spezifisch auf den synthetisch erzeugten Maiglöckchenduft Bourgeonal reagiert. "Die Samenfäden werden von dieser Substanz angelockt und verdoppeln dabei ihre Schwimmgeschwindigkeit", erklärte Hatt. Die Maiglöckchen-Theorie war in der Welt - doch nun ist sie nach Meinung der Max-Planck-Forscher widerlegt.

Alles nur ein "Labor-Artefakt"

Die Befruchtung ist natürlich keine Zufallsbegegnung, räumen Strünker und seine Kollegen ein, sie ist chemisch gesteuert. Bereits seit den achtziger Jahren ist bekannt, dass die Eizelle beziehungsweise sie umgebende Zellen, sehr große Mengen des weiblichen Sexualhormons Progesteron in den Eileiter aussenden. Unter Laborbedingungen wurde gezeigt, dass die Spermien bereits von geringen Mengen des Progesterons angelockt werden. Das geruchlose Progesteron fungiert also als Lockstoff, und Spermien folgen diesem chemischen Lockreiz zur Befruchtung der Eizelle.

In einer früheren Studie vom März 2011 hatten Bonner Forscher bereits dargelegt, dass Spermien mittels hochempfindlicher eigener Sensoren das Progesteron entdecken und so gelenkt werden. Das Progesteron aktiviert und öffnet die sogenannten CatSper-Ionenkanäle und es strömt Kalzium in die Spermien-Zelle, was höchstwahrscheinlich wiederum die Steuerungsaktivität anregt. Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass die Spermien mit ihren CatSper-Kanälen das chemische Milieu im Eileiter "auslesen" können und so womöglich die Eizelle aufspüren.

Im Labor könne die Maiglöckchenduftwirkung durchaus beobachtet werden, erklärt Strünker. Dieser Duft imitiere unter Laborbedingungen aber lediglich die Progesteronwirkung. Dabei wirkten die Duftstoffe nur in einer sehr hohen Dosis - erst bei mehr als tausendfach höheren Konzentrationen als Progesteron. Das "Maiglöckchen-Phänomen" beruhe daher wohl auf einem "Labor-Artefakt".

hda/dpa