Hünxe. In mittlerweile 282 Betrieben in NRW wurde das Schmallenberg-Virus nachgewiesen. Für die betroffenen Schafhalter bedeutet das einen wirtschaftlichen Schaden. Das Virus wurde auch bei Rindern und Ziegen bestätigt. Auf den Menschen soll es jedoch nicht übertragbar sein.
Für Erich Specht ist die Geburt eines Lamms normalerweise eine erfreuliche Angelegenheit. Derzeit aber macht den Landwirt aus Hünxe jedes trächtige Tier nervös. Von seinen rund 100 Mutterschafen ist wahrscheinlich ein gutes Drittel mit dem Schmallenberg-Virus infiziert. Folge: Die Lämmer haben verkrüppelte Gliedmaßen oder ein verkümmertes Gehirn und sind meist nicht lebensfähig. "Das ist ein schrecklicher Anblick, wenn sie als Geburtshelfer dabei sind", sagt Specht. Ausgestanden ist die Seuche noch lange nicht. Mittlerweile wurde das Virus laut Friedrich-Löffler-Institut bundesweit in 797 Betrieben bestätigt, 282 davon befinden sich in NRW. Täglich kommen neue hinzu. Und der Höhepunkt des "Ablammens" - so nennen die Schafhalter die Lamm-Geburten - steht in den nächsten Wochen erst noch bevor.

Bei den Schafhaltern herrscht vor allem Hilflosigkeit. Schützen können sie ihre Tiere nicht, diese sind entweder infiziert oder nicht. Mücken haben das Virus im vergangenen Sommer übertragen, eine Weitergabe von Schaf zu Schaf ist ausgeschlossen. Ebenso wie die Übertragung vom Tier auf den Menschen. Dies wollen Forscher des Berliner Robert Koch-Institutes (RKI) nun auch wissenschaftlich belegen. "Bislang gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Schafzüchter seit dem Auftreten des Virus häufiger an Krankheitssymptomen wie Fieber leiden als der Durchschnitt der Bevölkerung", sagte der Leiter der Untersuchung, Klaus Stark. Eine Studie solle aber noch größere Sicherheit bringen.

Bei Schafen schädigt das Virus den Fötus. Die missgebildeten Jungtiere liegen oft so unglücklich, dass eine normale Geburt unmöglich ist und auch das Mutterschaf gefährdet. "Wir mussten ein Muttertier noch während der Geburt einschläfern", erzählt Specht. "Und solche Fälle erleben alle Schafhalter." Neben der psychischen ist das vor allem eine wirtschaftliche Belastung für die Landwirte. Ernst Brüggemann, Geschäftsführer des Schafzuchtverbands NRW, schätzt den durchschnittlichen Verlust für die Betriebe auf rund 30 Prozent. Für einen Berufsschäfer, der um die 500 Tiere besitzt, kann sich der Schaden so schnell auf 10 000 bis 15 000 Euro summieren. Das sei in Einzelfällen möglicherweise existenzbedrohend, so Brüggemann. "Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Infektion durch den Schmallenberg-Virus als Seuche anerkannt wird." Nur dann nämlich gebe es Schadenersatz aus der Tierseuchenkasse. Das Virus ist jedoch hierzulande zum ersten Mal aufgetreten, eine Meldepflicht wird es frühestens ab April geben, eine Eilverordnung hält das Bundeslandwirtschaftsministerium nicht für notwendig.

Laut Brüggemann werde aber zumindest in NRW über eine Beihilfe für die betroffenen Landwirte nachgedacht. "Wichtig ist es, alle Fälle zu melden. Nur dann wird später auch gezahlt."

Im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper (CVUA-RRW) in Krefeld werden täglich fünf bis zehn Lämmer auf den Virus untersucht. Dabei bleiben die Biologen oft ratlos zurück. "Der Grad der Missbildung deutet zum Beispiel nicht zwangsläufig auf das Virus hin", sagt Barbara Heun-Münch, Geschäftsbereichsleiterin Tiergesundheit. Eine derartige Seuche mit diesen Folgen habe sie in ihrem Berufsleben noch nicht erlebt. Ziel ist es, möglichst schnell einen Impfstoff zu entwickeln. Das könne laut Heun-Münch jedoch schwierig werden, weil bisher keinerlei Serum existiert - auch nicht im Ausland, wie etwa bei der auch durch Mücken übertragenen Blauzungenkrankheit. In diesem Jahr sei wohl nicht mit einem Impfstoff zu rechnen.

Hoffnung setzen Wissenschaftler wie Landwirte auf natürliche Durchseuchung, das heißt, eine Immunisierung der infizierten Tiere durch die Bildung von Antikörpern. Zumindest die nächste Generation an Jungtieren wäre dann nicht mehr betroffen. Für Schafhalter Erich Specht ist das ein schwacher Trost. Auf seinem Hof hatte er bislang nie missgebildete Lämmer; die Geburten waren mehr oder weniger Routine. Jetzt zieht er jedes Mal einen Veterinär hinzu. "Alleine schaffe ich das nicht, das ist zu aufwändig", sagt er. Dabei könnte es noch schlimmer kommen. Denn das Virus befällt neben Schafen auch Ziegen und Rinder. Bei mehreren verkrüppelten Kälbern in NRW wurde das Schmallenberg-Virus schon bestätigt. Experten schätzen, dass auch bei den Rindern ein Drittel der Bestände betroffen sein kann. "Durch die längere Tragzeit der Rinder liegt der Höhepunkt der Geburten erst im März und April", sagt Specht. "Da kommt wohl noch einiges auf uns zu."

RP