LSD ist nicht nur ein starkes Halluzinogen, es kann offenbar auch bei der Bewältigung von Alkoholsucht helfen. Forscher haben jetzt Studien aus den sechziger und siebziger Jahren ausgewertet - und sind auf erstaunliche, in Vergessenheit geratene Erkenntnisse gestoßen.
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© CorbisParty im San Francisco der späten sechziger Jahre: Psychedelische Drogen wie LSD waren in der Hippie-Ära äußerst beliebt.

Die Hippie-Ära erscheint ohne LSD kaum denkbar. Bis 1966 war Lysergsäurediethylamid in den USA legal - und wurde fleißig benutzt. Schon in kleinen Mengen verursacht es teils lang anhaltende Halluzinationen, was längst nicht nur in der Psychotherapie nützlich sein kann. LSD schenkt, so berichten es viele Konsumenten, spirituelle Erfahrungen und das Gefühl, mit dem ganzen Weltall in Verbindung zu stehen. Das Zeitempfinden ändert sich, Sinneseindrücke werden intensiver, hinzu kommen Halluzinationen unterschiedlicher Art.

Allerdings ist nicht jede LSD-Erfahrung angenehm. Wer emotional belastet ist, kann auch einen Horrortrip mit Angstzuständen, Desorientierung oder gar Psychose-ähnlichen Symptomen und Kontrollverlust erleben. Durch die starke Verbreitung des LSD-Konsums in den sechziger Jahren kam dergleichen nicht eben selten vor. Die Folge: Die Substanz wurde in zahlreichen Staaten verboten, die Forschung kam ab den siebziger Jahren nahezu zum Erliegen.

Manche Wissenschaftler glauben schon seit langem, dass das ein Fehler war. Denn in der Medizin kann LSD durchaus Vorteile bieten, zumal es kaum abhängig macht. Jetzt haben Forscher sechs Studien aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ausgewertet, in denen insgesamt 536 Alkoholiker mit Hilfe von LSD behandelt wurden. Das Ergebnis: LSD habe einen "klaren und konsistent hilfreichen Effekt" in der Therapie der Trunksucht.

Verblüffender Langzeit-Effekt

Teri Krebs und Pål-Ørjan Johansen von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität im norwegischen Trondheim haben sich auf kontrollierte klinische Studien konzentriert, an denen keine Patienten mit Schizophrenie oder anderen Psychosen teilgenommen hatten. Alle Teilnehmer seien per Zufall in Gruppen eingeteilt worden, die entweder LSD, andere Substanzen oder Placebos bekommen hätten.

Wie das Forscherduo im Journal of Psychopharmacology schreibt, hatte das Halluzinogen in jeder der untersuchten Studien eine heilsame Wirkung. In den betrachteten Studien sei es 59 Prozent der mit LSD behandelten Alkoholiker bei der ersten Nachuntersuchung besser gegangen, während es in den Kontrollgruppen nur 38 Prozent gewesen seien. Eine ähnlich positive Wirkung habe die Droge auf die dauerhafte Abstinenz gehabt. Die vielleicht verblüffendste Erkenntnis war der starke Langzeit-Effekt von LSD: Die Wirkung habe schon nach einer einzelne Dosis ein halbes Jahr lang angehalten.

LSD wirkt im Gehirn auf einen bestimmten Rezeptor des Botenstoffs Serotonin. Dadurch kann es laut Teri Krebs zu neuen Verbindungen zwischen den Nervenzellen kommen - und damit zu neuen Perspektiven auf das eigene Verhalten. "Angesichts des offensichtlich heilsamen Effekts von LSD bei Alkoholismus ist es merkwürdig, dass dieser Behandlungsansatz weitgehend übersehen wurde", sagt Johansen. Als Grund vermutet er nicht nur die LSD-Verbote, sondern unter anderem die Tatsache, dass viele der jetzt untersuchten Einzelstudien zu kleine Teilnehmerzahlen gehabt hätten, um für sich genommen aussagekräftig zu sein. Erst in der Gesamtschau mit anderen Untersuchungen habe sich der Effekt von LSD gezeigt.

"Aus dieser Ecke muss man LSD herausholen"

Fritz Sörgel, Direktor des Nürnberger Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP), hält es für "bemerkenswert", dass Krebs und Johansen eine sechsmonatige Wirkung nach einer einzelnen LSD-Dosis beobachtet haben. Denn die Substanz werde im Körper bereits nach wenigen Stunden abgebaut.

Insgesamt aber überrasche ihn die positive Wirkung von LSD in der Alkoholismus-Therapie nicht, sagte der Pharmakologe im Gespräch mit "Spiegel Online". Ähnliche Effekte habe man bereits bei Zauberpilzen, sogenannten Magic Mushrooms, beobachtet. Erst im Oktober erschien ebenfalls im Journal of Psychopharmacology eine Studie, laut der die Wirkung der Pilze - insbesondere eine erhöhte Offenheit - noch mehr als ein Jahr nach der Einnahme nachweisbar war.

Sörgel hält auch andere Einsatzgebiete für LSD denkbar, wie etwa die Psychotherapie oder die Behandlung von Sterbenden. Viele der heute verwendeten Psychopharmaka seien nicht unbedingt besser als LSD. "Um die medizinischen Optionen hat man sich jahrzehntelang nicht gekümmert", sagt Sörgel. "Aus dieser Ecke muss man LSD herausholen."

Ähnlich äußerte sich David Nutt, ehemaliger Drogenberater der britischen Regierung. Er hat immer wieder die Lockerung von Drogenverboten gefordert, um die Forschung zu erleichtern. "Die Heilung von Alkoholsucht verlangt gewaltige Veränderungen in der Art, wie Abhängige sich selbst sehen", sagte Nutt der BBC. "Und genau das tut LSD." Allerdings dürfe man eine solche Substanz "nicht einfach jedem Kliniker zur Prüfung an die Hand geben", wie Sörgel betont. "Das müssen schon erfahrene Leute sein, die LSD kennen."

Der in der neuen Studie beschriebene positive Effekt sei vielen aktuellen Therapien überlegen. LSD sei "wahrscheinlich genauso gut wie alles andere, was zur Verfügung steht", so Nutt. Sörgel ist an dieser Stelle vorsichtiger. Der Unterschied zwischen den LSD- und Kontrollgruppen - eine Verbesserung bei 59 bzw. 38 Prozent der Patienten - stehe auf wackligen Füßen. In Anbetracht der "methodischen Schwächen von Studien aus diesen Jahren" sei die Differenz "gerade so an der Grenze" dessen, was man noch als Unterschied bezeichnen könnte.

"Natürlich wären die Anforderungen an die Präzision einer solchenr Studie heute wesentlich größer als vor 40 Jahren", sagt Sörgel. Angesichts der dünnen Datenlage über die medizinische Wirkung von LSD stelle sich allerdings auch die Frage: "Was bleibt einem anderes übrig?"