frankreich, schule
© DPADie Ozar-Hatorah-Schule liegt in einer ruhigen Wohngegend: Die Fahndung nach dem Täter läuft auf Hochtouren, Antiterror-Experten haben die Ermittlungen übernommen.
Angst vor dem Serientäter: Im Süden Frankreichs fährt ein Unbekannter auf einem Motorroller vor und tötet seine Opfer immer mit derselben großkalibrigen Waffe. Nun erschoss er Kinder einer jüdischen Schule, zuvor hatte er Soldaten nordafrikanischer Herkunft ermordet. Anti-Terror-Experten ermitteln.

Toulouse - Nach dem Mordanschlag eines unbekannten Täters auf eine jüdische Schule in Toulouse steht Frankreich unter Schock. Die Parteien unterbrachen ihren Wahlkampf, der in diesen Tagen eigentlich in die letzte Runde gehen sollte. Staatspräsident Nicolas Sarkozy bezeichnete den Angriff als "nationale Tragödie". Für Dienstag ordnete er eine Schweigeminute zum Gedenken in allen Schulen des Landes an. Sie soll um 11 Uhr stattfinden.

Die Staatsanwaltschaft veröffentlichte weitere Details zu der Tat: Am Morgen gegen 8 Uhr fuhr der Todesschütze mit dem Motorroller vor die jüdische Schule Ozar Hatorah in einer ruhigen Einfamilienhaussiedlung in Toulouse. Vor dem Gebäude in der Rue Dalou standen Erwachsene und Kinder. Der Täter feuerte mit einer kleineren Neun-Millimeter-Waffe auf einen Lehrer, stellte dann seinen Roller ab und betrat das Schulgelände. Dort schoss der Mann mit einer größeren Waffe nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf "alles, was er sah, Kinder und Erwachsene".

Neben dem 30-jährigen französisch-israelischen Religionslehrer starben seine beiden kleinen Kinder sowie die zehnjährige Tochter des Schuldirektors, bevor der Täter auf seinem Motorroller davonfuhr. Ein 17-jähriger Schüler wurde schwerverletzt. Von einem "antisemitischen Anschlag der schlimmsten Art" sprach Charles Bensemhoun, der Vater eines Schulkindes. "Die Opfer sind wie meine eigenen Kinder", sagte Karine Tordjman, die einen Sohn und eine Nichte auf der Schule hat. "Wir kennen uns alle hier."

"Wir hatten große Angst"

Die sechsjährige Alexia berichtete, wie sie am Morgen in die Schule kam und nur fünf Minuten später die Schüsse hörte: "Wir hatten große Angst." Die Schüler seien schnell in ein Klassenzimmer gebracht worden. "Wir haben zusammen gebetet und darauf gewartet, dass unsere Eltern kommen."

"Das sind nicht nur eure Kinder, das sind auch unsere Kinder", sagt Nicolas Sarkozy an die Eltern gewandt. Auch der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande sagt seine Termine ab und kündigt einen Besuch in Toulouse an.

Was die Franzosen schockiert, ist nicht nur der Tod unschuldiger Kinder und der schwerste Angriff auf eine jüdische Einrichtung seit 30 Jahren. Es ist auch die Tatsache, dass der Täter innerhalb der vergangenen acht Tage wahrscheinlich schon dreimal zuschlug - immer auf ähnliche Art. Eine Person fuhr demnach am helllichten Tag mit dem gleichen Motorroller vor und feuerte gezielt auf seine Opfer. In den ersten beiden Fälle schoss er auf Angehörige des französischen Militärs, von denen der Täter drei tötete und einen schwer verletzte.

Dabei ging er jeweils extrem kaltblütig vor: Den ersten Soldaten spürte er offenbar über eine Internetanzeige auf und tötete ihn dann am Sonntag vor einer Woche in Toulouse, als der Mann in Zivil unterwegs war. Die anderen beiden Fallschirmjäger wurden im 50 Kilometer entfernten Montauban vor einem Geldautomaten erschossen. Alle drei Opfer waren nordafrikanischer Abstammung.

Der in Montauban lebensgefährlich verletzte Soldat ist ein Franzose schwarzer Hautfarbe. Die unbewaffnete Gruppe war uniformiert. Überwachungskameras zeigen einen in Schwarz gekleideten Motorrollerfahrer, der einen Helm mit getöntem Visier trägt.

Waffe mit demselben Kaliber

Es gebe "ernsthafte Hinweise", dass die drei Taten zusammenhingen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Nicht nur der Motorroller ist ein Indiz dafür. Bei den tödlichen Schüssen vor der Schule und den Anschlägen auf die Soldaten wurde dieselbe Waffe benutzt. Das teilte die französische Polizei am Montag mit.

Eine Frau will das Gesicht des Täters trotz des Motorradhelms nach seiner Tat in Montauban gesehen haben. Er habe eine Narbe oder eine Tätowierung auf der linken Wange, berichtet die Zeugin. In Ermittlerkreisen sind zwei Dinge klar: Es muss sich um einen guten Schützen handeln, und "er muss sehr viel Selbstvertrauen haben, um diese Verbrechen immer nach demselben Schema zu begehen".

Über die Motive rätseln Regierung und Justiz auch am Montag. Nachdem Verteidigungsminister Gérard Longuet kurz vor der Tat in Toulouse noch von einem "Verrückten" sprach, nimmt nach dem tödlichen Angriff die Staatsanwaltschaft Paris Anti-Terror-Ermittlungen auf. Die Beamten verfolgen mehrere Hypothesen. Sie reichen von der Wahnsinnstat eines traumatisiert aus Afghanistan zurückgekehrten Militärs bis zu möglichen Racheakten zum Jahrestag des Abkommens von Evian, das sich am Sonntag zum 50-mal jährte. Es hatte 1962 einen blutigen Kolonialkrieg beendet und dem damaligen Französisch-Algerien den Weg in die Unabhängigkeit geebnet.

Ein ehemaliger Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad vermutet den Iran oder die mit ihm verbündete Extremistenorganisation Hisbollah hinter dem Anschlag. Das Attentat vom Montag sei Teil einer weltweit gegen Juden und Israelis gerichteten "Welle des Terrorismus", sagte Dani Jatom dem Sender Israel Radio. Die Attentäter würden jüdische Zivilpersonen als Anschlagsziele bevorzugen, weil sie leichter zu treffen seien als israelische Bürger.


Kommentar: Nur dass es sich bei einigen der Opfer, um schwarze Muslime handelt. Eventuell ist diese Anmerkung und auch die folgenden in diesem Artikel, der erste Blick hinter den Vorhang, wer hinter diesen kaltblütigen Morden steckt.


"Verabscheuungswürdigen Mord an Juden"

Die Tat gilt als einer der mörderischsten Anschläge auf eine jüdische Einrichtung seit drei Jahrzehnten, als ein Überfallkommando im jüdischen Viertel in Paris in der Rue des Rosiers in einem Restaurant sechs Menschen tötete. Nach dem Anschlag äußerten sich Vertreter der jüdischen Gemeinde schockiert. "Diese grausame Tat deutet auf eine Gesellschaft hin, in der Intoleranz gären kann. Wir fordern die Behörden Frankreichs auf, alles daran zu setzen, den Täter zu finden und vor Gericht zu bringen", sagte der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt.

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu verurteilte den tödlichen Angriff scharf. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem "verabscheuungswürdigen Mord an Juden, darunter kleine Kinder" um einen Akt "gewaltsamen und mörderischen Antisemitismus'" handele, sagte Netanjahu während einer Sitzung seiner Likud-Partei in Jerusalem.

Die jüdische Gemeinde in Frankreich beklagt regelmäßig Übergriffe auf ihre Mitglieder. So seien zwar die antisemitischen Bedrohungen im Jahr 2011 um 16,5 Prozent zurückgegangen, aber die rund 400 verzeichneten gewalttätigen Übergriffe seien noch genauso zahlreich, sagte Ariel Goldman, Präsident der Vereinigung zum Schutz der jüdischen Gemeinde vor wenigen Wochen in einem Interview. Frankreich hat mit mehr als 500.000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Westeuropa.

Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso verurteilte den Anschlag auf die Schule scharf. "Nichts ist unerträglicher als die Ermordung unschuldiger Kinder", heißt es in einer Erklärung. "Im Namen der EU-Kommission verurteile ich nachdrücklich dieses schändliche Verbrechen und möchte unseren Horror angesichts dieser blinden Gewalt bekunden."

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich "tief bestürzt". In Berlin ließ er mitteilen: "Antisemitismus und Gewalt gegen jüdische Einrichtungen oder Menschen jüdischen Glaubens haben in Europa keinen Platz und müssen konsequent geahndet werden."