Statistisches Bundesamt legt Studie vor / Fast jeder sechste Deutsche ist von Armut bedroht

Armut beginnt in Deutschland bei 940 Euro im Monat. Fast jeder sechste Bundesbürger ist davon betroffen.
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Berlin (nd-van Riel/dpa). Armut und Einkommensungleichheit treffen die Menschen in Deutschland stärker als in ihren direkten Nachbarstaaten. Im Vergleich zu allen EU-Staaten schneide Deutschland aber wieder besser ab, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gestern für das Jahr 2009 mit. Auch innerhalb der Eurozone rangiere die Bundesrepublik über dem Durchschnitt.

Etwa jeder sechste Einwohner der Bundesrepublik (15,6 Prozent) gilt als arm. Die Grenze dafür liegt bei 940 Euro Monatseinkommen für einen Single - inklusive staatlicher Sozialleistungen. In den EU-Staaten sind nach der Definition 16,4 Prozent von Armut bedroht.

Außer in Polen (17,6 Prozent) sind aber die Menschen in allen direkten Nachbarländern Deutschlands weniger von Armut bedroht. Am geringsten ist die Gefahr in Tschechien (9 Prozent) und am höchsten in Belgien (14,6 Prozent) sowie dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz (15 Prozent).

Das Einkommen des oberen Fünftels der Bevölkerung in Deutschland ist 4,5 Mal so hoch wie das des unteren Fünftels. Dieser Unterschied ist in Frankreich und der Schweiz genauso groß. In der gesamten Europäischen Union beträgt der Faktor 5,0. Am kleinsten ist der Einkommensunterschied in Ungarn, Slowenien sowie dem Nicht-EU-Staat Norwegen (mit je 3,4). In den deutschen Nachbarstaaten variiert die Bandbreite zwischen 3,9 in Belgien und 5,0 in Polen.

Die EU-Staaten mit den höchsten Armutsgefährdungsquoten haben auch die stärksten Einkommensungleichheiten: So klafft die Schere in Litauen am stärksten (7,3) auseinander, gefolgt von Lettland und Spanien, Rumänien, Bulgarien und Griechenland.

In Lettland, Rumänien, Spanien, Bulgarien, Litauen und Griechenland ist mehr als jeder Fünfte arm. In den Niederlanden ist dagegen nur etwa jeder Zehnte von Armut bedroht, in Tschechien sind es noch etwas weniger.

Armutsgefährdet ist nach der EU-Definition, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung eines Landes zur Verfügung hat. Diese Summe variiert von 1222 Euro pro Jahr in Rumänien bis zu 19 400 Euro in Luxemburg und 19 438 Euro in Norwegen. In Deutschland liegt die Grenze bei einem Jahreseinkommen von 11 278 Euro. In fast allen anderen direkten Nachbarländern ist es mehr: Niedriger ist die Armutsschwelle nur in Polen (2643 Euro Jahreseinkommen) und in Tschechien (4235 Euro).

Die Linksfraktion wies darauf hin, dass nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in kaum einem anderen Land die soziale Ungleichheit so stark angestiegen sei wie in Deutschland. »Das Verhältnis des Einkommens der obersten 20 Prozent der Bevölkerung zu dem der untersten 20 Prozent hat sich seit 2005 innerhalb kürzester Zeit vom 3,8-fachen auf das 4,5-fache erhöht. Die Zahl der Menschen in Armut ist im gleichen Zeitraum von unter zehn Millionen auf über 12,6 Millionen gestiegen«, konstatierte die Sozialpolitikerin Diana Golze. Als Maßnahmen forderte die LINKE-Politikerin ein gerechteres Steuersystem sowie steigende Löhne und Sozialleistungen.