Trotz Verhaltenskodex und neuen Gesetzesregelungen hat sich wenig geändert

Die DAX-Konzerne veröffentlichen in diesen Tagen ihre Geschäftszahlen für das abgelaufene Jahr. Informiert wird auch über die Vorstandsbezüge - diese sind kräftig gestiegen.
VW-Chef Winterkorn
© dpa/MuratVW-Chef Winterkorn

Wer sind die wirklich Reichen in Deutschland? Der Stern weiß es: Nicht etwa die Herren Winterkorn und Ackermann sind es, sondern die Besitzer ererbter Vermögen. Eine solche Binsenweisheit kann leicht zur Rechtfertigung einer Ungerechtigkeit umfunktioniert werden. Natürlich sind die 17,4 Millionen Euro (inklusive Nachzahlungen) Salär von VW-Chef Martin Winterkorn relativ wenig im Vergleich zu den Ausschüttungen für die Großaktionäre. Doch das Gehalt des neuen Vergütungsrekordhalters unter den deutschen Managern spiegelt auch die Macht im Lande wider.

Diese erneuert und erweitert sich bekanntlich aus sich selbst heraus. Verdiente der Vorstand eines der 30 DAX-Unternehmen 1970 das 30-Fache eines Durchschnittsarbeiters, so ist es inzwischen das Hundertfache (im Schnitt rund drei Millionen Euro) und bei den Chefs sogar das 170-Fache (knapp fünf Millionen). Beide Größen sind 2010 dank der neuen Langfristanreize um etwa ein Fünftel und 2011 noch einmal um rund ein Zehntel geklettert. Die Erben großer Vermögen sind nur eine Art parasitäre Faulschicht des Kapitalismus. Dessen Motor steuern die Spitzenleute der Konzerne. Ihr Kurs muss zwar dann und wann mit den Eignern abgestimmt werden, aber der Grad ihrer Autonomie wächst mit dem Profit, den sie erwirtschaften (lassen).

Um für die Bezüge der Top-Manager einen Wertmaßstab zu finden, gibt es etliche Vergleichsmöglichkeiten. Der freiwillige »Corporate Governance Kodex«, den sich die Manager zimmern ließen, spricht von horizontalem und vertikalem Vergleich als Bemessungsparameter - also: Was kriegen die Kollegen von der Konkurrenz und was die Leute in den eigenen diversen Hausetagen?

Kritisiert werden Kapitalbesitzer wie ihre Verwalter gern mit dem Begriff der »Gerechtigkeit«. Doch wo liegt deren Grenzwert - beim Hundertfachen oder erst beim Tausendfachen des Einkommens eines Durchschnittsverdieners? VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh hat noch einen anderen Vergleich parat: »Profi-Fußballer verdienen zum Teil erheblich mehr als die Top-Manager« und leisteten gleichzeitig weniger. Solche Vergleiche hinken aber und sagen nichts darüber aus, wie der Gewinn und damit auch der Anspruch seiner Generatoren zustande gekommen ist.

Mit Hilfe der Kriterienauswahl bei der Bemessung der Bezüge stellen die Eigner sicher, dass die Manager an der - immer längeren - Rendite-Leine bleiben. Im alljährlichen Vergütungsbericht eines DAX-Konzerns, der Teil des Jahresabschlusses ist und im Geschäftsbericht nachgelesen werden kann, werden verschiedene Gewinnrelationen als Maßstab herangezogen. Am beliebtesten ist der »Return on Invested Capital« (RoIC, Gesamtkapitalrendite).

Statt Leistung wird zunehmend Beharrungsvermögen honoriert. An diesem Tatbestand haben auch die gesetzlichen Neuregelungen der letzten Jahre nicht gerüttelt. Zwar wird mehr Transparenz verlangt, doch sehr viel durchsichtiger sind die 10- bis 20-seitigen Vergütungsberichte kaum geworden. Außerdem wollte der Gesetzgeber, dass sich die Entscheidungsbasis verbreitert - von den meist vier Leuten im Präsidialausschuss des Aufsichtsrates hin zum Plenum desselben. Gefruchtet hat auch das wenig. Die Vorlage der je zwei Vertreter von Kapital und Arbeit wurde auch im Geschäftsjahr 2011 in keinem Gesamtaufsichtsrat in Frage gestellt.

Und doch schleicht sich das »Virus« der Gemeinwohlorientierung in die Arenen der marktmächtigen Manager. Ausgerechnet der VW-Konzern diente 2010 als Vorreiter für zwei neue Faktoren bei der Vergütung: Neben Rendite und Absatz stehen nun fast gleichrangig die Kundenzufriedenheit und der Faktor »Mitarbeiter«. Das fiel Konzernchef Winterkorn umso leichter, als er in seiner bisherigen Amtszeit auch eine positive Entwicklung der Belegschaft vorweisen kann.

Aber auch bei den Wolfsburgern ist die Vergütungshöhe letzten Endes das Ergebnis eines Kuhhandels zwischen dem Begünstigten und den zwei Aufsichtsratsführern. So schlug Betriebsratschef Osterloh als Mitglied dieses Triumvirates wenigstens einen Rekordbonus von 7500 Euro für jeden Tarifmitarbeiter heraus.

Ein solches pluralistischeres Zielbündel bei VW und den ersten Nachahmern ist ein Schritt in die richtige Richtung. Was daraus wird, dürften der Geschäfts- und Vergütungsbericht 2012 oder spätestens die nächste Krise zeigen. Volkswagen sei »keine Beschäftigungsgesellschaft«, stellt Osterloh schon mal prophylaktisch fest.