Sie werden geschlagen, eingekerkert, entrechtet: Die Lage von Frauen in Afghanistan ist dramatisch, warnt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Es gibt kaum einen Unterschied zu der Zeit, als die Taliban herrschten. Der Westen hat das Thema längst aufgegeben.
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© AFPKrieg war noch nie eine Lösung und manche merken es erst jetzt, dass sich seit der Besatzung des Landes nichts geändert hat.

Berlin - Human Rights Watch fordert von der Bundesregierung mehr Einsatz für die Rechte von Frauen in Afghanistan. Anlass ist ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation über die aussichtslose Lage von Frauen im afghanischen Strafvollzug, der an diesem Mittwoch in Kabul vorgestellt wird. "Die deutsche Regierung hat nicht zuletzt durch die Organisation der Bonn-Konferenz eine hohe Verantwortung, sich weiter intensiv für die Frauen in Afghanistan einzusetzen", sagt Gauri van Gulik, die bei der Organisation weltweit die Berichterstattung über Frauenrechte leitet.

Sie kritisiert, die deutsche Regierung habe "das Interesse an dem Thema verloren". Stattdessen würde es in Berlin nur noch um den Truppenabzug der Nato-Einheiten und der Bundeswehr gehen.

In 58 Interviews mit inhaftierten afghanischen Frauen wird das am Hindukusch immer noch alltägliche Schicksal von Ehefrauen geschildert, die von ihren Männern geschlagen oder vergewaltigt wurden und vor ihnen wegliefen. Statt jedoch bei der Polizei oder staatlichen Einrichtungen Hilfe zu erhalten, landen die Opfer regelmäßig wegen sogenannter "moralischer Verbrechen" im Gefängnis und müssen dort oft langjährige Haftstrafen absitzen. Zehn Jahre nachdem die westlichen Armeen die Taliban vertrieben haben, ist das immer noch die Realität in Afghanistan.

Die düsteren Beispiele zeigen, wie wenig der Westen mit Soldaten und Milliardenhilfen erreicht hat. So berichtet eine 19-Jährige Frau, sie sei monatelang von ihrem Mann und der Schwiegermutter geschlagen worden. "Ich hasse das Wort Ehemann", sagte sie den Menschenrechtlern. "Meine Leber ist ganz schwarz von den vielen Schlägen dieses Mannes." Nun sitzt sie wie rund 400 andere Frauen in einem afghanischen Knast. "Wenn ich über das Gefängnis und alles andere Bescheid gewusst hätte, was mir nun passiert ist", sagt sie, "wäre ich lieber in den Fluss gesprungen." Nach Angaben von Human Rights Watch ist die Hälfte aller weiblichen Inhaftierten wegen "moralischer Verbrechen" eingekerkert. Alle teilen dasselbe Schicksal.

Karzai sind die Rechte von Frauen egal

Die Menschenrechtler machen sich wenig Illusionen darüber, wie sich die Lage der Frauen nach dem geplanten Truppenabzug im Jahr 2014 entwickeln wird. "Alle unsere Gesprächspartner haben Angst", sagt Gauri van Gulik, "sie fürchten eine Rückkehr in die Zeit der Taliban". Deswegen fordert die Organisation von der deutschen Regierung ein klares Bekenntnis. Statt nur über die weitere Unterstützung der afghanischen Regierung nach dem Truppenabzug zu reden, fordert sie von der Bundesregierung ein Konzept dazu, wie man die nur durch westliche Hilfe existierenden Frauenprojekte am Leben erhalten will. "Wenn die wenigen Frauenhäuser kein Geld mehr bekommen, gibt es gar keinen Schutz mehr", warnt die Expertin.

Dass sich der einst vom Westen als Hoffnungsträger gefeierte Präsident Hamid Karzai für die Frauen in seinem Land einsetzt, ist kaum mehr zu hoffen. Ganz im Gegenteil: Erst kürzlich hat er ein Zeichen dazu gesetzt, dass er in Sachen Frauenrechte ähnlich wie die Taliban denkt. So veröffentlichte Karzai auf seiner Website die Erklärung von rund 150 konservativen Islam-Gelehrten, die Frauen als "zweitrangig" hinter dem Mann einstuft und einen strengen Verhaltenskodex enthält. So sei Frauen zu verbieten, gemeinsam mit Männern zu arbeiten, den Männern dagegen sei Gewalt gegen ihre Ehefrauen jederzeit erlaubt. Mit der Veröffentlichung wollte Karzai seine Unterstützung für die Thesen der Gelehrten öffentlich machen.

Der Vorgang ist symptomatisch für die Lage in Afghanistan. Aus Karzais Sicht war die Erklärung eine symbolische Annäherung an die Taliban, mit denen er auf kurz oder lang einen Deal um die Macht schließen muss. Das Thema Frauen, das bei dem modern wirkenden und doch traditionell geprägten Paschtunen Karzai noch nie weit oben auf der Agenda stand, interessiert ihn schlicht nicht. In den westlichen Hauptstädten dürfte dies keine Überraschung sein: So oft Karzai mit wohlklingenden Worten bei internationalen Geldgeberkonferenzen Versprechen für die Reform von Gesetzen machte, so wenig hat er schließlich im eigenen Land eingelöst. Zwar wurden einige Gesetze geändert, aber sie sind später nie in Kraft getreten.

Ebenso beispielhaft war die Reaktion im Westen. Nur die USA schickten diplomatische Noten nach Kabul, sonst regte sich kein Widerstand. Wo es in früheren Fällen wütende Anrufe im Palast gab, herrscht nun routinierte Ruhe.

Auch aus dem Berliner Außenamt, dessen Chef Guido Westerwelle (FDP) noch bis vor einigen Monaten die Frauenrechte gern als eine rote Linie ohne Spielraum für Kompromisse in der Afghanistan-Politik bezeichnete, hört man nichts. Als vor Kurzem ein deutsches Regierungsmitglied in Kabul war, wurde das Thema Frauen bei Karzai ebenfalls nicht angesprochen. Das neue Ziel für Afghanistan ist drastisch herunter geschraubt worden - auf ein "erträgliches Maß an Menschenrechten".