Mehr als 300.000 Exemplare der heiligen Schrift des Islam sollen bereits in deutschen Städten verteilt worden sein. Union und Grüne fordern eine strengere Überwachung der Salafisten-Sekte.
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© dapdUmstrittene Verteilaktion von kostenlosen Koranexemplaren in Offenbach am Main
Eine spezielle Provokation ist der Termin für Christen. Ausgerechnet rund um die höchsten kirchlichen Feiertage Karfreitag und Ostern wurden in zahlreichen deutschen Städten Tausende Koran-Exemplare verteilt.

Deren Lektüre soll bewirken, dass die Menschen nicht „für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren“. Was ja nur heißen kann, dass Christen, die den Koran nicht beherzigen und stattdessen Kreuzigung und Auferstehung betrachten, sich auf ewige Seelenpein einstellen müssen.

Aber so scheint es der Projektbetreiber Ibrahim Abou Nagie halt zu sehen, ein Kölner Geschäftsmann und Prediger mit palästinensischen Wurzeln, der jene Höllendrohung als Losung für seine im vergangenen Jahr entworfene Verteilaktion namens „Lies!“ ausgegeben hat.

Nach Abou Nagies Angaben wurden an Info-Ständen und im Internet schon mehr als 300.000 Ausgaben der heiligen Schrift des Islam unter die Leute gebracht, wobei der Kauf von einem Exemplar die kostenlose Abgabe eines weiteren ermöglichen soll.

Er gilt als ein führender Kopf des Salafismus

Doch ist es weniger der Termin rund um Ostern, was nun die Politik auf den Plan ruft, als vielmehr die Tatsache, dass Abou Nagie von der Kölner Staatsanwaltschaft wegen öffentlicher Anstiftung zu Straftaten und Störung des religiösen Friedens angeklagt ist und als ein führender Kopf des Salafismus in Deutschland gilt.

Salafistische Gruppen werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Dieser Hintergrund rückt das an sich unproblematische Verteilen einer religiösen Schrift in ein Licht, das quer durch die Parteien Besorgnis weckt.

„Die breit angelegte Verteilaktion von Gratisexemplaren des Korans durch Salafisten betrachte ich mit großer Sorge“, sagte die religionspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese gegenüber Welt Online. Zwar sei, so Griese, „grundsätzlich nichts gegen die Verteilung religiöser Schriften einzuwenden, solange damit nicht Aufrufe zu Straftaten oder Verunglimpfungen verbunden sind“.

Doch aus ihrer Sicht seien „die Einstellungen und Motive der dahinterstehenden Personen äußerst bedenklich“, ihre „Vernetzung und die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel“ seien „sehr problematisch“.

"Werbung betreiben und neue Anhänger gewinnen"

Noch weiter ging für die Grünen deren religionspolitischer Fraktionssprecher Josef Winkler, der eine polizeiliche Kontrolle der Aktion forderte. „Das Koran-Verteilen als solches wird sich strafrechtlich sicher nicht verbieten lassen, aber es sollte ordnungspolizeilich genau überwacht werden.

Zudem stellt sich die Frage, ob Zonen rund um Schulen eingerichtet werden müssen, in denen religiöse Werbung generell untersagt ist“, sagte Winkler Welt Online. Die radikale Gruppierung der Salafisten wolle mit der Verteilaktion in Deutschland „Werbung betreiben und neue Anhänger für sich gewinnen“, vermutet Winkler.

Dies aber sei „sehr bedenklich, weil es aus den Reihen dieser radikalen muslimischen Splittergruppe immer wieder Aufrufe zu Gewalt und Terrorismus gegeben hat. Daher ist es völlig richtig, dass sie in Deutschland von den Sicherheitsbehörden überwacht wird.“

Auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Uhl (CSU), forderte, den „Umtrieben der wachsenden radikal-salafistischen Bewegung in Deutschland“ müsse „dringend Einhalt geboten werden“. Sein Fraktionskollege Günter Krings (CDU) sagte in der „Rheinischen Post“: „Wo immer dies möglich ist, muss diese aggressive Aktion gestoppt werden.“

Mindestens aber müsse die Verteilung von den Behörden überwacht werden. Zwar wandte SPD-Fraktionsvize Christine Lambrecht gegen Verbotsforderungen aus der Union ein, dass es „keine rechtliche Handhabe gegen das Verteilen des Korans“ gebe und „solche Aktionen von der Meinungs- und der Religionsfreiheit gedeckt“ seien.

Aber abgesehen von diesen juristischen Fragen sind SPD, Union und Grüne einhellig alarmiert angesichts der salafistischen Missionierungskampagne. Mehr als hundert Info-Stände hat die Gruppe bereits in vielen Städten vor allem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Hamburg organisiert. Das langfristige Ziel ist, 25 Millionen Koran-Exemplare in deutsche Haushalte zu bringen.

Kritik auch von großen muslimischen Verbänden

Kritik an der Aktion kommt auch von großen muslimischen Verbänden in Deutschland. Der Koran sei „kein PR-Flyer oder Flugblatt, den man als Massenware verteilt“, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Ayman Mazyek, der Katholischen Nachrichten-Agentur. An „die Zeugen Jehovas“ fühlt sich Kenan Kolat erinnert, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland.

Es sei zwar nicht verboten, den Koran zu verteilen, sagte Kolat Welt Online, aber die Frage sei: „Treten die Salafisten aggressiv auf? Stören sie die Menschen?“ Wichtig sei es nun, weltlich orientierte Kräfte zu stärken: „Man muss die Muslime mitnehmen, um zu vermeiden, dass sie Kontakte zu Extremisten knüpfen.“

Besonders deutlich wurde Grünen-Chef Cem Özdemir, der seit Jahren dafür kämpft, die in Deutschland lebenden Muslime dem Einfluss fundamentalistischer Gruppen zu entziehen. „Ich habe mit allen religiösen Gruppen ein Problem, die ihr Weltbild über das Grundgesetz und die Menschenrechte stellen. Das gilt auch für jene Salafisten, die zur Gewalt aufrufen und mit ihrer Ideologie als Stichwortgeber für den islamistischen Terrorismus agieren“, sagte Özdemir Welt Online.

Es sei „offensichtlich, dass mit dieser Aktion die Strategie verfolgt wird, sich als Sprachrohr der Muslime darzustellen und den vermeintlich einzig wahren Islam zu propagieren. Das darf man den Salafisten nicht durchgehen lassen.“

Kirchen äußerten sich zurückhaltend

Özdemir wies darauf hin, dass die Sektenmitglieder auch gegen moderate Muslime agitierten. Muslime, die „mit islamischem Fundamentalismus nichts am Hut“ hätten, würden „von Salafisten selbst als Ungläubige bezeichnet, wenn sie deren Maßstab radikaler Frömmigkeit nicht gerecht werden“.

Eher zurückhaltend äußerten sich hingegen die christlichen Kirchen, die es vermeiden wollen, dass die Ausgabe religiöser Bücher, also auch der Bibel, unter grundlegenden Verdacht gerät. „Es ist in Deutschland glücklicherweise nicht verboten, religiöse Schriften zu verteilen“, sagte der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg.

Allerdings fügte er hinzu: „Natürlich würde ich mir wünschen, dass in Ländern, in denen mehrheitlich der Islam gilt, umgekehrt auch Bibeln verteilt werden dürften.“

Für die katholische Kirche wies der Geschäftsführer der christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstätte der Deutschen Bischofskonferenz, Timo Güzelmansur, im Kölner Domradio auf fundamentalistische Tendenzen im Salafismus hin. Dieser sei keinesfalls am Dialog interessiert, sondern betrachte Toleranz und jede Integration von Muslimen als Verderben.

Mitarbeit: Philipp Neumann und Freia Peters