Es geht um die Wurst, denn Frankreich steht nicht gut da. Doch die Linksparteien fordern das Blaue vom Himmel und Sarkozy irrlichtert durch die Themen, als hätte er die letzten Jahre nicht regiert.
Sarkozy
© AFPSarkozy sieht nur sich selber.
Irgendwann während der vergangenen hektischen Wahlkampfwochen verharrte der wahrscheinlich scheidende französische Präsident Nicolas Sarkozy in einem seltenen Moment der Einkehr: Man erlebe den wohl „ersten Wahlkampf des 21. Jahrhunderts“, sinnierte er.

Dem Mann, den sie einst den „Hyper-Präsidenten“ nannten, schien auf einmal „alles zu schnell“ zu gehen: „Alles wird gefilmt, alles sofort kommentiert.“ Manuel Valls, Kommunikationsdirektor von François Hollande, hatte denselben Eindruck: „Der CNN-Moment ist da. Die 24-Stunden-Nachrichtensender, Twitter, das Internet, der permanente Buzz.“

Der Effekt der massiv erhöhten Schlagzahl von Kommunikationsmedien scheint zu sein, dass keine Botschaft mehr haften bleibt. Übereinstimmend monieren französische Kommentatoren die inhaltliche „Leere“ des Wahlkampfes, alle wichtigen Themen würden unter den Teppich gekehrt. Was nicht ganz stimmt: Große Themen tauchten durchaus kurz auf, aber kaum waren sie andiskutiert, wurden sie schon von der nächsten Sau überholt, die gerade durchs mediale Village getrieben wurde.

Zwischenzeitlich gewann man den Eindruck, die dringendsten Probleme des Landes seien Halal-Fleisch, die Führerscheinreform und Schwimmbadöffnungszeiten. Der liberale Publizist Franz-Olivier Giesbert, der sämtlichen Kandidaten in der Sendung Des Paroles et des Actes (Worte und Taten) auf den Zahn fühlte, beklagte die „große intellektuelle Regression“ der Debattenkultur.

Sorge um den politischen Diskurs

Sollten Sarkozy und Giesbert mit ihren Einschätzungen richtig liegen, darf man sich um die Qualität des politischen Diskurses im 21. Jahrhunderts einige Sorgen machen. Wahlkämpfe sind selten Phasen, in denen sich die Kandidaten bei Beschreibungen der Problemlage an Akkuratesse gegenseitig überbieten, aber selten hat man einer Kampagne beiwohnen dürfen, in der sich nahezu alle Kandidaten mit Wirklichkeitsfluchtplänen zu übertreffen trachteten.

Frankreich hat ein Staatsdefizit von 89 Prozent, die Schulden sind in Sarkozys Amtszeit um ein Drittel auf 1600 Milliarden Euro gestiegen, die Staatsquote liegt bei 56 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei zehn Prozent.

Die französische Wirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig, weil die Lohnkosten zu hoch und die Innovationskraft zu gering ist, aber keiner der Kandidaten spricht diese Probleme an oder präsentiert den Ansatz eines Konzeptes, wie sie zu beseitigen wären. Stattdessen versprechen alle ein neues Ausgabenfestival, das sie mit deftigen Steuererhöhungen und überoptimistischen Wachstumsannahmen finanzieren wollen.

Industriepatriotische Folklore

Dazu gibt es ein Überangebot an Placebo-Konzepten, die „Made in France“, „Buy European Act“ oder „75-Prozent-Steuer für Millionäre“ heißen und den Franzosen suggerieren, sie könnten den Herausforderungen der Globalisierung auch mit einer Mischung aus Protektionismus, industriepatriotischer Folklore und heftigen Umverteilungsmaßnahmen beikommen. Nicolas Sarkozy darf man zugutehalten, dass er es zu Beginn seiner Kampagne mit einem Hauch Realismus probiert hat.

Inzwischen erinnert sich allerdings kaum noch jemand daran, dass sein Lieblingsthema noch im Februar die angeblich dringend erforderliche „Angleichung an Deutschland“ war, mit der er eine Fortsetzung seiner halbherzigen Reformpolitik legitimieren wollte. Als er bemerkte, dass die Betonung von Reformbedarf seine Umfragewerte nicht verbesserte, ließ er das Thema ebenso fallen wie die Bundeskanzlerin, die er schon zu gemeinsamen Wahlkampfauftritten eingeladen hatte.

Stattdessen wetterte er nun gegen Zuwanderer, bis er nach den Attentaten von Montauban und Toulouse wieder zu einem staatsmännischen Ton zurückfand - und die Muslime der Republik gegen Marine Le Pens Polemiken in Schutz nahm. In den letzten Tagen warnte er dann, ein Frankreich unter Hollande werde sich in Spanien oder gar Griechenland verwandeln.

Glauben an einen Sieg verloren

Sein Versuch, beim Wahlvolk den Eindruck zu erwecken, er sei in den letzten fünf Jahren eigentlich nicht verantwortlich gewesen, darf als missglückt betrachtet werden. Eine Mehrheit der Franzosen trägt ihm bis heute die hochsymbolischen Fehltritte zu Beginn seiner Amtszeit nach - wie die Wahlparty mit Milliardären im teuren Restaurant „Fouquet's“. Auch wenn Sarkozy beteuert, er habe in dieser Hinsicht „dazugelernt“.

Mehr noch als seine durchwachsene politische Bilanz scheint die Aversion, die dieser Präsident lagerübergreifend bei zu vielen seiner Bürger auslöst, seiner Wiederwahl im Wege zu stehen. Sarkozy hat den Abstand auf Hollande in den Umfragen verringern können, aber der schwache Aufschwung ebbt bereits wieder ab. Inzwischen haben selbst viele seiner Anhänger den Glauben an den Sieg verloren.

Kollektiver Eskapismus

Doch auch der in allen Umfragen im entscheidenden zweiten Wahlgang deutlich führende François Hollande ist weit davon entfernt, Euphorie-Wellen auszulösen. Die Kampagne des sozialistischen Bewerbers war frei von Höhen und Tiefen, es ist ihm nach einer ordentlichen Rede zu Beginn gelungen, seinen Vorsprung auf Sarkozy mit geringen Verlusten zu verteidigen.

Bedrängt wird er aus dem eigenen Lager - von dem Volkstribun Jean-Luc Mélenchon, dem Kandidaten der „Linksfront“, der mit blumiger Revolutionsrhetorik und einem Freilichtauftritt am Place de la Bastille all jene begeistern konnte, denen Hollande noch zu moderat sozialdemokratisch daherkommt. Dabei zeigt schon ein flüchtiger Blick in Hollandes ausgabenintensives Wahlprogramm, dass es mit den Anforderungen des EU-Stabilitätspaktes kaum in Einklang zu bringen sein wird.

Dass sich trotzdem rund 15 Prozent der Wähler für die weitaus surrealistischere Vision Mélenchons begeistern, der in seinem Wahlkampfspot die leicht frivole Parole vorträgt, „denn das Geld ist ja da“, ist ein hübscher Beleg für den kollektiven Eskapismus, dem sich Frankreich derzeit hingibt. Mélenchon ist für die französische Politik, was Instagram für Smartphone-Fotografen ist: eine Retro-Application, welche die triste Wirklichkeit mit einer nostalgieweckenden Patina überzieht - ach, wie schön war es doch 1981. Besser noch 1789.

Je stärker die Linksfront im ersten Wahlgang am kommenden Sonntag wird, desto höher wird der Druck auf Hollande werden, den Vorstellungen dieser Klientel entgegenzukommen, um ihre Stimmen in der zweiten Runde zu sichern. Wenn François Hollande am Morgen des 7. Mai dann als neuer französischer Präsident aufwachen sollte.