Wird die Fußball-EM in der Ukraine stattfinden? Die Ex-Regierungschefin sitzt in Haft, der deutsche Präsident sagt seinen Besuch ab und eine Anschlagserie erschüttert die Ukraine: Kann die Fußball-EM dort überhaupt stattfinden?
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© ReutersAnschläge in der Ukraine: Zahlreiche Verletzte nach Bombenexplosionen
Der 9. Juni sollte ein großer Tag werden. Ein großer Moment für den europäischen Fußball, ein Triumph für das Land Ukraine. Wenn an diesem Tag in Charkow das Vorrundenspiel der Fußball-Europameisterschaft zwischen Dänemark und den Niederlanden angepfiffen wird, hat sich die größte europäische Sportveranstaltung nicht nur erstmals in den ehemaligen Ostblock vorgewagt. Das Turnier in den beiden Gastgeberländern Polen und Ukraine soll auch in besonderer Weise für die Integrationskraft des Sports stehen. Ein Gastgeber-Duo steht für die völkerverbindende Kraft des Fußballs. Und sogar ein früherer Teil der Sowjetunion darf dabei eine zentrale Rolle spielen.

Wenn am 9. Juni in Charkow das Spiel zwischen Dänemark und den Niederlanden angepfiffen wird, sitzt nur wenige Kilometer entfernt eine kranke Frau im Gefängnis, die einmal eine zentrale Rolle in der ukrainischen Politik gespielt hat. Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko wurde im Oktober 2011 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Frau mit dem geflochtenen Haarkranz erkrankte schwer, dennoch muss sie ihre Haft in einem Straflager in Charkow verbüßen. Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen trat Timoschenko vergangene Woche in Hungerstreik.

Tritte für Ball und Menschenrechte

Das große europäische Fußballfest des Sommers 2012 steigt also in einem Land, das die Menschenrechte mit Füßen tritt und demokratischen Maßstäben schon lange nicht mehr gerecht wird. Darf das sein?

Die ersten Politiker reagieren auf die Lage in der Ukraine. Bundespräsident Joachim Gauck sagte eine Reise in die Ukraine ab. Einige EU-Politiker erwägen einen Boykott der EM in der Ukraine. Die EU-Kommissarin Viviane Reding sagte ihren Besuch des Spiels am 9. Juni in Charkow ab. Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz rechnet mit weiteren Boykottaktionen. „Das wird jeder dann selber überlegen, ob er als Politiker, Spitzenpolitiker, Staatschef eine Einladung annimmt, sich auf die Haupttribüne setzt und so tut, als wäre nichts“, sagte er.

Bislang nur ein Boykott von Privatleuten

Doch bislang geht es nur um Politiker, die sich nicht auf die Stadiontribüne setzen wollen. Das ist für den Ablauf des Turniers etwa so relevant wie die Ankündigung des Präsidenten von Borussia Dortmund, Joachim Watzke, keine Spiele in der Ukraine zu besuchen. Der Privatmann Watzke kommt eben nicht. Na und?

Von einem sportlichen Boykott des Turniers ist noch lange nicht die Rede. Außenminister Guido Westerwelle lobt zwar Gauck für dessen Absage seines Besuchs, sprach sich jedoch ausdrücklich gegen einen Boykott des Turniers aus. Sogar der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, lehnt einen Boykott ab. Die Hoffnung lautet: Die Ukraine möge begreifen, dass die Augen der Welt auf sie gerichtet sind - und dass sie sich nur positiv darstellen kann, wenn sie Julia Timoschenko menschenwürdig behandelt.

DFB schiebt Verantwortung an Uefa

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach drückt das so aus: „Die Europameisterschaft bietet eine Plattform, bei der nicht nur über die 31 Spiele, sondern eben auch über Land und Leute berichtet wird.“ Selbstverständlich stehe der Verband für die Einhaltung der Menschenrechte ein. „Der Fußball muss sich an die Seite der Politik stellen, wenn es um Grundwerte im menschlichen Miteinander geht.“ In direkter Verantwortung sieht Niersbach den DFB aber nicht: Veranstalter der EM und Vertragspartner der Ukraine sei der europäische Fußballverband, die Uefa.

Die „Uefa ist keine politische Institution“

Die Sportfunktionäre nehmen für sich in Anspruch, dass sich die politische Situation in der Ukraine seit der EM-Vergabe 2007 gewandelt hat. Für Kritik an der aktuellen Entwicklung hält man sich nicht zuständig. „Die Uefa ist keine politische Institution und wird nie eine sein. Dafür ist eine EM immer ein großes europäisches Festival, das Kontakte, den Austausch und Diskussionen auf allen Ebenen fördert“, sagte Uefa-Präsident Michel Platini kürzlich der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Eine Drohung Richtung Gastgeber entfährt Platini allenfalls, wenn er Sorge hat, dass diese ihre Stadien nicht rechtzeitig fertigstellen.

Wenn es gut läuft, werden Funktionäre nicht müde, die „völkerverbindende, integrative Kraft des Sports“ zu preisen. Kommt hingegen Kritik auf, heißt es: „Sport ist Sport, und Politik ist Politik.“ Der Sport ist aber auch ein Milliardengeschäft. Und das werden die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine nicht verhindern. Deshalb rasten Formel-1-Autos über den Wüstenkurs von Bahrain, fanden die olympischen Sommerspiele 2008 in China statt - und wird die EM 2012 auch in der Ukraine stattfinden.

Anschlag-Serie könnte auch Funktionäre zum Nachdenken bringen

Bei einer Serie von Bombenexplosionen sind am Freitag in der ukrainischen Stadt Dnjepropetrowsk zahlreiche Menschen verletzt worden. Nach Angaben des Ministeriums für Notfallsituationen wurden durch drei aufeinander folgende Explosionen zur Mittagszeit 15 Menschen verletzt. Die erste Explosion sei durch einen Sprengsatz ausgelöst worden, der in einem Papierkorb nahe einer Straßenbahnhaltestelle deponiert worden sei, sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

Die zweite Explosion ereignete sich demnach eine halbe Stunde später in der Nähe eines Kinos; dabei seien sieben Menschen verletzt worden. Bei einer dritten Explosion seien noch einmal drei Menschen verletzt worden.iReader