Seit Ausbruch der Finanzkrise ist die Zahl der Selbstmorde in Südeuropa dramatisch gestiegen. Vor allem in Italien und Griechenland wissen Handwerker, Arbeitslose und Rentner oft keinen Ausweg.
Griechischer Selbstmord
© DAPD"Keine Wahlen, Revolution". Diese Notiz hinterließ ein Unbekannter nach dem Selbstmord eines griechischen Rentners Anfang April, der zahlreiche Proteste auslöste
Seit Monaten arbeitslos, nimmt sich der 56-jährige Maurer und Vater von vier Kindern bei Neapel mit einem Stromkabel das Leben. Mit einem Pistolenschuss bereitet ein kleiner Bauunternehmer aus dem sardischen Nuoro seiner Misere ein Ende - er hatte selbst seine Söhne entlassen müssen.

Kaum ein Tag vergeht in Italien, an dem die Medien nicht über weitere Selbstmorde berichten, die eine seit Jahren verschärfte Schulden- und Wachstumskrise zum Hintergrund haben.

Vor allem auch Kleinunternehmer im wirtschaftlich doch starken Norden der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone sehen oftmals keinen Ausweg mehr. Wie Italien geht es Griechenland - die Suizide nahmen in den vergangenen Jahren teilweise dramatisch zu.

Genaue Selbstmordstatistiken, die mehr Aufschlüsse über die Gründe für die Verzweiflungstaten erlauben, gibt es in beiden Krisenländern nicht. Aber selbst wenn keine Abschiedsbriefe dies erklären, so wird doch deutlich, dass die erhöhte Zahl von Selbstmorden in den letzten drei Jahren - von etwa 20 Prozent Zunahme ist in beiden Ländern die Rede - ein Barometer für die Krise ist.

Steuerschuldner unter massivem Druck

Unternehmer müssen auf die Zahlungen der verschuldeten öffentlichen Verwaltung für ihre Dienstleistungen und Waren warten. Sie können so ihre Kredite nicht mehr bedienen. In Italien stehen die zahllosen Steuerschuldner unter dem massivem Druck der Regierung, die Geld in die Kassen bringen muss. Die Abgabenlast hat sich stark erhöht, Arbeitslosigkeit grassiert in der Rezession

Italiens Steuerzahlerbund Federcontribuenti schaltete inzwischen wegen dieses "sozialen Massakers" die Staatsanwaltschaft in Rom ein:

Dutzende Fälle von Selbstmorden seit dem Jahresbeginn müssten auf ihre sozialen Gründe untersucht und die Verantwortlichen ermittelt werden; in der ligurischen Metropole Genua allein seien in den vergangenen vier Monaten fünf Prozent mehr Selbsttötungen registriert worden als ein Jahr zuvor.

Der Vereinschef Carmelo Finocchiaro wirft der Technokratenregierung von Mario Monti vor, "in diesen Monaten nur neue Steuern und sonst nichts eingeführt zu haben". Die Finanzpolizei (Guardia di Finanza) unterscheide vor allem auch nicht zwischen den Steuerhinterziehern und jenen, die einfach nicht mehr zahlen könnten.

Es regt sich Widerstand und Solidarität

Während der Wirtschaftsprofessor und ehemalige EU-Kommissar Monti von Europa Wachstumsspritzen verlangt, um aus dem Rezessionstal zu kommen, regen sich Widerstand und auch die Solidarität der Italiener.

Tausende demonstrierten kürzlich in Rom mit einem Fackelzug für eine Unterstützung der Handwerker und Kleinunternehmer, die durch die seit Jahren andauernde Krise in ihrer Existenz bedrängt seien.

Der Bischof von Padua in Venetien, Antonio Mattiazzo, richtete einen Fonds ein, der besonders unter Finanznöten leidenden Menschen helfen soll. Dort haben Familienangehörige von Unternehmern, die sich umgebracht haben, einen Hilfsverein gegründet: Keiner soll sich mehr - wie Ende März ein Unternehmer vor dem Finanzamt in Bologna - selbst verbrennen müssen.

Mehr Selbstmorde nach Finanzkrise in Griechenland

Auch in Griechenland sollen sich seit Ausbruch der schweren Finanzkrise 2009 wesentlich mehr verzweifelte Menschen das Leben genommen haben. "Aus Daten, die uns vorliegen, ist die Zahl der Suizide in den letzten drei Jahren schätzungsweise um etwa 20 Prozent gestiegen", sagt der Psychiater Vassilis Kontaxakis.

Man könne jedoch nicht klar definieren, inwiefern allein die Finanzkrise dafür verantwortlich sei. Athens Gesundheitsminister Andreas Loverdos sprach vor einigen Wochen sogar von 40 Prozent mehr Selbsttötungen.

Dabei verzeichnete Griechenland vor der Krise eine der niedrigsten Selbstmordraten weltweit. Der Chef der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras, meinte, seine Landsleute litten an einer "nationalen Depression". Mit wirtschaftlich-sozialen Gründen: Die Einkommen schrumpften in drei Jahren um etwa ein Fünftel. Und die Arbeitslosigkeit kletterte auf Rekordwerte um nahezu 22 Prozent.

In Italien sind es fast 10 Prozent - mit dramatischen 36 Prozent in der jungen Generation. In beiden südeuropäischen Schuldenländern sind politische Rezepte gefragt, die Wachstum und Arbeitsplätze schaffen - also nicht nur die Steuerschraube anziehen und Spardiktate erlassen.

dpa