Kreationismus, Alternativmedizin und Esoterik: Menschen setzen wegen dubioser Theorien Vermögen, Beruf oder Gesundheit aufs Spiel. Die "Skeptiker" untersuchen Phänomene und tagen derzeit in Berlin.
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Von heute an treffen sich in Berlin mehrere Hundert Wissenschaftler und Mediziner zum 6. Welt-Skeptiker-Kongress. Ihnen geht es darum, naturwissenschaftlich-kritisches Denken zu fördern. Die Skeptiker befassen sich mit Kreationismus, Alternativmedizin und esoterischen Phänomenen wie Astrologie, Wahrsagerei, Gedankenlesen und Erdstrahlen. Gastgeber ist die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP). Die Skeptiker wollen auf der Basis von wissenschaftlichen Fakten informieren, sodass Menschen rationale Entscheidungen fällen können. Denn häufig, sagt GWUP-Mitarbeiterin Julia Offe, setzten Menschen auf der Basis fragwürdiger Theorien Vermögen, Beruf oder sogar ihre Gesundheit aufs Spiel.

Welt Online: Frau Offe, welches Sternzeichen haben Sie?

Julia Offe: Ich habe das Sternzeichen Grottenolm, Aszendent Blattlaus.

Welt Online: Oh, was bedeutet das?

Julia Offe: Das ist natürlich erfunden - aber dennoch nicht abwegiger als die hierzulande üblichen Sternzeichen. Dass etwas seit vielen Generationen überliefert ist, bedeutet eben nicht, dass es auch nur ansatzweise stimmt.

Welt Online: Ein Astro-Portal sagt zu meinem Sternzeichen: "Der Widder ist ein Mensch der Tat. Er ist vom Drang erfüllt, die Umwelt zu formen." Genau so bin ich! Die Astrologie stimmt!

Julia Offe: Das ist natürlich Absicht, dass sich jeder wiederfindet. Horoskope passen immer. Selbst die negativen Eigenschaften sind so formuliert, dass man auch im Negativen noch etwas Positives entdeckt, es einen zum Beispiel interessant macht. Wobei nicht jedem bewusst ist, der ein Horoskop erstellt, dass das so funktioniert - ich möchte nicht jedem Astrologen Betrug unterstellen.

Welt Online: Was sind Ihre Ziele?

Julia Offe: Wir wollen erreichen, dass Menschen persönliche, gesellschaftliche und politische Entscheidungen auf der Basis sachlicher Kriterien fällen können. Wir sammeln Informationen und entlarven Pseudowissenschaften. So sollten wissenschaftliche Fakten die Basis für Entscheidungen sein, die die Gesundheit betreffen. Mit welcher Therapie man sich behandeln lässt, sollte wissenschaftlichen Kriterien folgen und nicht den vollmundigsten Heilsversprechen.

Welt Online: Welches sind weitere Themen?

Julia Offe: Neben der Alternativmedizin wird der Kreationismus ein weiteres großes Thema auf der Tagung sein, also die religiöse Weltanschauung, wonach die Entstehung der Erde und des Lebens so geschehen ist, wie es wörtlich in der Bibel steht. Wir sind der Meinung, dass das, was in den Schulen gelehrt wird, keine Weltanschauung sein sollte, sondern den Stand der Wissenschaft widerspiegeln sollte. Ein weiteres Thema ist die richtige Einschätzung von Risiken. Darin sind wir Menschen oft sehr schlecht. Ein Beispiel wäre ein Mensch, der raucht, aber aus Angst vor einem Absturz kein Flugzeug besteigt. Wir möchten aufzeigen, dass man der eigenen Wahrnehmung nur bedingt trauen kann und wie man damit umgeht. Innerhalb der GWUP befassen wir uns auch noch mit dem ganzen Bereich der Esoterik, mit Zukunftsvorhersagen, Energiefeldern, Verschwörungstheorien, modernen Mythen, Aberglauben und Ufo-Sichtungen. Wir versuchen darüber aufzuklären, was wirklich dahintersteckt und wie diese Phänomene zustande kommen.

Welt Online: Haben Kreationisten eine ausgeklügelte Agenda oder sind sie einfach überzeugt von dieser Lehre?

Julia Offe: Beides. Sie sind von der Wahrheit der biblischen Schöpfungsgeschichte überzeugt, und zumindest in den USA sind die Kreationisten gut organisiert und fahren schweres Geschütz auf, um diese Lehre in den Schulen gleichberechtigt neben der Evolutionslehre zu etablieren. Bei uns ist das glücklicherweise kein so großes Thema, aber es ist wichtig, das genau zu beobachten.

Welt Online: Sind Kreationisten und Homöopathen offen für Ihre Argumente?


Kommentar: Ein Paradebeispiel der Diskreditierung: Man nehme eine Gruppierung, die offenkundig falsch liegt, und reihe sie aneinander mit der zu diskreditierenden Thematik. So einfach geht das, in einem kleinen, unscheinbaren Satz.

Homöopathie ist der erklärte Feind der Schulmedizin - warum? Vielleicht weil ihre Verbreitung dafür sorgen würde, dass Big Pharma enorme Verluste verbuchen würde, da mit Homöopathie nichts zu verdienen ist. Dass Homöopathie wirksam und preiswert ist haben arme Länder mit weniger Zugang zu teuren Medikamenten bereits entdeckt und darum ist sie die zweitverbreitetste Form der Medizin weltweit. In Indien ist Homöopathie eine vollwertige Medizin mit ihren eigenen medizinischen Fakultäten und Krankenhäusern.

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Julia Offe: Harte Kreationisten habe ich noch nicht kennengelernt. Aber ich kenne natürlich Menschen, die glauben, dass Homöopathie wirkt. Die sind teilweise schon zugänglich. Aber es ist schwierig, eine Basis zu finden. Viele Anhänger dieser Heilrichtung sind nicht bereit, Wissenschaft als wichtiges Argument anzuerkennen. Sie sagen: Wer heilt, hat recht, da ist es völlig egal, ob es wissenschaftlich erwiesen ist oder nicht und welche Mechanismen zum Tragen kommen. Sie übersehen zum Beispiel, dass die meisten Krankheiten nicht wegen der homöopathischen Behandlung weggehen, sondern auch von alleine besser geworden wären. Und bei Studien hat sich gezeigt: Je besser diese durchgeführt werden, desto miserabler fallen die Ergebnisse für die Homöopathie aus. Da geht es auch um Wahrnehmung: Selbst wenn wir persönlich denken, dass Homöopathie hilft, hält sie einer Überprüfung nicht stand. Diese Mittel sollten nicht in Apotheken verkauft und erst recht nicht von Krankenkassen erstattet werden.

Welt Online: Wird Wissenschaft nicht verstanden?

Julia Offe: Sehr oft sind ihre Mechanismen unbekannt. Es ist einer der wichtigsten Punkte unserer Arbeit, aufzuzeigen, dass Wissenschaft nicht eine von vielen gleichberechtigten Weltanschauungen ist, sondern die Methode schlechthin, die Welt zu verstehen. Pseudowissenschaftliche Lehren sind statisch: Das Gedankengebäude der Homöopathie hat sich seit Goethes Zeiten nicht weiterentwickelt. Aber Wissenschaft ist eine Methode, ein kontinuierlicher Erkenntnisprozess: Passen neue Erkenntnisse zu dem, was wir schon wissen? Oder ist es doch anders gelagert, und müssen wir unsere Thesen überdenken und neu formulieren?

Welt Online: Hat die Wissenschaft einen Ausschließlichkeitsanspruch?

Julia Offe: Die Wissenschaft kann nicht in allen Bereichen Entscheidungen vorbereiten. Etwa, welche Kunst ich zu mögen habe oder wer meine Freunde sind. Aber für rational zu treffende Entscheidungen kann man die Wissenschaft heranziehen. So sollte das auch bei Gesundheitsfragen sein. Nicht nur bei der "Alternativmedizin", sondern auch in der akademischen Medizin ist es längst nicht so, dass alle Therapien auf gesicherten Fakten basieren. Es gibt routinemäßig angewendete Eingriffe und Therapien, bei denen sich herausgestellt hat, dass sie keinerlei Nutzen bringen.

Welt Online: Greift antiwissenschaftliches Denken um sich?

Julia Offe: Ich denke schon. In Zeiten des Internets verbreiten sich versponnene Theorien und Heilslehren viel schneller als früher. Das Zweite ist, dass wir heute viele Möglichkeiten haben, unser Leben zu gestalten, und die Welt unübersichtlich geworden ist. Das bereitet auch Probleme. Wir streben nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Wir suchen nach Aussagen wie "Richte dich hiernach, und alles wird gut". Das ist dann zwar einfach, aber vielleicht unvernünftig. Ich denke, wir sollten stattdessen anstreben, die Welt selbst zu gestalten, und uns Entscheidungen nicht abnehmen lassen.

Welt Online: Gibt es Grauzonen, bei denen Sie nicht wissen, ob es sich um rational erklärbare Phänomene handelt?

Julia Offe: Grundsätzlich kann man sagen: Ungewöhnlich erscheinende Dinge, für die es erst mal keine logische Erklärung gibt, darf man nicht per se ablehnen oder kleinreden. Wir als Skeptiker versuchen, diese Phänomene zu überprüfen, und sehen dann, ob sie dem standhalten, was sie versprechen. Dazu braucht man kein Naturwissenschaftler zu sein: Mit kritischem Denken kommt man sehr weit!

Welt Online: Ist es immer gut, Menschen ihren Glauben an Unbewiesenes zu nehmen? Das kann ihnen ja auch Halt und Zuversicht nehmen.

Julia Offe: Das ist eine berechtigte Frage und eine Herausforderung für uns. Wir müssen versuchen, klarzumachen, dass die Wissenschaft so interessant ist, dass sie die gleichen Bedürfnisse erfüllt wie Esoterik. Das ist nicht einfach. Viele Skeptiker tun esoterische Haltungen auch schnell als Quatsch ab. Dann besteht die Gefahr, dass sich die Angegriffenen nicht ernst genommen fühlen. Wir müssen anerkennen, dass es menschlich ist, kausale Verbindungen zwischen ungewöhnlichen Ereignissen herzustellen. Wenn etwa jemand in Trauer um einen Verstorbenen ist und meint, einen Schatten durch die Wohnung huschen zu sehen, dann kann er auf den Gedanken kommen, dies sei die Seele des Verwandten. Was ist die Erklärung dafür? Die Menschheit hat im Verlauf ihrer evolutionären Geschichte enorm davon profitiert, Verknüpfungen herzustellen. Das hat ihr Überleben ermöglicht. Deshalb denken wir vielleicht an einen Geist, wenn wir nur einen Schatten sehen - weil wir immer und überall Erklärungen suchen. Wir müssen versuchen, zu lernen, dass wir dies nicht auf alle Wahrnehmungen ausdehnen dürfen.

Welt Online: Bitte je einen Satz zu Löffelbiegen, Erdstrahlen, vitalisiertem Wasser, morphogenetischen Feldern, Wunderheilungen, Klimaskeptikern, Ufos.

Julia Offe: Löffelbiegen: Uri Geller wurde schon vor vielen Jahren vom Zauberkünstler James Randi als Betrüger entlarvt. Erdstrahlen: Sie sind nicht nachweisbar. Wir müssen davon ausgehen, dass es sie nicht gibt. Vitalisiertes Wasser: Das ist Humbug, Wasser hat kein Gedächtnis. Das ist eine große Geldschneiderei. Morphogenetische Felder: Die Theorie von Rupert Sheldrake, wonach zum Beispiel Effekte eher eintreten, wenn sie schon einmal irgendwo auftraten, hat eine gewisse Faszination. Aber sie hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Wunderheilungen: Es gibt sehr, sehr wenige unerklärliche Spontanheilungen. Aber es gibt viele Betrüger, die sich auf diesem Feld tummeln. Und es gibt viele Menschen, die sich täuschen lassen. Klimaskeptiker: Die große Mehrheit der Forscher ist der Meinung, dass der Klimawandel existiert, relevant ist und zum größeren Teil menschengemacht ist. Das ist überzeugend. Ufos: Die allermeisten Sichtungen können wir auf bekannte irdische oder astronomische Effekte zurückführen. Bei den wenigen, die übrig bleiben, müssen wir das annehmen, was am wahrscheinlichsten ist, nämlich dass ebenfalls bekannte Phänomene dahinterstecken. Wer anderer Meinung ist, müsste den Beweis erbringen.