Wegen seiner vorzeitigen Abzugspläne aus Afghanistan steht Frankreichs Präsident Hollande beim Nato-Gipfel unter Druck. Westerwelle warnte vor einem "Abzugswettlauf". Obama mahnt Geschlossenheit an.
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Der Streit über den frühzeitigen französischen Afghanistan-Abzug belastet den Nato-Gipfel in Chicago. Besonders die Bundesregierung kritisierte den Alleingang des neuen Staatschefs François Hollande. Außenminister Guido Westerwelle warnte am Sonntag vor einem "Abzugswettlauf" unter den Truppenstellern. Ein schnellerer Rückzug "aus innenpolitischen Gründen" könne die terroristische Bedrohung verstärken. Kanzlerin Merkel betonte, Deutschland stehe "sehr fest" zu dem verabredeten Prinzip "Gemeinsam hinein, gemeinsam wieder raus".

US-Präsident Barack Obama und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen eröffneten den 25. Nato-Gipfel, den größten in der Geschichte der Militärallianz. Angereist sind neben den Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten auch mehr als 30 Spitzenvertreter anderer Länder und internationaler Organisationen.

Hollande hatte vor dem Nato-Gipfel sein Wahlkampfversprechen bekräftigt, die gut 3000 Soldaten schon in diesem Jahr zurückzuholen, und damit zwei Jahre vor dem Auslaufen des Isaf-Einsatzes. Er bot zugleich an, auf "anderem Wege" am Hindukusch auszuhelfen.

Rasmussen akzeptiert Hollandes Abzugspläne

Obama bekannte sich hingegen zum gültigen Abzugsplan. "Wir stehen vereint in der Entschlossenheit, die Mission zu erfüllen", sagte er in seiner Eröffnungsrede in seiner Heimatstadt. Bis 2014 lägen noch "harte Tage und viel Arbeit" vor den Isaf-Truppen. Auch danach könne sich das Land auf die Hilfe und Freundschaft der Staatengemeinschaft verlassen.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sieht durch den Alleingang Frankreichs den Afghanistan-Fahrplan aber nicht gefährdet. Schrittweise werde nun der Kampfeinsatz zur einer Unterstützung der einheimischen Kräfte. "Ich bin zuversichtlich, dass wir die Solidarität in der Koalition bewahren können. Es wird keinen Wettlauf zum Ausgang geben."

Begleitet wurde der Gipfel von Protesten, bei denen Nato-Gegner mit der Polizei aneinandergerieten. Samstagnacht waren nach gewaltsamen Ausschreitungen schon 18 Demonstranten festgenommen worden, wie ein Polizeisprecher mitteilte. Vier Menschen wurden angeklagt, weil sie Brandanschläge geplant haben sollen, darunter auf eine Wahlkampfzentrale Obamas. Am Sonntag zogen Tausende Aktivisten durch die Innenstadt, die teilweise abgeriegelt war.

Westerwelle warnt vor "Vakuum" am Hindukusch

Merkel äußerte indirekt Kritik an Frankreich. "Für uns wäre wünschenswert, dass Frankreich im Isaf-Verbund mit dabei bleibt", sagte die CDU-Chefin, die am Vortag vom G-8-Gipfel aus Camp David nach Chicago gereist war. Die Bundesregierung sei an "möglichst viel Gemeinsamkeit interessiert". Darüber habe sie am Vortag auch mit Obama gesprochen, der dieselbe Auffassung habe. "Insofern werden wir dies hier sehr standhaft vertreten", sagte Merkel.

Auch Westerwelle sagte: "Wir sollten klug genug sein, gemeinsam bei dem zu bleiben, was abgestimmt und abgesprochen worden ist." Er habe den Eindruck, dass auch Frankreich verstehe, dass in Afghanistan kein "Vakuum" entstehen dürfe. Sonst bilde sich womöglich wieder ein "Rückzugsgebiet für Terroristen". Der Terrorismus könne nur geschwächt werden, wenn die Völkergemeinschaft zusammenhalte.


Comment: Vakuum? Das Vakuum entsteht eher, wenn die Politik überdacht wird, die seit Jahren über Afghanistan geführt wird. Das Geldvakuum bleibt dabei unerwähnt.


Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), der ebenfalls in Chicago ist, sagte, Frankreich scheine bei seiner Hauptentscheidung zu bleiben, früher abzuziehen. "Allerdings gibt es Gespräche, das Frankreich im Isaf-Verbund bleibt bis 2014."

"Umrisse" eines neuen Mandats nach 2014

Der Minister sagte, es sei noch unklar, wie viele deutsche Soldaten nach 2014 beratend und unterstützend in Afghanistan bleiben werden. Es gebe jetzt aber "Umrisse" eines neuen Mandats, das keine Fortsetzung von Isaf sein werde. Angestrebt werde eine "klare Rechtsgrundlage" durch einen neuen UN-Sicherheitsratsbeschluss. Der Rückzug sei teuer und militärisch komplizierter als die Entsendung. Es gebe Fortschritte bei Routen über Pakistan und auch neuen "denkbaren Zugängen über Usbekistan". Bis zum Herbst solle eine konkrete Planung vorliegen.

Rasmussen zeigte sich am Sonntag überzeugt, dass Pakistan "in sehr naher Zukunft" wieder seine Grenzen für den Abzug aus Afghanistan öffnen werde. Die Nato muss seit sechs Monaten auf Transitrouten durch Russland und Zentralasien ausweichen, weil Pakistan den Zugang über sein Territorium nach einem US-Militärschlag mit 24 getöteten Soldaten blockierte.

Startschuss für Raketenabwehr

Zudem werden in Chicago weitere gemeinsame Verteidigungsinitiativen gestartet, mit denen die Allianz trotz sinkender Militärausgaben "ein starkes Bündnis" bleiben soll, wie Rasmussen sagte. Zum einen soll eine erste Einsatzbereitschaft des umstrittenen Nato-Raketenschilds festgestellt werden - mit einem Frühwarnradar in der Türkei und Abfangraketen auf US-Kreuzern im Mittelmeer. Das Kommando dafür liegt in Ramstein. Westerwelle betonte, die Tür für Russland, dabei mitzumachen und sich an einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie für Europa zu beteiligen "bleibt offen".

Zum anderen geht in Chicago um das neue Bodenüberwachungs- und Aufklärungssystem AGS, das bis 2016 bereit sein soll - und das von 13 Staaten gemeinsam aufgebaut wird. In Chicago soll der Startschuss für die Beschaffung gegeben werden. Deutschland kann allerdings nur unter Vorbehalt zustimmen, weil der Haushaltsausschuss das teure Projekt zunächst auf Eis gelegt hat.

dapd/sara